Umstrittenes Urteil zum Abschuss eines Wolfes - Ärger um Isegrim

Das AG Potsdam hat einen Jäger freigesprochen, der gezielt einen Wolf abgeschossen hat. Das Amtsgericht gestand dem Jäger eine Notstandslage zu, weil der Wolf Jagdhunde angegriffen hatte. Die Rückkehr des Protagonisten viele Grimm-Märchen erhitzt die Gemüter und entfacht Kontroversen.

Die Entscheidung  stieß sowohl auf Zustimmung als auch auf Kritik. Der Sprecher des Deutschen Jagdverbandes, Torsten Reinwald, sprach dem Urteil Signalwirkung für alle Jäger zu, die nun das Recht hätten, ihre Hunde vor gefährlichen Wölfen zu schützen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) widersprach.

Die Rückkehr der Wölfe - Nutztierhalter schlagen Alarm

Nicht nur für Schäfer und andere Nutztierhalter, auch für Jäger entwickelt sich die in den letzten Jahren zu beobachtende zunehmende Verbreitung von Wölfen in Deutschland zum Problem. Einerseits steht der Wolf unter Naturschutz, andererseits beklagen sowohl Halter von Nutztieren als auch Jäger, dass Wölfe in immer größerer Zahl andere Tiere wie Schafe, Nutztiere und Hunde angreifen.

19 illegale Abschüsse von Wölfen in Brandenburg

In dem vom AG Potsdam entschiedenen Fall hatte ein Jäger im Januar 2019 in einem Waldgebiet südwestlich von Berlin zur Selbsthilfe gegriffen und einen Wolf während einer Jagd erschossen. Die zuständige StA hat den Jäger wegen Verstoßes gegen das BNatSchG angeklagt. Es ist der erste in Deutschland vor Gericht wegen eines Wolfsabschusses verhandelte Fall. Nach Angaben des brandenburgischen Landesamtes für Naturschutz sind allein in Brandenburg seit 2017 19 Wölfe illegal abgeschossen worden. Die Behörde drängt deshalb auf strafrechtliche Verfolgung der Täter.

Jäger beruft sich auf rechtfertigenden Notstand

Der angeklagte Jäger berief sich in der mündlichen Verhandlung auf den Rechtfertigungsgrund des Notstandes. Nach seiner Darstellung saß er während einer Treibjagd im brandenburgischen Fläming auf einem Hochstand. Von dort habe er beobachten können, wie der Wolf einige Jagdhunde angegriffen habe. Zum Schutz der Hunde sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als den Wolf zu erschießen.

Widersprüchliche Beweisaufnahme

Die anschließende Beweisaufnahme mit acht Zeugen verlief widersprüchlich. Teilweise bestätigten die Zeugen die Angaben des Angeklagten, obwohl die Zeugen den Vorfall selbst nicht beobachten konnten. Die Zeugen hatten aus den von ihnen akustisch vernommenen Geräuschen der laut bellenden Hunde ihre Schlüsse auf den Geschehensablauf gezogen. Einer der Jäger vertrat in der Beweisaufnahme eine klare Gegenposition und verwies darauf, dass im Fall eines Angriffs auf die Jagdhunde Kampfspuren hätten sichtbar sein müssen. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Auch die hinzugezogene Tierpathologin konnte keine körperlichen Spuren einer behaupteten Beißerei entdecken.

In dubio pro reo: Freispruch mangels Beweisen

Angesichts der unübersichtlichen Beweislage kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die von dem Angeklagten behauptete Notstandslage nicht zu widerlegen sei. Nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ (→ Latein für viele Fälle: Judex non calculat?) sei der Angeklagte daher vom Vorwurf der Verletzung des BNatSchG freizusprechen.

(AG Potsdam, Urteil v. 21.6.2021, 82 Ds 82/20)

Reaktionen auf das Potsdamer (Wolfs-)Urteil

Die Reaktionen zum Potsdamer Urteil fallen unterschiedlich aus. Der Geschäftsführer des BUND-Brandenburg erklärte, es sei keine Frage, dass Jäger in Notstandssituationen ihren eigenen Hund vor Angriffen eines Wolfs schützen dürfen. Er widersprach aber der Einschätzung des Jagdverbandes, das Urteil habe Signalwirkung. Der BUND betonte, der Abschluss von Wölfen im Fall von Überbeständen bedürfe besonderer Sachkenntnis. Insbesondere müsse darauf geachtet werden, dass keine Leitwölfe abgeschossen würden, die ein Rudel führen. Sobald der Leitwolf fehle, erhöhe sich die Gefahr erheblich, dass die übrigen Wölfe unkontrolliert andere Tiere angreifen.

Hintergrund: Wolfsschutz

Der Abschluss von Wölfen ist in Deutschland zurzeit ein heißumstrittenes Thema. Auch innerhalb der Regierungskoalition besteht Streit über den erforderlichen Umfang des Schutzes von Wölfen vor einer Bejagung. Während Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner den Schutz der Wölfe zu Gunsten der Halter von Nutztieren deutlich beschneiden will, räumt die sozialdemokratische Umweltministerin Svenja Schulze dem Schutz der Wölfe einen hohen Rang ein.

Wölfe stehen international, europarechtlich und nationalrechtlich unter Schutz

  • Wölfe sind international durch das Washingtoner Artenschutzabkommen sowie durch die Berner Konvention geschützt. Beide Abkommen wurden von Deutschland ratifiziert und sind damit verbindliches Recht.
  • Europarechtlich sind Wölfe durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) über den dortigen Anhang IV geschützt. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, für einen lebensfähigen Bestand der Wölfe in den Mitgliedsländern zu sorgen.
  • National sind die Wölfe gemäß §§ 44 ff BNatSchG geschützt.

Gemäß § 45a Abs. 2 BNatSchG ist der Abschuss von einzelnen Mitgliedern eines Wolfsrudels nur in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen auch ohne Zuordnung der Schäden zu einem bestimmten Einzeltier zulässig.

Strafrechtliche Sanktionen und länderspezifische Bußgelder

Unerlaubte Abschüsse sind strafbar und werden gemäß §§ 69 ff BNatSchG mit Geldstrafen oder mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft. Für die Umsetzung sind die Länder zuständig. Dem Jagdrecht unterliegen Wölfe nur in Sachsen, das die Wölfe jedoch mit einer ganzjährigen Schonzeit belegt hat. Die Bundesländer sehen für die Verletzung des Schutzes der Wölfe unterschiedliche Bußgelder vor in Höhe von 5.000 EUR in Rheinland-Pfalz bis zu 65.000 EUR in Brandenburg.

Bundeslandwirtschaftsministerin strebt höhere Abschussquote an

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner will den Abschuss von Wölfen insgesamt erleichtern. Es sei ein regionales Bestandsmanagement erforderlich, um die jährlich über 3.000 Wolfsrisse von Nutztieren einzudämmen. Sie kündigte erst kürzlich einen härteren Umgang der nächsten Bundesregierung mit dem Wolf an.

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