Trotz 144 Straftaten in den juristischen Vorbereitungsdienst?

Resozialisierung ist eine tragende Säule unseres Rechtsstaats. Dazu steht das OVG Berlin-Brandenburg: Einem vorbestraften Bewerber für das Rechtsreferendariat, der eine Jugendstrafe verbüßt hat, darf nicht der Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst verwehrt werden. Auch die recht erhebliche Höhe der Jugendstrafe von vier Jahren ändert daran nichts, auch weil Jugendstrafe ist keine Freiheitsstrafe ist.

Der vom OVG Berlin-Brandenburg entschiedene und erst kürzlich veröffentlichte Fall zwar einigermaßen spektakulär: Wegen Betrugs in 144 Fällen hatte das LG Saarbrücken den Bewerber im Jahr 2015 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt; im Juli 2017 verurteilte das LG Berlin den Bewerber wegen Urkundenfälschung in 170 Fällen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren.

Hoppla: Während der Haft 1. juristisches Staatsexamen mit Prädikat absolviert

Der verurteilte Straftäter nutzte die Haft zur Aufnahme eines Jurastudiums. Noch während der Verbüßung der Jugendstrafe bestand er das erste juristische Staatsexamen mit Prädikat. Nachdem die Verbüßung der restlichen Jugendstrafe Anfang des Jahres 2018 zur Bewährung ausgesetzt wurde, bewarb er sich für den juristischen Vorbereitungsdienst im Lande Berlin.

Bewerber klagt gegen die Ablehnung der Zulassung zum juristischen Vorbereitungsdienst

Die Bewerbung wies der für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst zuständige Präsident des Kammergerichts Berlin mit der Begründung zurück, dass die Bewährungszeit noch nicht beendet sei. Damit erfülle der Bewerber nicht die erforderlichen statusrechtlichen Voraussetzungen. Gegen diese Entscheidung reichte der fachkundige Bewerber Klage beim VG Berlin ein und verband diese mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Er beanspruchte die Zuteilung einer Referendarstelle im Wege der einstweiligen Anordnung.

VG weist Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurück

Das VG Berlin hatte erstinstanzlich keine Zweifel, dass angesichts der erheblichen Vorbelastung des Bewerbers, diesem die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst zu Recht versagt wurde. Das VG wies daher den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz mit der Begründung zurück, dass der Antrag in der Hauptsache offensichtlich keinen Erfolg haben könne.

Juristischer Vorbereitungsdienst begründet kein Beamtenverhältnis

Dem folgte das OVG als Beschwerdeinstanz nicht. Das OVG stellte klar, dass der juristische Vorbereitungsdienst im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses außerhalb des Beamtenverhältnisses gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 JAG Berlin-Brandenburg erfolgt. Dieses Ausbildungsverhältnis weise zwar Ähnlichkeiten mit dem Beamtenstatus, insbesondere mit dem Status von Beamten und Beamtinnen auf Widerruf auf, jedoch zeige die Vorschrift des § 20 Abs. 3 Nr. 2 JAO, dass die Anforderungen an die persönliche Integrität im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnisses weniger streng als im Beamtenverhältnis geregelt seien.

  • Gemäß § 20 Abs. 3 Nr. 2 der Ausbildung- und Prüfungsordnung für Juristen im Land Berlin (JAO) kann die zuständige Behörde den Bewerber die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst versagen, wenn dieser wegen einer vorsätzlichen Straftat rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist.
  • Demgegenüber sei gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG der Beamtenstatus bereits automatisch mit Rechtskraft des Urteils beendet, wenn der Beamte wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt werde.

Jugendstrafe ist keine Freiheitsstrafe

Der Begriff der Freiheitsstrafe erfasst gemäß ständiger Rechtsprechung nach seinem Wortsinn selbst für den strenger geregelten Beamtenstatus nicht jede Verwahrungsstrafe. Die Jugendstrafe sei ihrem Wesen nach keine Freiheitsstrafe. Die Begriffe Jugendstrafe und Freiheitsstrafe seien streng zu unterscheiden (BGH, Urteil v. 12.10.1989, 4 StR 445/89). Bei der Jugendstrafe stehe der Resozialisierungsgedanke im Vordergrund, bei der Freiheitsstrafe dominiere demgegenüber der Strafcharakter. Im Ergebnis kann nach der Bewertung des OVG daher eine Jugendstrafe nicht unter den in § 20 Abs. 3 Nr. 2 JAO verwendeten Begriff der Freiheitsstrafe subsumiert werden.

Wer seine Strafe noch absitzt, kann ich den Referendardienst

Das OVG wies darauf hin, dass für noch im Vollzug befindliche Jugendstrafen eine Sonderregelung gilt. Diese ließen sich unter dem Begriff der freiheitsentziehenden Maßnahmen des § 20 Abs. 2 Nr. 2 JAO fassen, wonach die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst ausscheidet, solange der Bewerber sich noch im Jugendvollzug befindet. Dies sei vorliegend aber nach Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung aber nicht mehr der Fall.

Recht auf fehlerfreie Berücksichtigung im Auswahlverfahren

Dennoch entsprach das OVG nicht dem Begehren des Antragstellers, ihm eine Stelle im juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Berlin zuzuweisen. Infolge der im Land Berlin üblichen Wartezeiten habe der Bewerber lediglich einen Anspruch darauf, im Rahmen seiner Bewerbung genauso behandelt zu werden wie andere Bewerber. Dem Bewerber sei nicht zuzumuten, auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu warten. Durch den Zeitablauf drohe sonst eine Vereitelung seines Rechts auf fehlerfreie Berücksichtigung im Auswahlverfahren gemäß § 11 JAG.

Jugendstrafe versperrt nicht den Weg zum Referendariat

Das OVG verpflichtete daher den Präsidenten des für die Zulassung zum Referendariat zuständigen Kammergerichts, den Bewerber unter Beachtung der Rechtsauffassung des OVG erneut zu bescheiden und ihm die Verurteilung zu einer Jugendstrafe im Rahmen der Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst nicht entgegenzuhalten.

(OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 12.11.2019, 4 S 51.19)

Upps: Bewerber schon wieder in U-Haft

Nach Informationen von „Legal Tribune Online“ dürfte das Verfahren dem Bewerber allerdings nicht viel gebracht haben, denn er soll sich zumindest Ende 2019 bereits wieder in Untersuchungshaft wegen des Verdachts des Betrugs und der Urkundenfälschung befunden haben.

Hintergrund: Andere Gerichte urteilen teils strenger

Das OVG Münster urteilt strenger. Nach einer Entscheidung des OVG kann einem Bewerber die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst versagt werden, wenn dieser durch mehrere Vorverurteilungen über einen Zeitraum von zehn Jahren gezeigt hat, dass er für die Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst unwürdig ist, § 30 Abs. 4 JAG NRW. Dies gelte selbst dann, wenn keine dieser Vorverurteilungen das Maß von einem Jahr Freiheitsstrafe erreicht. Im dortigen Fall ging es um Straftaten aus dem rechtsradikalen Milieu wie Volksverhetzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (OVG Münster, Beschluss v. 12.8.2015, 6 B 733/15).

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