Tod von Zivilisten im „Drohnenkrieg“ Teilerfolg vor OVG Münster

Zwei Jemeniten hatten die Bundesrepublik und das Bundesverteidigungsministerium wegen des Todes naher Familienangehöriger verklagt. Die im Jemen getöteten Zivilisten sollen Opfer von US-Drohnenangriffen, gesteuert über die US-Airbase im rheinland-pfälzischen Ramstein, sein. Die Kläger erzielten einen Teilerfolg: Die Bundesrepublik muss auf Einhaltung des Völkerrechts dringen.

Das OVG Münster verurteilte die Bundesrepublik Deutschland dazu, sich durch geeignete Maßnahmen zu

  • vergewissern, ob eine Nutzung der US-Airbase durch die Vereinigten Staaten für Einsätze von bewaffneten Drohnen im Jemen im Einklang mit dem Völkerrecht stattfindet. 
  • Sollte dies nicht der Fall sein, muss die Bundesrepublik gegenüber den Vereinigten Staaten auf Einhaltung des Völkerrechts hinwirken

Ungewöhnliches Verfahren zu einem Völkerrechtsthema

Diese Klage und eine gleich gelagerte eines Angehörigen eines getöteten Zivilisten aus Somalia  gehören zu den wohl ungewöhnlichsten Verfahren, die das OVG Münster bisher zu verhandeln hatte.

Der Vorsitzende Richter des OVG, Wolf Saringhausen, äußerte zu Beginn der mündlichen Verhandlung am 14.3.2019, er rechne mit einem Mammutverfahren, in dem die Prüfung von zahlreichen verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Fragen erforderlich sein wird und stellte eine erhebliche Dauer des Verfahrens in Aussicht.Nun hat das Gericht bereits am 19.3. eine Entscheidung gefällt (4 A 1361/15).

Zweifel ob US-Einsatzpraxis im Jemen humanitärem Völkerrecht entspricht

Für das OVG bestehen nach Auswertung aller verfügbaren öffentlichen Erklärungen der US-Administration Bedenken, dass die Einsatzpraxis für die Angriffe im Jemen dem Unterscheidungsgebot des humanitären Völkerrechts entsprechen, denn alle mit al-Qaida „assoziierten“ Kräfte werden hierbei als Beteiligte an einem weltweiten bewaffneten Konflikt angesehen.

Dies gelte auch, wenn Zeit und Ort eines möglichen Angriffs noch ungewiss sind. Dadurch bliebe unklar, ob sich die direkte bewaffnete Angriffe im Jemen auf zulässige militärische Ziele beschränken.

Drohne traf eine Hochzeitsgesellschaft

Die Familie der beiden jemenitischen Kläger hatte sich in einem Dorf im Jemen zu einer großen Hochzeitsfeier zusammengefunden, als plötzlich eine von einer Drohne ausgelöste Explosion das Haus erschütterte. Zwei der Hochzeitsgäste kamen ums Leben. Nach Darstellung der jemenitischen Kläger, handelte es sich um vom US-Militär gesteuerte Drohnen.

  • Die Drohnenpiloten hielten sich nach deren, von Militärexperten für plausibel gehaltenen Darstellung mit hoher Wahrscheinlichkeit in den USA auf,
  • die Daten seien über Glasfaserkabel von den USA aus zur US-Airbase Ramstein übermittelt
  • und von dort mittels einer Satellitenrelaisstation direkt an die Drohne gesandt worden.

Ziel der Drohnenangriffe war Terrorismusbekämpfung

Nach dem vom Bundesverteidigungsministerium nicht bestrittenen Sachvortrag der Kläger richteten sich die Angriffe gegen Mitglieder eines regionalen Ablegers von Al–Qaida, der „Al Qaida on the Arabian Peninsula“. Seit dem Jahr 2012 würden sogenannte „signature strikes“ durchgeführt, bei denen vom US-Militär Ziele aufgrund eines bestimmten Verhaltensmusters ausgewählt würden, ohne dass konkret bekannt sei, welche Personen dann in das Zielraster fielen. Dies habe im konkreten Fall zum Tod ihrer Verwandten geführt, die mit Terrorismus absolut nichts am Hut gehabt hätten.

  • Die Kläger begehrten mit ihrer Klage,
  • das Bundesverteidigungsministerium bzw. die Bundesrepublik zu verpflichten,
  • die Nutzung der US-Airbase Ramstein durch US-Militärs
  • zur Durchführung oder Unterstützung ihres Drohnen-Kriegs zu unterbinden.

Die Kläger machten die Befürchtung geltend, dass andernfalls sie und ihre Familien abermals Opfer von Drohnenangriffen werden könnten.

Bundesverteidigungsministerium gibt sich unwissend

Das Bundesverteidigungsministerium und die Bundesrepublik  wandten ein,

  • die Klage sei schon unzulässig, weil den Klägern jegliche Klagebefugnis fehle.
  • Im übrigen sei es überhaupt nicht bewiesen, dass der betreffende Drohnenangriff, der zum Tod der Angehörigen der Kläger geführt habe, tatsächlich von den USA initiiert worden,
  • geschweige denn über Ramstein gesteuert worden sei.

Die US Behörden erteilten deutschen Behörden hierüber auch grundsätzlich keine Auskunft.

Menschenrechtsorganisationen rügen Verletzung des Völkerrechts

Nach einer juristischen Expertise des „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR), die die Kläger gezielt unterstützt,

  • verstoßen gezielte Tötungen durch Drohnen
  • gegen das Völkerrecht
  • und die Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen.

Deutschland unterstützte die USA durch den Austausch von Informationen und die umfassenden Nutzungsrechte für die Militärstützpunkte insbesondere in Ramstein und auch in Stuttgart („U.S. Africa Command Stuttgart“). Der Generalsekretär der ECCHR, Wolfgang Kaleck, fordert daher seit langem, dass die Bundesregierung insbesondere die Nutzung der Militärstützpunkte für Drohnen-Angriffe verbieten muss, andernfalls sei sie für den Tod unbeteiligter Zivilisten mitverantwortlich.

Bundesregierung wegen Truppenstationierungsstatut ohne Handlungsoptionen?

Die Bundesregierung hat ihrerseits ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages erstellen lassen. Danach besteht für die Bundesregierung rechtlich keine Handhabe, gegen eine etwaige Steuerung der US-Drohnenangriffe von Deutschland aus vorzugehen.

Dies folge aus dem Truppenstationierungsstatut, das die Stationierung befreundeter Truppen in der Bundesrepublik regelt und diesen die eigenverantwortliche Entscheidung in solchen Fragen überlässt.

Das deutsche GG wirkt in Ausnahmefällen bis ins Ausland

Das VG Köln bejahte in der Vorinstanz grundsätzlich die Klagebefugnis der Kläger aufgrund der nicht auszuschließenden Befürchtung, dass den Klägern und ihren Familien Gefahren durch weitere Drohnenangriffe drohen könnten. Darüber hinaus verwies das Gericht auf ein

Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1999,

  • wonach auch nicht in Deutschland lebende Ausländer
  • sich ausnahmsweise auf das Grundgesetz berufen können,
  • wenn die nach dem Grundgesetz geschützten Rechte von Bürgern im Ausland durch ein hoheitliches Handeln der Bundesrepublik verletzt werden (BVerfG, Urteil v.14.7.1999, 1 BvR 2226/94).

Weiter Gestaltungsspielraum der Bundesregierung

Das VG verneinte im konkreten Fall aber das Vorliegen einer rechtswidrigen hoheitlichen Tätigkeit der Bundesrepublik.

  • Dem Gesetzgeber und der vollziehenden Gewalt stehe bei der Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Schutzpflichten ein weiter Einschätzungs-, Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu.
  • Nur unter ganz besonderen Umständen könne diese Gestaltungsfreiheit sich in einer Weise verengen, dass der Staat nur durch bestimmte Maßnahmen seiner Schutzpflicht Genüge tue (BVerfG, Beschluss v. 28.10.1987, 2 BvR 2029/83).

Das NATO-Truppenstatut von 1950, das die Stationierung von amerikanischen Militärs in Deutschland regelt, hilft in dem Fall nicht wirklich weiter, denn Drohnen waren damals noch kein Thema.

Eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeit der Judikative

Die Schutzverpflichtung der Bundesrepublik hinsichtlich des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 1, 2 GG erfasst nach Auffassung des VG auch nicht den Fall, dass ein ausländischer Staat von einem Stützpunkt in der Bundesrepublik aus Drohnenangriffe steuert oder diesen Stützpunkt als Hilfsmittel bei der Weiterleitung von Daten nutzt.

  • Ein solcher Vorgang sei Gegenstand der Außenpolitik der Bundesregierung und damit des internationalen Völkerrechts.
  • Die völkerrechtliche Beurteilung der Regierung sei durch innerstaatliche Gerichte nur begrenzt überprüfbar.

Die Einschränkung der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die Gerichte sei durch die in der Völkerrechtsordnung nur rudimentär entwickelte Möglichkeit begründet, im Streitfall die richtige Auslegung des Völkerrechts verbindlich feststellen zu lassen, die von Staat zu Staat sehr unterschiedlich ausfallen könne.

Die Gerichte dürften daher nur überprüfen, ob eine von der Bundesregierung eingenommene völkerrechtliche Position sich unter Zugrundelegung der rechtlichen Vorschriften als vertretbar oder unvertretbar darstelle. Eine darüber hinausgehende Prüfung stehe den Gerichten nicht zu.

Drohnenangriffe verletzen nicht per se das humanitäre Völkerrecht

Auf den konkreten Fall übertragen heißt das nach Auffassung des Gerichts, dass

  • die völkerrechtliche Einschätzung der Bundesregierung,
  • dass ausreichende Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht durch von den USA initiierten Drohnenangriffe nicht ersichtlich sind,
  • durch ein Gericht nicht beanstandet werden könne.

Drohneneinsätze dürfen keine unverhältnismäßigen Schäden in der Zivilbevölkerung verursachen 

Zwar komme es bei Drohneneinsätzen auch zur Tötung von Zivilisten, aber auch dies sei nicht zu beanstanden, wenn durch den Angriff auf ein legitimes militärisches Ziel keine unverhältnismäßigen Schäden in der Zivilbevölkerung in Kauf genommen würden.

  • Die völkerrechtliche Beurteilung, ob dies der Fall sein, obliege allein der Bundesregierung.
  • Außerdem sei die Bundesregierung entgegen der Auffassung der Kläger durchaus tätig geworden.

Sie habe Konsultationen mit der amerikanischen Regierung aufgenommen und darauf gedrungen, dass die USA Ramstein nur in einer dem geltenden deutschen Recht und dem internationalen Völkerrecht entsprechenden Weise nutzt.

Dies habe die amerikanische Regierung zugesagt. Einer solchen Zusage dürfe die Bundesregierung grundsätzlich vertrauen.

Im Ergebnis hatte das VG daher die Klage abgewiesen (VG Köln, Urteil v. 27.5.2015, 3 K 5625/14) und das OVG nun dem Kläger teilweise Recht gegeben.

Kollateralschäden nicht immer vermeidbar

Mit ähnlichen Argumenten hat das VG Köln auch die Klage eines Somaliers abgewiesen, der behauptet hatte, sein Vater sei infolge eines US-Drohnenangriffs, der aus dem rheinland-pfälzischen Ramstein gesteuert worden sei, im Jahre 2012 getötet worden. Sein Vater habe am 24.2.2012 in der Nähe von Mogadischu Kamele gehütet und sei einem Drohnenangriff zum Opfer gefallen, ein sogenannter Kollateralschaden. Ziel des damaligen Drohnenangriffs sei die islamische Terrormiliz Al-Shabaab gewesen, mit der sein Vater absolut nichts zu tun gehabt habe (VG Köln, Urteil v. 27.4.2016, 4 K 5467/15).

Bundesregierung gerät zunehmend in die Kritik

Nach einem Bericht der New York Times hat US Präsident Donald Trump den Drohnen-Krieg in Somalia gegen islamistische Terroristen stark ausgeweitet. Laut New York Times sind im Januar und Februar 2019 bei 24 Luftangriffen in Somalia 225 Menschen getötet worden, fast so viele wie im gesamten Jahr 2018. Nach einem Bericht des ARD-Nachrichtenmagazins „Panorama“ sollen von Deutschland aus auch Hinrichtungen seitens der USA in Afrika mittels Drohnen geplant und gesteuert werden. Die deutsche Regierung  verschließe davor aber die Augen.

OVG hat Zeugen angehört

Das OVG Münster hatte als informatorisch Zeugen befragt, nämlich eine Rechtsanwältin aus den USA sowie einen ARD-Journalisten.

Anmerkung:

Das grundsätzlich hinter den Fällen stehende Problem ist:

  • Die Tötung von Menschen in einem Drohnenkrieg ist enorm einfach und technisch geworden.
  • Die ausführende Person sitzt wie in einem Videospiel vor einem Bildschirm, steuert den Drohneneinsatz per  Maus oder per Joystick und gibt darüber den Tötungsbefehl, ohne auch nur annähernd die Folgen und das Leid der getöteten Personen mitzuerleben.

Menschenrechtsorganisationen warnen seit langem vor einer unkontrollierten Ausdehnung der Drohneneinsätze. Mit gerichtlichen Entscheidungen in Einzelfällen dürfte der damit verbundenen Problematik wohl nur schwer beizukommen sein. Letztlich wird nur ethisch verantwortliches Handeln der Politiker in der Lage sein, schweres Leid und Unrecht durch Drohnenangriffe nach Möglichkeit zu vermeiden. Ganz auszuschließen sind „Kollateralschäden“ bei Drohneneinsätzen wohl nie. Angesichts des aktuellen Verhaltens maßgeblicher Politiker in der Welt ist allerdings zu befürchten, dass der Appell an die ethische Verantwortung nicht ausreichen werden.

Hinweis:

Die Justiz in Nordrhein-Westfalen ist für die Verfahren zuständig, weil die Klagen sich gegen das Verteidigungsministerium der Bundesrepublik richten als Stellvertreter der Bundesregierung. Der erste Dienstsitz des Verteidigungsministeriums befindet sich immer noch in Bonn, so dass die Zuständigkeit der nordrhein-westfälischen Justiz eröffnet ist.