Von langsamen, gründlichen und/oder faulen Richtern

Gerichtsverfahren können dauern: 3, 5 oder auch 10 Jahre. Darf ein Richter, der weniger Fälle als üblich erledigt, von Dienstvorgesetzten zu höherem Arbeitstempo angehalten werden? Oder erlaubt ihm die richterliche Autonomie, seinem Gründlichkeitsanspruch, auch um den Preis geringerer Geschwindigkeit, Rechnung zu tragen? Welche Rechte haben die Verfahrensbeteiligten bei einer überlangen Prozessdauer?

Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist für die betroffenen Prozessbeteiligten oft ein wesentlicher Faktor dafür, ob sie einen Prozess als fair und gerecht empfinden oder nicht. Ein Rentner, der gegen eine zu niedrige Rente klagt, hat nichts davon, wenn das zuständige Sozialgericht erst nach zehn Jahren ein Urteil spricht und er möglicherweise bereits vorher verstorben ist. Solche Fälle kommen vor und zeigen, dass Rechtspositionen regelrecht  leerlaufen können, wenn ein Verfahren zu lange dauert.

Gründlichkeit vor Schnelligkeit

Ein Freiburger Richter im Freiburger Außensenat des OLG Karlsruhe tat sich nach Auffassung der Gerichtspräsidentin mit der zügigen Erledigung der ihm anvertrauten Verfahren schwer.

Die ehemalige OLG-Präsidentin mahnte ein höheres Arbeitstempo an und begründete dies damit, der Richter habe eine ganze Reihe von Verfahren „nicht oder jedenfalls nur völlig unzureichend bearbeitet“. Hiergegen hat der gerügte Richter sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gewehrt.

Besonders sorgfältig und gründlich

Er sieht sich als einen besonders sorgfältig und gründlich arbeitenden Richter. Er nehme die ihm anvertrauten Verfahren sehr ernst und versuche, durch seine gründliche Arbeitsweise den unterschiedlichen sachlichen und juristischen Schwierigkeitsgraden der Fälle gerecht zu werden.

Wenn die Gerichtspräsidentin versuche, durch ihre Ermahnung einen ungerechtfertigten Erledigungsdruck auf ihn auszuüben, so sehe er sich dadurch in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt. Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit.

Über die Kosten richterliche Unabhängigkeit

In der Verhandlung vor dem Dienstgerichtshof für Richter am OLG Stuttgart sprach der gerügte Richter sogar von einem politisch motivierten Prozess. Die grün-rote Landesregierung wolle den Kostenaufwand für Richter drücken. Er erklärte „Richterliche Unabhängigkeit kostet Geld“. Die richterliche Unabhängigkeit lasse sich mit vorgegebenen Erledigungsquoten nicht vereinbaren.

Erledigungsdruck und richterliche Unabhängigkeit - ein Spannungsverhältnis

Der Vorsitzende des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg, Matthias Grewe, wies auf das Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Erledigungsgeschwindigkeit hin. Jedoch sei im vorliegenden Fall in mehreren Verfahren die Grenze einer angemessenen Erledigungsdauer maßgeblich überschritten worden, so dass die Ermahnung gerechtfertigt gewesen sei.

Entschädigungsanspruch der Beteiligten bei überlangen Verfahren

Betroffene Prozessbeteiligte fragen, welche Rechte sie selbst haben, wenn ein Verfahren sich übermäßig lange verzögert. Der Gesetzgeber hat die grundsätzliche Problematik einer überlangen Erledigungsdauer von Verfahren bereits vor Jahren erkannt. Am 3.12.2011 ist das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren (ÜGG) in Kraft getreten. Gemäß § 198 GVG ist ein Verfahrensbeteiligter, der infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet, angemessen zu entschädigen. Hierbei wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Die Regelentschädigung beträgt 1.200 Euro pro Jahr der Verzögerung.

Einzelfälle

  • Bei einem Rechtsstreit wegen überlanger Verfahrensdauer über die Rückzahlung von Ausbildungsförderung in Höhe von 17.000 Euro, der in erster Instanz sechs, in 2. Instanz knapp zwei Jahre gedauert hat, hat das BVerwG eine Entschädigung von insgesamt 6.000 Euro zugesprochen und eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von fünf Jahren angenommen (BVerwG, Urteil v. 11. 7.2013, 5 C 23.12 D).
  • Das Verfahren einer Polizistin, die wegen ihrer Umsetzung in ein anderes Revier geklagt hatte und zwei Jahre auf eine mündliche Verhandlung warten musste, hat das BVerwG als einfach gelagerten Rechtstreit gewertet, in dem die mündliche Verhandlung innerhalb des ersten Verfahrensjahres hatte angesetzt werden müssen. Es sprach der Polizistin für immaterielle Nachteile eine Entschädigung in Höhe von 1.200 Euro zu sowie den Ersatz zusätzlich entstandener Fahrkosten in Höhe von 1.800 Euro (BVerwG, Urteil v. 11.7.2013, 5 C 27.12 D).
  • Den jahrelang vor dem Sozialgericht geführten Rechtsstreit über die Einordnung einer Erkrankung als Berufskrankheit hat das LSG Berlin ebenfalls als überlang eingeordnet und dem Betroffenen eine Entschädigung in Höhe von 3.600 Euro zugesprochen (LSG Berlin, Urteil v. 4.9.2013, L 37 SF 65/12)

Die Prozessordnungen enthalten Instrumente zur Arbeitsersparnis

Grundsätzlich lassen sich die Menschen in solche unterteilen, die eher gemächlich arbeiten und solche, die tendenziell fleißig sind. Auch der weniger emsige Mensch arbeitet. Er arbeitet aber vornehmlich an Strategien, Arbeit zu vermeiden. Die Prozessordnungen geben dem tendenziell weniger fleißigen Richter sogar Instrumente an die Hand, seiner Leidenschaft zu frönen.

Im Strafrecht ist es das Instrument der Verfahrenseinstellung, z.B.  nach §§ 153, 153a StPO. Im Zivilrecht und anderen Gerichtszweigen ist es der auf die Parteien ausgeübte leichte Druck, sich vergleichsweise zu einigen und so ohne aufwändiges Urteil zu einer Verfahrensbeendigung zukommen.

Damit soll aber keinesfalls unterstellt werden, der Gesichtspunkt der Arbeitsersparnis sei das Hauptmotiv einer solcher richterlichen Verfahrensweisen. § 278 ZPO animiert den Richter geradezu zu dieser Verfahrensweise, wenn es dort heißt: „Das Gericht soll jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein“. Richter die von diesen Möglichkeiten häufig erfolgreich Gebrauch machen, tragen zum Rechtsfrieden bei und steigern damit gleichzeitig ihre Erledigungsquote, was dann auch den Gerichtspräsidenten freut. 

Ein Urteil bedeutet Zeit- und Arbeitsaufwand

Muss der Richter den Rechtsstreit allerdings auf normalem Wege, sprich durch Urteil, erledigen, so bleiben ihm die zeitaufwändige Analyse des Sachverhalts und die juristische Subsumtion nicht erspart. Kommt er dabei zu häufig nicht zu Potte, so kann dies schlimmstenfalls zu einer Ermahnung führen, wie bei dem Freiburger OLG-Richter. 

Beim OLG hatte er mit seiner Beschwerde keinen Erfolg. Er hat aber bereits angekündigt, gegen die ablehnende Entscheidung des OLG voraussichtlich Revision zum Dienstgericht des Bundes beim BGH einzulegen - und so ganz von der Hand zu weisen ist das von ihm vorgebrachte Gründlichkeitsargument ja auch nicht.

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