Wann kann ein Anwaltsvertrag wegen Fernabsatz widerrufen werden?

Mit zunehmender Digitalisierung häufen sich Kanzleien, die bei der Mandatsübernahme ohne persönlichen Kontakt auskommen. Steckt System dahinter, liegt laut BGH Fernabsatz vor, der ein Widerrufsrecht des Mandanten zur Folge hat. Ein im Einzelfall per Fernkommunikation zustande gekommenes Mandatsverhältnis allein reicht aber nicht.

Im schlimmsten Fall kann der Widerruf nach getaner Arbeit und gestellter Rechnung vom Mandanten ausgeübt werden, sodass der Vergütungsanspruch des Anwalts rückwirkend entfällt. So ist es einer Kanzlei ergangen, die nun durch den BGH bestätigt, ihren Honoraranspruch verlor.

Widerruf des Mandanten -  nach über einem Jahr - führte zum Verlust des Vergütungsanspruchs

Der Mandant - juristisch offensichtlich gut beraten - widerrief nach Rechnungsstellung

  • noch innerhalb des Zeitraums von zwölf Monaten und 14 Tagen,
  • der Maximal-Frist, wenn die übliche Frist von 14 Tagen mangels Belehrung nicht zu laufen begann (§ 356 Abs. 3 BGB).
  • Er setzte sich damit durch, da der Anwaltsvertragsabschluss wurde als Fernabsatzgeschäft eingeordnet wurde
  • und es keine Widerrufsbelehrung gab.

Nur systematischer Fernabsatz führt laut BGH zum Widerrufsrecht

Ein im Einzelfall über Fernkommunikationsmittel zustande gekommenes Mandatsverhältnis allein reicht jedoch nicht, um das Widerrufsrecht auszulösen. Es muss ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem dahinterstecken, nur dann ist es auch ein Fernabsatzgeschäft (§ 312c Abs. 1 BGB).

Bereithalten vieler Kommunikationswege lässt keinen Rückschluss auf Fernabsatzsystem zu

Was für den folgenschweren Schluss auf ein Fernabsatzgeschäft auch nicht ausreicht: Wenn die Anwaltskanzlei alle möglichen Kommunikationswege wie Briefkasten, elektronische Postfächer, Telefon- und Faxanschlüsse vorhält und den Mandanten für den gegenseitigen Austausch anbietet. Die entsprechende Aussafgekraft fehlt hier, denn dies benötigen Anwälte für die Bewältigung ihres Arbeitsalltags.

Wann liegt bei einer Anwaltskanzlei ein Fernabsatzsystem vor?

Das unpersönliche Zustandekommen der Mandate muss das Standard-Geschäftsmodell sein. Dabei geht es letztlich in Richtung Legal Tech.

Roboter mit Telefon

Je näher die Kanzlei da dran ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit des Fernabsatzsystems. Das funktioniert in der Regel bei einer engen Spezialisierung, einer hohen Fallzahl gleichgelagerter Mandate und wenn es nicht ganz so wichtig ist, eine Vertrauensbasis durch persönliches Kennenlernen aufzubauen, bevor man miteinander arbeitet.

Anwalt muss beweisen, dass er nicht mit Fernabsatzsystem arbeitet

Ganz wichtig: die Beweislast ist eine negative und liegt beim Rechtsanwalt: Kommt der Vertrag im Einzelfall per Fernkommunikation zustande, wird ein dahinterstehendes System vermutet.

  • Der Anwalt muss darlegen und beweisen,
  • dass der Vertrag nicht innerhalb eines für den Fernabsatz organisierten Dienstleistungssystems erfolgt ist.

Letztlich muss er das Gericht überzeugen, dass der Vertragsabschluss mehr oder weniger zufällig per Fernkommunikation zustande kam.

Außendarstellung und Werbung der Kanzlei kann wichtige Hinweise geben

In dem hier streitigen Fall ist der Kanzlei dies nach Einschätzung des BGH nicht gelungen. Zu viele Indizien sprachen für das Fernabsatzsystem, die die Anwälte nicht entkräften konnten. Der BGH schaute sich ganz genau die Werbung der Kanzlei auf deren Homepage, die Angaben zur Mandatsakquise und die Bürosituation an.

Auf der Webseite der Kanzlei hieß es u.a.:

„Wir stehen jederzeit auch telefonisch und elektronisch für interessierte Mandanten bereit…

Der Ortsbezug verliert immer mehr an Bedeutung. Die vermeintliche persönliche Erreichbarkeit ist nicht entscheidend. Entfernung spielt keine Rolle. Dank unserer modernsten technischen Ausstattung können wir Ihr Anliegen schnell und ohne Zeitverlust bearbeiten.“

Bundesweite Tätigkeit, hohe Mandatszahlen, wenige Präsenz-Büros sprechen für Fernabsatz

Die Kanzlei ist auf Hochschul- und Prüfungsrecht spezialisiert, bundesweit tätig und vertritt auch praktisch Mandanten aus allen Bundesländern. Sie hat ihren Hauptsitz in Köln und Kontaktstellen in Frankfurt a.M., Hamburg und München. Pro Monat erhalten sie ca. 200 Mandatsanfragen aus ganz Deutschland. Die schiere Anzahl der Mandate im Verhältnis zu den wenigen Büros zeichnete hier ein deutliches Bild.

(BGH, Urteil v. 19.11.2020, IX ZR 133/19)

Praxistipp: Vorsorgliche Widerrufsbelehrung

Anwaltskanzleien, die sich im Grenzbereich bewegen, sind gut beraten sich eine Widerrufsbelehrung gegenzeichnen zu lassen, wenn sie einen Mandanten ohne persönliches Gespräch übernehmen. Zusätzlich macht eine Einverständniserklärung Sinn, dass sofort mit der anwaltlichen Tätigkeit begonnen werden kann bei vorzeitigem Verlust des Widerrufsrechts.

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Schlagworte zum Thema:  Widerrufsrecht, Vertrag, Rechtsanwalt