Verbote von Corona-Spaziergängen könnten rechtswidrig sein

Einstweilige Rechtsschutzanträge gegen die Verbote von Corona-Spaziergängen sind bei Verwaltungsgerichten gescheitert - zu Recht? Das Infektionsschutzgesetz könnte dem Versammlungsgesetz vorgehen und nach der Beendigung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite erlaubt es kein solches Verbot mehr.

Gegner von Corona-Maßnahmen, Impfgegner und Querdenker haben sich in den vergangenen Wochen häufig zu sogenannten „Spaziergängen“ zusammengeschlossen, um damit ihren Protest gegen die nach ihrer Auffassung überzogenen Freiheitsbeschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und gegen die bereits existierende partielle und die geplante Einführung einer allgemeinen Impfpflicht zum Ausdruck zu bringen.

„Spaziergänge“ als Tarnung für unangemeldete Demonstrationen

Die Szene verabredet sich häufig in „Telegram-Chatgruppen“. Die örtlichen Ordnungsbehörden versuchen regional diese Zusammenkünfte einzudämmen, da sie negative Auswirkungen auf die Pandemie befürchten. Die Zusammenkünfte werden in der Regel nicht angemeldet, viele Spaziergänger ignorieren die Maskenpflicht, die vorgeschriebenen Abstände und auch Hygienemaßnahmen. Gegenüber der Polizei erklären die Spaziergänger im Fall einer Überprüfung, sie seien unterwegs, um einzukaufen.

Landkreis „Südliche Weinstraße“ verbietet „Montagsspaziergang“

Am 27.12. 2221 hat der Landkreis „Südliche Weinstraße“ eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach ein nicht ordnungsgemäß angemeldeter sogenannter Montagsspaziergang sowie thematisch vergleichbare Ersatzversammlungen für den 3.1.2022 ganztägig verboten wurden. Zur Begründung der Allgemeinverfügung wies der Landkreis darauf hin, dass der geplante Montagsspaziergang in Wirklichkeit eine nicht angemeldete und damit unrechtmäßige Versammlung unter Umgehung der Corona-Regeln sei.

Sofortige Vollziehung angeordnet

In Anbetracht der hohen Inzidenz in der Südpfalz müsse die weitere Verbreitung des Coronavirus mit allen Mitteln eingedämmt werden. Die Untersagung sei zur Gefahrenabwehr erforderlich und verhältnismäßig, denn eine andere, den gleichen Erfolg versprechende Maßnahmen stünden nicht zur Verfügung. Der Landkreis ordnete die sofortige Vollziehung an.

Landkreisbewohner beantragt einstweiligen Rechtsschutz

Ein Bewohner des Landkreises Südliche Weinstraße legte gegen diese Allgemeinverfügung Widerspruch ein und beantragte bei Gericht, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung anzuordnen.

VG entscheidet aufgrund einer Rechtsfolgenabwägung

Das zuständige VG hat den Eilantrag abgewiesen. Nach der Bewertung der Kammer ist die rechtliche Beurteilung des Verbots von Montagsspaziergängen oder Ersatzveranstaltungen im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht möglich. Das Verbot sei weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig. Die rechtliche Beurteilung hänge von komplexen Rechtsfragen des Versammlungs- und des Infektionsschutzrechts ab, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten werden müssten.

Geltung des Versammlungsverbots lediglich für einen Tag

Das VG sah sich im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens daher nur in der Lage, im Rahmen einer Interessen- und Gefahrenabwägung zu entscheiden. Diese führe dazu, dass die zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung ergriffenen Maßnahmen wegen der mit einer kurzfristigen Aufhebung der Maßnahme verbundenen möglichen Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung zunächst Bestand haben müssten. Dabei berücksichtigte das Gericht, dass der Landkreis erklärt hatte, keine Verlängerung des Versammlungsverbots über den 3.1.2022 hinaus zu planen.

(VG Neustadt, Beschluss v. 3.1.2022, 5 L 1276/21.NW).

VG Karlsruhe entscheidet grundsätzlicher

Das VG Neustadt hat in seinem Beschluss wesentliche Rechtsfragen offengelassen. Zuvor hatte das VG Karlsruhe in einer ähnlich gelagerten Entscheidung rechtlich eindeutiger Stellung bezogen.

Stadt Karlsruhe untersagt generell Corona-Spaziergänge

Ende 2021 hat die Stadt Karlsruhe im Zusammenhang mit Coronaspaziergängen eine Allgemeinverfügung erlassen, wonach sämtliche Versammlungen, die auf

generelle Aufrufe zu Montagsspaziergängen oder allgemein zu Spaziergängen zurückzuführen sind,“ auf der Gemarkung der Stadt Karlsruhe „unabhängig vom Wochentag und unabhängig davon, ob einmalig oder wiederkehrend stattfindend

untersagt sind. Gleichzeitig hat die Stadt die sofortige Vollziehung angeordnet und die Auflösung von Versammlungen bei Zuwiderhandlung angedroht.

VG Karlsruhe lehnt einstweiligen Rechtsschutz ab

Gegen diese Allgemeinverfügung hat eine Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt und beim VG die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung beantragt. Das VG hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Nach Auffassung des VG sind begründete rechtliche Bedenken gegen die Allgemeinverfügung nicht erkennbar. Eine solche Allgemeinverfügung sei zur Verhinderung unrechtmäßiger nicht angemeldeter Versammlungen im Freien durch das Polizeirecht und damit letztlich von dem Gesetzesvorbehalt des Art. 8 GG gedeckt.

VG hält generelle Untersagungsverfügung für verhältnismäßig

Die Untersagung der Spaziergänge durch die angegriffene Allgemeinverfügung sei auch erforderlich und verhältnismäßig, denn nach bisherigen Erfahrungen hätten die Veranstalter der Spaziergänge diese bewusst genutzt um das Erfordernis der Anmeldung einer solchen Versammlung und die daraus in der Regel folgenden Auflagen, wie das Gebot zum Tragen einer Mundnasenbedeckung, die Einhaltung von Abstandsregeln und ähnliche Auflagen zu umgehen.

"Spaziergänger" gefährden die Gesundheit der Bevölkerung

Durch die fehlenden Anmeldungen würden die zuständigen Behörden daran gehindert, rechtzeitig die notwendigen organisatorischen Maßnahmen zu treffen, um die Beachtung der Coronaregeln sowie der weiteren versammlungsrechtlichen Bestimmungen zu überwachen und durchzusetzen. Durch die bisherige Art dieser Spaziergänge sei die öffentliche Sicherheit, insbesondere die Gesundheit der Bevölkerung erheblich gefährdet. Daher könne dem Widerspruch gegen die erlassene Allgemeinverfügung keine aufschiebende Wirkung zuerkannt werden.

(VG Karlsruhe, Beschluss v. 22.12.2021, 3 K 4579/21).

Hintergrund: Spazierengehen in Zeiten der Pandemie

Die Rechtslage zur Beurteilung der Corona-Spaziergänge ist durchaus komplex. Die vom VG Neustadt erhobenen Hinweise auf eine möglicherweise widersprüchliche Rechtslage sind nicht von der Hand zu weisen.

Verfassungsrechtliche Aspekte

Art. 8 GG gibt allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich zu versammeln. Art. 8 Abs. 2 GG enthält einen Gesetzesvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel. Das BVerfG definiert die Versammlung als

  • eine Zusammenkunft mehrerer Personen
  • zur gemeinschaftlichen Erörterung oder Kundgebung
  • mit dem Ziel der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung (BVerfG, Beschluss v. 17.4.2020, 1 BvQ 37/20; Beschluss v. 12.7.2001, 1 BvQ 28/01).

Eine vom Veranstalter vorgenommenen abweichende Etikettierung (z.B. als Spaziergang) ändert an dieser Qualifizierung nichts.

Die Anmeldepflicht des VersammlG

Näher ausgestaltet ist das Versammlungsrecht im VersammlG. Gemäß § 2 VersammlG sind Versammlungen im Freien anmeldepflichtig. Durch diese Anmeldepflicht soll den zuständigen Behörden die Möglichkeit gegeben werden, mögliche Gefahren einzuschätzen und gegebenenfalls Auflagen zu erteilen oder eine Versammlung auch gemäß § 5 VersammlG zu untersagen.

Die Regelungen des IfSG

Auch das IfSG enthält versammlungsspezifische Regelungen. Gemäß § 28 Abs. 1 IfSG kann die zuständige Behörde zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten Schutzmaßnahmen ergreifen und Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten. § 28 a Abs. 1 IfSG enthält einen Katalog von Maßnahmen, die Behörden für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG ergreifen können. Dazu gehört gemäß § 28 a Abs. 1 Ziff. 10 auch die Untersagung sowie die Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Ansammlungen und Versammlungen.

Problem der Beendigung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite

Ist - wie derzeit der Fall - die Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite beendet, so sind gemäß § 28 a Abs. 8 IfSG bestimmte Beschränkungen wie die Schließung von Betrieben, Gewerben, Einzel- und Großhandel, die Untersagung der Sportausübung sowie die Anordnung von Ausgangsbeschränkungen ausgeschlossen. Gemäß § 28 a Abs. 8 Nr. 3 IfSG ist auch die Untersagung von Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG nach Beendigung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite ausdrücklich ausgeschlossen. Mit einer erneuten Feststellung der epidemischen Lage ließe sich dieses Problem lösen.

Widersprüchliche Regelung in VersammlG und IfSG

Dem Ausschlusstatbestand des § 28 a Abs. 8 Nr. 3 IfSG steht die allgemeine Vorschrift des § 15 Abs. 1 VersammlG gegenüber. Hiernach kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten oder von Auflagen abhängig machen, wenn durch die Versammlung die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Das Spannungsverhältnis dieser Vorschrift zu dem Ausschlusstatbestand des § 28 a Abs. 8 Nr. 3 IfSG ist in der Rechtsprechung bisher nicht geklärt und bedarf nach dem Beschluss des VG Neustadt einer komplexen rechtlichen Bewertung im Hauptsacheverfahren. Eine denkbare Qualifizierung des § 28 a Abs. 8 Nr. 3 IfSG als lex specialis gegenüber der allgemeineren versammlungsrechtlichen Regelung könnte für die Behörden zum Problem werden. Möglicherweise wird die frischgebackene Ampelkoalition ihre im Eiltempo eingeführten Änderungen des IfSG zumindest in diesem Punkt nochmals nachbessern müssen.

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