Verweigert der Anwalt die Maske, muss der Richter nicht vertagen

Bleibt einem Rechtsanwalt der Zutritt zum Gerichtsgebäude wegen verwehrt, weil er sich weigert, der Pflicht zum Tragen einer Maske nachzukommen,  kann die von ihm vertretene Prozesspartei hierdurch einen Prozess verlieren. Dem Anwalt droht dann Regress.

Das LSG Essen hat entschieden, dass der einem Rechtsanwalt untersagte Zutritt zum Gerichtsgebäude wegen der Weigerung, eine Gesichtsmaske zu tragen, kein Grund ist, eine gerichtlich angesetzten Verhandlungstermin zu vertagen. Das Handeln des Anwalts ist der von ihm vertretenen Prozesspartei zuzurechnen.

Klage auf Rente wegen Erwerbsminderung

Im konkreten Fall betraf die Maskenverweigerung des Rechtsanwalts einen Kläger, der eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hatte. Nach Abweisung des Rentenantrags und seiner hiergegen eingereichten Klage durch das SG hatte der Kläger seinen Anwalt mit Einlegung einer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil beauftragt.

Rechtsanwalt verweigerte sich der Maskenpflicht im Gerichtsgebäude

Nach schriftlicher Einreichung der Berufungsschrift hatte das LSG einen Verhandlungstermin anberaumt. Der Prozessvertreter des Klägers weigerte sich im Rahmen der Zutrittskontrolle zum Gerichtsgebäude gegenüber dem Justizpersonal, eine Maske zu tragen. Er verwies hierzu auf medizinische Gründe und legte ein ärztliches Attest vor. Das Attest enthielt lediglich die pauschale Angabe, der Anwalt sei aus medizinischen Gründen von der Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske befreit. Nähere Ausführungen zur Art der medizinischen Gründe enthielt das Attest nicht.

Rechtsanwalt beantragte Vertagung wegen unberechtigter Zutrittsverweigerung

Hierauf meldete sich der Anwalt telefonisch bei dem Vorsitzenden Richter der angesetzten Gerichtsverhandlung und beantragte mündlich die Vertagung der Verhandlung. Er verwies darauf, dass ihm bei der Einlasskontrolle am Gerichtsgebäude der Zutritt zu Unrecht verwehrt worden sein. Er habe ein ärztliches Attest vorgelegt, das ihn von der Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske befreie.

Vertagungsantrag zurückgewiesen

Der Vorsitzende Richter war nicht bereit, dem Vertagungsgesuch nachzukommen. Er befand den Inhalt des Attests, das der Rechtsanwalt bereits vor der Verhandlung an das Gericht gesandt hatte, als nicht ausreichend. Darauf hatte das Gericht den Anwalt vor der Verhandlung auch hingewiesen.

Maskenattest zu alt und zu wenig konkret

Das LSG vertrat die Auffassung, dass das vom September 2020 datierende Attest nicht geeignet war, den Einlass in das Gerichtsgebäude ohne Maske zu gestatten. Das Attest sei bei dem Termin im November 2021

  • über ein Jahr alt gewesen und
  • beinhalte keinerlei Ausführungen zu Inhalt und Art der ärztlichen Diagnose, die eine medizinische Indikation für eine Ausnahme vom Verbot der Maskenpflicht nahelegten.
  • Ein Attest habe auch Auskunft über die konkret zu befürchtenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch das Tragen einer Maske zu geben.

Rechtsanwalt hat keinen hinreichenden Vertagungsgrund glaubhaft gemacht

Nach Auffassung des Gerichts hat der Anwalt sein Ausbleiben in der angesetzten Gerichtsverhandlung schuldhaft selbst verursacht, da er trotz entsprechendem gerichtlichen Hinweis mit dem viel zu alten und nicht aussagekräftigen Attest zum Gerichtstermin erschienen sei. Deshalb habe der Rechtsanwalt keinen hinreichenden Grund für eine Vertagung der Berufungsverhandlung dargetan.

Prozesspartei muss sich Verschulden des Anwalts zurechnen lassen

Das LSG führte daher die Berufungsverhandlung durch und wies die Berufung wegen Abwesenheit des Rechtsanwalts des Berufungsklägers gegen das Urteil des SG als unzulässig zurück. Die Nichtteilnahme an der Berufungsverhandlung aufgrund des alleinigen Verschulden des Anwalts müsse der Berufungskläger sich zurechnen lassen.

Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt

Zur Begründung wies das Gericht ergänzend darauf hin, der Anwalt habe die Möglichkeit gehabt, sämtliche maßgeblichen Berufungsgründe vor Gericht vorzutragen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG gegenüber dem Berufungskläger sei deshalb nicht erkennbar.

(LSG Essen, Urteil v. 9.11.2021, L 18 R 856/20)

Hintergrund: Anforderungen an ärztliche Atteste

Die in den Coronaschutzverordnungen der Länder geregelten Anforderungen an ärztliche Atteste zu den zugelassenen medizinischen Gründen für einen Dispens von der Maskenpflicht sind unterschiedlich.

OVG Münster verlangt detaillierte Angaben zur Diagnose

In einer äußerst umstrittenen Entscheidung zur Maskenpflicht an Schulen hat das OVG Münster für die Befreiung von der Maskenpflicht aus medizinischen Gründen konkrete Anforderungen an die Ausgestaltung eines ärztlichen Attests aufgestellt. Nach Auffassung des OVG muss ein Attest nachvollziehbare Gründe angeben sowie konkrete gesundheitliche Beeinträchtigungen benennen, die der Verpflichtung zum Tragen einer Mundnasenbedeckung entgegenstehen. Das Attest müsse erkennen lassen, auf welcher medizinischen Grundlage der Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei. Eine nur pauschale Bezugnahme auf medizinische Gründe reiche zu einer Befreiung von der Maskenpflicht nicht aus (OVG Münster, Beschluss v. 24.9.2020, 13 B 1368/20).

Atteste mit Diagnose sind datenschutzrechtlich bedenklich

Die Entscheidung des OVG Münster wurde nicht nur unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten erheblich kritisiert. Dennoch sahen die Coronaschutzverordnungen vieler Länder lange Zeit vor, dass in ärztlichen Attesten die Gründe für einen Dispens von der Maskenpflicht nachvollziehbar anzugeben seien. Bis vor kurzem noch hat beispielsweise die Landesregierung NRW im Internet darauf hingewiesen, dass ein ärztliches Attest nur dann von der Maskenpflicht befreie, wenn es eine aussagekräftige Diagnose enthält, die die Befreiung nachvollziehbar macht. Inzwischen wurde dieser Hinweis geändert und der einschlägige § 3 Abs. 2 Nr. 16 CoronaSchVO NRW angepasst. Die Angabe einer Diagnose im Attest ist nun ausdrücklich nicht mehr erforderlich.

Viele Coronaschutzverordnungen inzwischen geändert

Auch die Coronaschutzverordnungen anderer Bundesländer enthalten das Diagnoseerfordernis inzwischen nicht mehr. Insgesamt ist die Lage aber immer noch uneinheitlich. Und: Das Urteil des LSG Essen gilt selbstverständlich nach wie vor und erst recht für Anwälte, die die Maske im Gericht ohne Vorliegen eines ärztlichen Attests verweigern - Regressansprüche der Mandantschaft nicht ausgeschlossen.