VG rügt BVerfG wegen unzureichender Presseinformation

Das VG Karlsruhe hat im Rahmen einer von einer Journalistin geführten Klage die Informationspolitik des BVerfG als unzureichend kritisiert. Das höchste deutsche Gericht habe Fragen der Journalistin zu Unrecht nicht beantwortet.

In der Praxis kommt es äußerst selten vor, dass ein „einfaches“ Verwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit des Handelns des höchsten deutschen Gerichts zu urteilen hat. In der Regel ist es umgekehrt. Im Fall der Klage einer Bild-Journalistin gegen die Informationspolitik des BVerfG hat sich das VG Karlsruhe nun getraut, ein Zurückhalten von Informationen durch das höchste deutsche Gericht als rechtswidrig zu kritisieren.

Journalistin forderte Auskunft über Kanzlerabendessen

Die Klage der Bildjournalistin richtete sich gegen den Verwaltungsapparat des BVerfG. Die Journalistin hatte das BVerfG aufgefordert, Auskunft und Unterlagen zum Abendessen von Vertretern des BVerfG im Bundeskanzleramt am 30.6.2021 im Beisein von Verfassungsrichtern, der Kanzlerin Angela Merkel sowie der damaligen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zu erteilen bzw. herauszugeben.

Verfassungsrichter und Regierungsmitglieder besprachen aktuelle Themen

Die Medien waren an dem Verlauf dieses Abendessens seinerzeit äußerst interessiert, da die Zusammenkunft in der Mitte der Corona-Pandemie stattfand und das BVerfG zeitnah über die Verfassungsmäßigkeit coronabedingter Beschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte in einer Vielzahl anhängiger Verfahren - unter anderem zur Corona-Notbremse - zu entscheiden hatte. Die Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer hatte - wohl auf eine kurzfristige Anregung des ebenfalls bei dem Abendessen anwesenden Präsidenten des BVerfG Stephan Harbarth - einen Impulsvortrag zum Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ gehalten. Die Bundesjustizministerin sprach bei der Zusammenkunft die Coronapolitik der Bundesregierung an.

Abendessen führte zu Befangenheitsanträgen

Die Beschwerdeführerin eines gegen die Bundes-Notbremse eingeleiteten Verfahrens sowie die AfD, die in dieser Zeitspanne ein Organstreitverfahren vor dem BVerfG gegen die Bundesregierung bzw. gegen die damalige Bundeskanzlerin im Zusammenhang mit den Äußerungen der damaligen Bundeskanzlerin zur Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD eingeleitet hatte, hatten wegen dieses Abendessens Mitglieder des 2. Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Befangenheitsanträge zurückgewiesen

Das Gericht hatte sämtliche Befangenheitsanträge zurückgewiesen. Die Teilnahme an einem Abendessen auf Einladung der Bundeskanzlerin sei nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegen die teilnehmenden Richter zu rechtfertigen. Das BVerfG als Teil der rechtsprechenden Gewalt und als oberstes Verfassungsorgan sei in die grundgesetzliche Gewaltenteilung eingebunden und nehme damit an der Ausübung der Staatsgewalt teil. Regelmäßige Treffen der Mitglieder des BVerfG mit der Bundesregierung seien hierbei ein wichtiges Element zum Gedanken- und Erfahrungsaustausch. Der Dialog der Verfassungsorgane gehöre zur demokratischen Normalität und sei nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unabhängigkeit dieser Organe zu rechtfertigen (BVG, Beschluss v. 20.7.2021, 2 BvR 4/20 u. 5/20).

Journalistin forderte vom Gericht Hintergrundinformationen

Eine Bildjournalistin hatte außerhalb der gerichtlichen Verfahren von der Justizverwaltung des BVerfG Auskunft über den Verlauf des Abendessens und die besprochenen Themen durch Herausgabe und Vorlage von Protokollnotizen, Aktenvermerken und ähnlichen Unterlagen gefordert. Sie vermisste insbesondere Informationen zum Inhalt der Rede der Bundesverfassungsrichterin Baer als auch Informationen zu einer offensichtlich vom Gerichtspräsidenten Stephan Harbarth veranlassten kurzfristigen Planungsänderung des Ablaufs der Zusammenkunft.

Pressestelle des BVerfG blockte Journalistin ab

Die Pressestelle des BVerfG beschied die Journalistin dahingehend, dass Unterlagen zu dem von der Verfassungsrichterin Susanne Baer gehaltenen Vertrag und zu kurzfristig gemachten Themenvorschlägen des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, nicht vorhanden seien. Weitere Fragen der Journalistin zu weiteren Akten und Verwaltungsvorgängen blieben anschließend unter wiederholtem Verweis auf die bisherige Korrespondenz unbeantwortet.

Journalistin beantragte einstweilige Anordnung gegen das BVerfG

Nachdem das Frage-Antwort-Spiel zwischen der Journalistin und der Pressestelle des BVerfG über Wochen ohne konkrete Antworten weiterlief und auch ein Hinweis der Journalistin auf ihren presserechtlichen Auskunftsanspruch zu keinen weiteren Antworten führte, beantragte diese beim VG Karlsruhe den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das BVerfG. Die Journalistin forderte auf der Grundlage der von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantierten Pressefreiheit, das BVerfG zu verpflichten, auf ihre, die Umstände des umstrittenen Abendessens betreffenden Fragen zu antworten.

Plötzlich kamen die Auskünfte doch

Hierauf schaltete das BVerfG seinerseits eine Anwaltskanzlei ein, die die von der Journalistin gestellten Fragen unter Vorlage weiterer Dokumente in einem umfassenden Schreiben weitgehend beantwortete. Hierauf erklärten die Parteien des vor dem VG geführten Verwaltungsrechtsstreits diesen übereinstimmend für erledigt.

BVerfG muss 2/3 der verwaltungsgerichtlichen Kosten tragen

Infolge der Erledigungserklärung hatte das VG nur noch über die Kostenverteilung zu entscheiden. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO regelt, dass das Gericht in einem solchen Fall die Kosten nach summarischer Prüfung der wechselseitigen Erfolgsaussichten zu verteilen hat. Das VG entschied, dass die von der Journalistin erhobenen Auskunftsansprüche wahrscheinlich zum überwiegenden Teil - 2/3 - begründet gewesen seien. Das BVerfG habe die geforderten Auskünfte unter Verletzung der presserechtlichen Informationsfreiheit der Klägerin zu Unrecht nicht erteilt und müsse deshalb 2/3 der beim VG entstandenen Kosten tragen, die Journalistin 1/3.

(VG Karlsruhe, Beschluss v. 14.6.2022, 4 K 233/22)