Tausende Bußgeldbescheide durch private Dienstleister anfechtbar?

Eine Grundsatzentscheidung des OLG Frankfurt sorgt für erhebliche Besorgnisse nicht nur bei hessischen Kommunen: Laut OLG sind Geschwindigkeitskontrollen durch private Dienstleister rechtswidrig. Bußgeldbescheide auf dieser Grundlage sind anfechtbar.

Bei einigen Kommunen ist die Entscheidung des OLG wie eine Bombe eingeschlagen. Seit längerem schalten in vielen Bundesländern nicht wenige Kommunen private Dienstleister bei der Überwachung des Straßenverkehrs ein. Für sie alle könnte die Entscheidung des OLG Frankfurt erhebliche Folgen haben. Die Entscheidung betrifft konkret die Unterstützung durch private Dienstleister bei der Durchführung von Geschwindigkeitskontrollen.

Arbeitnehmerüberlassungsvertrag mit privatrechtlicher GmbH

Gegenstand des beim OLG anhängigen Verfahrens war der Bußgeldbescheid gegen einen Verkehrsteilnehmer wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften. Die betreffende Gemeinde hatte mit einer privatrechtlichen GmbH einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zum Zweck der „Unterstützung bei der Durchführung von Geschwindigkeitsprotokollen, allgemeinen Datenverarbeitung und Erstellung von Messberichten“ geschlossen. Die Vergütung wurde nach Stundensätzen berechnet.

Geschwindigkeitsmessung durch Privatperson

Die konkret vom OLG zu beurteilende Geschwindigkeitsmessung hatte ein Angestellter dieser GmbH vorgenommen. Das zunächst zuständige AG Gelnhausen hat den Betroffenen freigesprochen, Begründung: Der Bürgermeister der Gemeinde Freigericht als Ortspolizeibehörde habe im Wege verbotener Arbeitnehmerüberlassung einen privaten Dienstleister mit der hoheitlichen Aufgabe der Verkehrsüberwachung beauftragt. Für die durch den privaten Dienstleister ermittelten Verstöße habe der Regierungspräsident dann Bußgelder verhängt. Diese Verfahrensweise beurteilte das AG als rechtlich unzulässig.

Private Geschwindigkeitsmessung ohne Rechtsgrundlage

Die StA Hanau legte gegen die Entscheidung des AG Rechtsbeschwerde ein. Das OLG bestätigte nun die Rechtsauffassung des AG. Die Beauftragung privater Personen mit der hoheitlichen Aufgabe einer Geschwindigkeitsmessung bedürfe einer klaren Rechtsgrundlage. Eine solche existiere aber nicht. Der vom Regierungspräsidium Kassel erlassene Bußgeldbescheid auf Grundlage einer privat durchgeführten Geschwindigkeitsmessung sei daher rechtswidrig. Nach geltendem Recht sei die zuständige Ortspolizeibehörde gehalten, die Verkehrsüberwachung durch geeignete eigene Bedienstete mit entsprechenden Qualifikationen vorzunehmen. Der Mitarbeiter der privaten GmbH erfülle diese Anforderung nicht. Der Erlass von Bußgeldbescheiden sei auf dieser Grundlage rechtlich nicht zulässig.

Geschwindigkeitsmessungen seit ca. eineinhalb Jahren rechtswidrig

Das OLG stellte ausdrücklich fest, dass sämtliche in dem gemeinsamen Ordnungsbehördenbezirk der hessischen Gemeinden Freigericht und Hasselroth seit dem 23.3.2017 durchgeführten Verkehrsüberwachungen unzulässig waren. Dies gilt nach einer Zusatzbemerkung des OLG auch für die nicht Gegenstand des Verfahrens gewesenen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen der hessischen Gemeinden Brachttal und Nidderau. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. (OLG Frankfurt, Beschluss v. 6.11.2019, 2 Ss-OWi 942/19)

Tausende von Bußgeldbescheiden könnten fehlerhaft sein

Sollte sich die Auffassung des OLG Frankfurt bundesweit durchsetzen, so könnte dies erhebliche Auswirkungen auf in ähnlicher Weise in den Bundesländern Bayern, Sachsen, Brandenburg, Saarland und Nordrhein-Westfalen durchgeführte Verkehrsüberwachungsmaßnahmen haben. Hiernach wären viele Tausende Bußgeldbescheide rechtlich anfechtbar, allerdings nur, soweit sie noch nicht bestandskräftig geworden und noch durch Einspruch angreifbar sind.

Hinweis

Ergangenen Bußgeldbescheiden ist i.d.R. nicht zu entnehmen, ob die zugrunde liegenden Überwachungsmaßnahmen mit Hilfe privater Unternehmen durchgeführt wurden. Gegebenenfalls sollte bei einer entsprechenden Vermutung vorsorglich Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt und ein Rechtsanwalt mit der Einsichtnahme in die Bußgeldakte beauftragt werden. Dieser kann dann feststellen, auf welche Weise die Messung zustande gekommen ist.

Eine Entscheidung zur privaten Überwachung des ruhenden Verkehrs steht noch aus

Interessant dürfte in diesem Zusammenhang auch ein weiteres, voraussichtlich demnächst beim OLG Frankfurt anhängiges Verfahren werden, bei dem das OLG die Zulässigkeit der Verkehrsüberwachung des ruhenden Verkehrs durch private Dienstleister in der Stadt Frankfurt am Main zu beurteilen haben wird. Sollte das Gericht hier zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, so könnte es für die Stadt und möglicherweise auch für andere Städte teuer werden. Allein im Jahr 2018 wurden in Frankfurt ca. 600.000 Parkverstöße geahndet.

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