Vollpfosten ist kein Grund, einen Facebook-Account zu sperren

Eine Frau hatte einen rechten Aktivisten in einem Tweet als Vollpfosten bezeichnet. Daraufhin wurde ihr der Facebook-Account gesperrt. Die Sperrung bewertete das Tübinger AG als Verletzung der gegenüber dem User eingegangenen vertraglichen Verpflichtung. Die Bezeichnung als Vollpfosten sei eine polemisch überspitzte Formulierung, die von der Meinungsfreiheit noch gedeckt sei.

Anlass für den Post der Facebook-Aktivistin war ein Artikel in der Berliner Tageszeitung „taz“. Dort wurde über eine Aktion von Rechtsaktivisten der völkisch orientierten „Identitären Bewegung“ berichtet. Diese hatten ein Schiff allein zu dem Zweck gechartert, um NGOs bei der Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen im Mittelmeer zu behindern.

Aktivistin bezeichnet Identitäre als „Vollpfosten“

Die Facebook-Nutzerin führte mit verschiedenen Usern im Internet darüber einen streitigen, teilweise auch aggressiven Disput. Einer der User relativierte die Aktion der Identitären mit dem Argument, diese seien mit ihrem Schiff lediglich einige 100 m hinter dem Rettungsschiff hergefahren, weil sie befürchtet hätten, dass die dortige Besatzung  Schlepper unterstütze. Die Facebook-Aktivistin setze darauf einen Post ab mit dem Inhalt:

Vollpfosten sind Vollpfosten und basta“.

Facebook sperrt den Account der Aktivistin

Facebook reagierte auf den Post ungewohnt scharf. Das Netzwerk nahm den Kommentar aus dem Netz und sperrte den Account der Facebook-Aktivistin für 30 Tage, unter anderem mit dem Argument, der Post der Aktivistin habe einen beleidigenden Inhalt. Die Sperrung des Accounts sei erforderlich, weil die Aktivistin bereits zum dritten Mal mit beleidigenden Posts  aufgefallen sei.

Klägeranwalt rügt Rechtsverletzung durch Facebook

Diese Reaktion von Facebook wollte sich die Aktivistin nicht gefallen lassen und reichte Klage ein. Ihr Rechtsanwalt Chan-jo Jun, der sich inzwischen als Facebook-Spezialist einen deutschlandweiten Ruf erworben hat, argumentierte,

  • Facebook verpflichte sich gegenüber seinen Mitgliedern vertraglich, diesen eine Plattform zur Kommunikation zur Verfügung zu stellen.
  • Diese vertragliche Verpflichtung habe Facebook gegenüber seiner Mandantin verletzt, da Facebook ihr für 30 Tage keinen Zugang zu ihrem Account gewährt habe.
  • Eine Rechtfertigung für die Sperrung sei nicht erkennbar, da seine Mandantin keine Rechtsverletzung begangen habe.

AG formuliert Voraussetzungen für eine Sperrung

Das AG Tübingen fand die Argumentation der Klägerin überzeugend und erklärte die Sperrung für rechtswidrig. Facebook sei nur dann berechtigt, eine Kommunikationsplattform zu sperren, wenn

  • der User entweder gegen allgemeine Gesetze verstoße oder
  • mit einer Veröffentlichung die von Facebook gesetzten Gemeinschaftsstandards verletze.

Bezeichnung als Vollpfosten durch Meinungsfreiheit gedeckt

Nach diesen Grundsätzen sei der konkrete Post der Facebook-Aktivistin zu bewerten.

  • Objektiv sei die Bezeichnung Vollpfosten ein Synonym für „Dummkopf“ und stelle somit eine herabwürdigende Bezeichnung dar.
  • Im Rahmen einer Diskussion über eine politische Aktion sei diese Bezeichnung allerdings als überspitzter polemischer Kommentar von der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsfreiheit gedeckt.
  • Insoweit entfalte das Grundrecht der Meinungsfreiheit mittelbare Wirkung auf das Rechtsverhältnis von Facebook zu seinen Mitgliedern.

Gemeinschaftsstandards von Facebook nicht verletzt

Der Kommentar verletzt nach Auffassung des AG auch nicht die Gemeinschaftsstandards von Facebook und dort insbesondere nicht die Passage, wonach jedes Mobbing von Personen zu unterlassen ist.

  • Unter Mobbing sei nach allgemeinem Verständnis die Herabwürdigung von Privatperson zu verstehen.
  • Die Aktion der Rechtsaktivisten im Mittelmeer könne aber nicht als Aktion von Privatpersonen charakterisiert werden, sondern sei im Gegenteil auf eine gezielte öffentliche Wirkung angelegt gewesen.
  • In einem solchen Fall müssten politische Aktivisten mit entsprechenden Reaktionen der Öffentlichkeit, und zwar auch besonders kritischer oder polemischer Art rechnen,
  • andernfalls würde die freie öffentliche Diskussion in unzulässiger Weise geschmälert.

AG hält Klage in deutscher Sprache für zulässig

Interessant ist das Tübinger Urteil auch insoweit, als entgegen der Auffassung von Facebook das AG die Klage für zulässig gehalten hat. Facebook hatte argumentiert, die Klage sei unzulässig,

  • da sie nicht am europäischen Firmensitz von Facebook in Irland eingereicht worden sei
  • außerdem hätte die Klage dort in englischer Sprache formuliert werden müssen.

Das AG argumentierte.

Facebook biete seine Dienste unter anderem in deutscher Sprache und auf deutschen Computern auf deutschem Gebiet, u.a. in Tübingen an. Der Post sei in Deutsch verfasst gewesen und Facebook habe ihn auch in dieser Sprache geprüft. Damit stehe der Zulässigkeit einer Klage vor einem deutschen AG nichts im Wege.

Facebook prüft nun die Option, gegen das Urteil Berufung einzulegen.

(AG Tübingen, Urteil v. 11.1.2019, AZ nicht veröffentlicht)

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