Übersinnliche Phänomene in virtueller Gerichtsverhandlung

Mysteriöse Geisterverhandlung am Arbeitsgericht Köln: Eine Gerichtsverhandlung per Videokonferenz endet mit einem Urteil. Anwälte, Kläger und Beklagter bestreiten, dass eine Verhandlung stattgefunden hat.

Ein mysteriöses Gerichtsverfahren hat sich beim Arbeitsgericht Köln am 11.5.2023 ereignet. Die Kammer des Arbeitsgerichts, bestehend aus dem Vorsitzenden Richter und zwei ehrenamtlichen Richtern hat nach einer ca. 30-minütigen per Videokonferenz durchgeführten Gerichtsverhandlung ein Urteil gefällt. Anwälte und beteiligte Parteien bestreiten, an einer solchen Verhandlung teilgenommen zu haben.

Klage eines Arbeitnehmers auf Zahlung von Überstunden

Für 11:15 Uhr hatte das Arbeitsgericht die mündliche Verhandlung über die Klage eines Flughafenmitarbeiters auf Zahlung von knapp 70.000 EUR für geleistete Überstunden gegen seinen Arbeitgeber angesetzt. Um 11:18 Uhr eröffnete der Vorsitzende Richter die Gerichtsverhandlung per Videokonferenz.

Übliche Aufnahme der Prozessanträge

Nachdem der Vorsitzende Richter die Teilnehmer der Videoverhandlung begrüßt hatte, stellte er den Parteien zunächst die Frage nach den prozessualen Anträgen. Auf seine Frage, ob der Kläger den Antrag aus der Klageschrift stellt, nimmt er „ein leichtes Nicken“ wahr und nimmt den Antrag der Gegenseite auf Abweisung der Klage zu Protokoll.

Klage nach 30-minütiger Verhandlung abgewiesen

Im Anschluss erörtert der Richter den Fall mit den Parteien. Er ist etwas erstaunt, dass er auf eine ganze Reihe von Fragen keine Antworten erhält. Die Verhandlung endet nach ca. 30 Minuten mit einem klageabweisenden Urteil. In der den Anwälten elektronisch zugestellten Urteilsbegründung heißt es, der Kläger habe den von ihm geltend gemachten Anspruch nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Videokonferenz ohne Beteiligung des Gerichts?

Die Prozessbeteiligten und die Anwälte haben den Ablauf der Videoverhandlung völlig anders in Erinnerung. Nach ihrer Darstellung hat eine Gerichtsverhandlung überhaupt nicht stattgefunden. Zum anberaumten Videotermin haben sich nach Darstellung der Beteiligten diese in den Videokacheln auf ihren Bildschirmen gegenseitig gesehen und waren auch in der Lage, sich akustisch zu verständigen. Vom Gericht sei aber ­– mit einer kurzen, nur einen Augenblick währenden Ausnahme – weder etwas zu sehen noch etwas zu hören gewesen.

Gericht hat laut Protokoll verhandelt und Urteil erlassen

Die Anwälte haben nach ihrer Darstellung die Zeit bis ca. 12:00 Uhr mit Plaudern verbracht und schließlich beschlossen, mal bei Gericht nachzuhaken. Die Rechtsanwältin des Klägers setzte sich telefonisch mit der Geschäftsstelle in Verbindung, um zu fragen, wo das Gericht bleibt. Zu ihrer Überraschung klärte die Geschäftsstelle sie darüber auf, dass die Verhandlung bereits seit 15 Minuten beendet und ein Urteil ergangen sei.

Sachverhalt bleibt mysteriös

Was war passiert? Das Landesarbeitsgericht hat sich um Aufklärung bemüht, ist damit aber kaum weitergekommen. Zur Erklärung wird auf einen möglichen technischen Fehler der Videosoftware hingewiesen. Es sei denkbar, dass das Gericht die Teilnehmer sehen und hören konnte und verschiedene Gesten und Bemerkungen unzutreffend gedeutet hat. Sowohl der Vorsitzende als auch die beisitzenden Richter bestätigen jedenfalls, dass die Gerichtsverhandlung, so wie protokolliert, stattgefunden hat.

Anwältin hält Verhandlung für komplett erfunden

Die Anwältin des Klägers bezweifelt die Darstellung des Gerichts. Gegenüber „Zeit Online“ hat sie erklärt, sie sei überzeugt, dass das Gericht die Verhandlung komplett erfunden hat. Für den Umstand, dass sowohl der Vorsitzende Richter als auch die beiden ehrenamtlichen Richter ­– also immerhin 3 Personen – davon überzeugt sind, dass die Verhandlung stattgefunden hat, hat allerdings auch die Anwältin keine Erklärung.

Geisterverhandlung ohne Rechtsnachteile für die Beteiligten

Für die Parteien selbst hatte die kuriose Geisterverhandlung keine negativen Folgen. Die Anwältin des Klägers hat den Vorsitzenden Richter nachträglich erfolgreich wegen Befangenheit abgelehnt. In zweiter Instanz haben die Parteien dann einen Vergleich geschlossen und den Rechtsstreit einvernehmlich beendet.

Aufklärung wohl nicht mehr möglich

Das Landesarbeitsgericht sieht seine Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts inzwischen als erschöpft an. Die Aussagen des Vorsitzenden Richters und der ehrenamtlichen Richter seien mit der Darstellung der übrigen Prozessbeteiligten nicht in Einklang zu bringen. Eine andere Erklärung als irrtümliche Fehldeutungen des Verhaltens und der Äußerungen der für das Gericht sichtbaren Prozessbeteiligten sei nicht zu finden. Gründe, an der Glaubhaftigkeit der einen oder anderen Darstellung zu zweifeln, seien nicht erkennbar.

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