Wer soll als Richter das Scheidungsverfahren einer Richterkollegin führen, wenn man seit Jahren am gleichen Gericht zusammenarbeitet und sich aus den Kaffee- und Mittagspausen sehr gut kennt. Am kleinen Amtsgericht im badischen Ettlingen stellte sich diese Frage, als eine Richterin aus dem fünfköpfigen Richterkollegium am gleichen Gericht die Scheidung ihrer Ehe beantragte.
Der zuständige Scheidungsrichter erklärte sich für befangen
Das AG Ettlingen war für die Scheidung der Richterin das zuständige Gericht, denn mit ihrem Ehemann hatte sie gemeinsam im Bezirk des AG gelebt. Also beantragte die Richterin dort die Einleitung ihres Scheidungsverfahrens. Der nach der Geschäftsverteilung zuständige Richter war über das neue Verfahren überhaupt nicht erfreut und erklärte sich nach § § 113 Abs. 1 FamFG, 48 ZPO selbst für befangen. Zur Begründung gab er an, er tausche sich mit der Antragstellerin häufig fachlich aus, arbeite seit über 2 Jahren mit ihr zusammen und sehe sich nicht in der Lage, das von ihr beantragte Scheidungsverfahren objektiv und unvoreingenommen zu führen.
Befangenheitserklärung hatte Dominoeffekt
Die ersatzweise für die Leitung des Scheidungsverfahrens infrage kommende Richterkollegin fühlte ob ihrer Ersatzzuständigkeit ein ähnliches Unbehagen wie ihr Richterkollege und reagierte ebenfalls mit einer Befangenheitsanzeige. Schließlich schlossen sich der Selbstanzeige auch der dritte Richter sowie der Direktor des Amtsgerichts an. Auch sie fühlten sich nicht in der Lage, das Scheidungsverfahren objektiv und unvoreingenommen zu führen. Zu oft hatte man in den Kaffee- und Mittagspausenpausen mit der Antragstellerin zusammengesessen und diskutiert und sich dabei nicht nur über dienstliche Angelegenheiten ausgetauscht.
OLG Karlsruhe um Bestimmung eines anderen Gerichts gebeten
Kurz entschlossen erklärte sich das gesamte Richterkollegium am AG Ettlingen für befangen. Es sei für jeden der Richter unmöglich, in dem Scheidungsverfahren objektiv und neutral zu entscheiden. In der Folge legte der Direktor des Amtsgerichts die Angelegenheit dem OLG Karlsruhe vor mit dem Antrag, die Selbstablehnungen für begründet zu erklären und ein anderes Gericht mit der Durchführung des Scheidungsverfahrens zu beauftragen.
Keine Einwände der Parteien gegen die Selbstablehnungen
Die Antragstellerin selbst hat gegenüber dem OLG auf Anfrage ausdrücklich erklärt, dass Einwendungen gegen die Selbstablehnungen nicht erhoben würden. Der Antragsgegner des Scheidungsverfahrens - ihr Ehemann - hat selbst nicht Stellung genommen.
Beschlussunfähigkeit des Amtsgerichts durch Selbstablehnungen
Das OLG erklärte sich gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, 45 Abs. 3 ZPO als das im Rechtsmittelzug in der Hauptsache nächsthöhere Gericht zur Entscheidung über die Selbstablehnungen zuständig, da das AG selbst durch die Selbstanzeigen sämtlicher Richter beschlussunfähig geworden sei (BGH, Beschluss v. 8.12.2021, XII AZR 39/21).
Wann ist die Selbstanzeige eines Richters als befangen begründet?
Nach der Entscheidung des OLG ist die Selbstanzeige eines Richters als befangen immer dann begründet, wenn der Richter auch von einer der Parteien eines Rechtsstreits oder Verfahrens als befangen abgelehnt werden könnte (BGH, Beschluss v. 20.8.2014, AnwZ 3/13). Maßgeblich für die Entscheidung sei also, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass besteht, an der Unvoreingenommenheit der Richter zu zweifeln. Solche Zweifel könnten sich unter anderem aus einer besonderen Beziehung der Richter zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu den Parteien ergeben (BGH, Beschluss v. 6.3.2025, I ZB 50/24).
Sehr enge Zusammenarbeit rechtfertigt Selbstablehnung
Das OLG sah in der engen, bereits einige Jahre andauernde Zusammenarbeit der Antragstellerin des Scheidungsverfahrens mit ihren Richterkollegen an dem kleinen AG Ettlingen einen hinreichenden Grund für die Annahme einer Befangenheit. Zwar habe der BGH entschieden, dass das Kollegialverhältnis zwischen Richtern allein eine Ablehnung wegen Befangenheit nicht rechtfertigt (BGH, Beschluss v. 7.11.2018, IX ZA 16/17), jedoch könne ein Kollegialverhältnis eine Ablehnung dann rechtfertigen, wenn die Zusammenarbeit aufgrund besonderer Umstände als sehr eng einzustufen sei. Letzteres sei hier bei sämtlichen Richtern des betroffenen AG der Fall wie diese in ihren Selbstablehnungen nachvollziehbar dargelegt hätten.
Problem: Welches Gericht soll zuständig werden?
Vor diesem Hintergrund sah sich das OLG veranlasst, gemäß §§ 113 Abs. 1 FamFG, 36 Abs. 1 Nr. 1 ZPO das für die Fortsetzung des Scheidungsverfahrens zuständige Gericht zu bestimmen. Mangels exakter gesetzlicher Vorgaben und in Ermangelung einschlägiger höchstrichterlicher Entscheidungen bestimmte das OLG die Zuständigkeit eines anderen Gerichts anhand der Kriterien Zweckmäßigkeit und Prozesswirtschaftlichkeit nach pflichtgemäßem Ermessen. Da der Antragsgegner weiterhin im Bezirk des AG Ettlingen wohnte, knüpfte der Senat die Zuständigkeit an den inzwischen geänderten Wohnsitz der Antragstellerin und bestimmte das AG Karlsruhe-Durlach zu dem für das weitere Verfahren zuständigen AG.
(OLG Karlsruhe, Beschluss v. 3.6.2025, 20 UHF 1/25