
Mit Wonder Legal geht ein weiteres Legal-Tech-Unternehmen in Deutschland an den Start. Gewerbliche und private Rechtsuchende können über www.wonder.legal.de ihren eigenen Miet- oder Gesellschaftsvertrag erstellen, ohne dass Dritte die Daten einsehen können. Wurde von Frankreich aus nun die juristische Online-Revolution ausgerufen?
Das Wunderding kommt aus Paris: Herausgeber ist das französische EDV-Unternehmen Miracle. Wonder.Legal hat nach eigenen Angaben seit 2015 in Frankreich rund 100.000 Kunden erreicht.
International auf dem Vormarsch
Jetzt ist die Website in vier weiteren Ländern verfügbar: Deutschland, Italien, Spanien und Brasilien.
Vollmundig ruft das Unternehmen die juristische Online-Revolution aus. Dank eines ausgefeilten Formularsystems werde ein juristischer Fachmann verzichtbar.
Rechtsrisiken werden verharmlost
Das ist natürlich völlig überzogen. Man stelle sich nur die zahlreichen Fallstricke beim Gesellschaftsvertrag vor. Hier braucht man nicht zuletzt an der Schnittstelle zum Steuerrecht einen hochqualifizierten realen Rechtsexperten in Gestalt eines erfahrenen Rechtsanwalts, der sämtliche Kniffe der Vertragsformulierung kennt.
Ein Team aus Rechtsanwälten und Rechtsexperten
Zwar erklärt Wonder.Legal auf seiner Homepage, dass „ein Team aus Rechtsanwälten und Rechtsexperten“ die Vorlagen erstellt. Doch wer die Anwälte und Rechtsexperten (was ist das?) namentlich sind, wird verschwiegen. Man gibt sein Rechsschicksal also in anonyme Hände. Wer bedenkt, dass er sich mit einem Miet- oder Gesellschaftsvertrag auf Jahre bindet, realisiert im Grunde genommen ein höchst riskantes Vorhaben – sei es als Unternehmer oder Verbraucher. Das bedarf eingehender persönlicher Beratung statt einiger oberflächlicher Formularfelder und anonymer Klicks.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Auch ein zweiter und dritter Blick in die Vorlagen und Ausfüllmöglichkeiten zeigt eine sehr überschaubare Variationsbreite, verglichen mit den Unterpunkten, Sonderlocken und Detailfragen, die schon eine mittelprächtige Fallbearbeitung auf einem gängigen Rechtsgebiet erfordert.
Revolutionär sind die derzeit rund 40 Vorlagen, die man online bei Wonder.Legal generieren kann, auch deshalb nicht, weil es diese Möglichkeit der Vertragserstellung schon seit der Jahrtausendwende in Deutschland gibt.
Marktpionier ist hierzulande www.janolaw.de. Seit einiger Zeit bietet zudem der Verlag Wolters Kluwer unter www.smartlaw.de die eigene Erstellung von Verträgen via Internet an. First Mover ist Wonder.Legal damit keineswegs.
Künstliche Intelligenz und ein Logikbaum
Das Unternehmen gibt an, in die scheinbar simple Funktionsweise „drei Jahre Forschung und Entwicklung“ gesteckt zu haben. „Die Herausforderung bestand in der Programmierung eines Systems, mit dem Dokumente den Bedürfnissen jedes Nutzers angepasst werden können", sagt Jeremie Eskenazi, Gründer von Wonder.Legal. Sein Team entwickelte ein KI-Modul (künstliche Intelligenz), das die Struktur eines Dokuments in Logikbäume zerlegt und es dynamisch macht. Das alles ist ziemlich vage und klingt gekünstelt.
KI in der Kanzlei: Vorarbeiten, nicht Rechtsberatung
Das soll nicht heßten, dass künstliche Intelligenz im Kanzleialltag unterschätzt werden dürfte. Immerhin geht die BCG-Studie „How Legal Technology Will Change the Business of Law“ davon aus, dass Software künftig 30 bis 50 Prozent der Aufgaben von Junior-Anwälten übernehmen könnte. Dadurch seien immer mehr Anwaltsjobs gefährdet.
Doch es ist nicht wirklich der Bereich der Rechtsberatung der wankt. Die sogenannte Legal Technology ermögliche mittels Software zwar die Digitalisierung und Automatisierung von Arbeitsabläufen,
- wie das automatisierte Auswerten von Vertragswerken,
- das Management von Fällen
- und Back-Office-Arbeiten.
Doch die Rechtsroboter können das juristische Denken in der Beratung nicht ersetzen und dabei hilft sogenannte künstliche Intelligenz wenig.
Juristische Denken ist mehr als Vorlagen vorlegen
Das Risiko, bei wichtigen Angelegenheiten an der falschen Vorlage hängen zu bleiben, ist heftig und realisiert sich zumeist zur Unzeit. Viele Rechtsuchende werden erfahren müssen, dass der schnelle Rechtsrat im Internet manchmal ein schmutziger und teurer Ratschlag war.
Einen Gesellschaftsvertrag mal eben per Mausklick zu generieren, an dem die Existenz und das Miteinander ganzer Familien hängt, ist extrem leichtsinnig. Geht etwas grundlegend daneben, weil eben ein Vertrag sich nicht für alle und alles schickt, geht es dann späterdoch zum Anwalt, häufig mehrmals.
Fazit: Der gerade entstehenden Legal-Tech-Kultur schaden überzogene Versprechen eher. Doch die Spreu wird sich auch im digitalen Rechtsmarkt schnell vom Weizen trennen. Am Ende bleibt nämlich meist nur einer übrig – der Marktführer im jeweiligen Segment, er entscheidt sich nicht anhand von Pressetexten.
Danke für Ihre Antwort. Unbestritten ist die Erstellung eines Gesellschaftsvertrages (oft) komplex und ich will die anwaltliche Beratungsleistung auch gar nicht kleinreden. Was mich stört ist aber der Gedanke, dass im Internet erstellte Verträge stets schlechter sind, als die, die ein Rechtsanwalt erstellt hat.
Letztendlich wird auch der im Gesellschaftsrecht beratende Anwalt dem Mandanten Fragen stellen und Erläuterungen geben müssen, von deren Beantwortung die Gestaltung des Vertrages abhängt. Diese Fragen und Erläuterungen können aber auch durch einen Vertragsassistenten abgebildet werden. Richtig ist, dass es bei bestehenden Dokumenten - sie erwähnten testamentarische Vorgaben - schwieriger (nicht unmöglich) wird.
Würden diese testamentarischen Vorgaben durch einen Vertragsassistenten nicht berücksichtigt, wäre dieser Assistent fehlerhaft - genauso fehlerhaft wie die Beratung durch einen Anwalt, der auf diese Möglichkeit nicht hingewiesen hätte. Denkbar und angesichts der angesprochenen Notwendigkeit von Anpassungen sinnvoll wäre aber auch ein kombiniertes und aufeinander abgestimmtes Angebot von Testament und Gesellschaftsvertrag.
Die von Ihnen und dem Autor des Artikels befürchteten Nachteile und Streitigkeiten wären das Ergebnis eines schlechten Internetangebots. Ein schlechtes Internetangebot spricht ebenso wenig gegen Internetangebote allgemein, wie die Falschberatung durch einen Rechtsanwalt gegen die Beratung durch Rechtsanwälte allgemein.
Welches dunkle Geheimwissen trägt dieser Anwalt mit sich, das nicht auch in einen Vertragsassistenten überführt werden könnte? Wieso ist eine persönliche Beratung einer Erstellung im Internet in jedem Fall überlegen? Ich fürchte, dieses Unbehagen ist einem diffusen Unbehagen gegenüber dem Internet geschuldet, denn viel seltener liest man eine Kritik an den zahlreichen Musterbüchern (auch zu Gesellschaftsverträgen), die es ja schon eine Weile länger gibt.