Tantra-Massage ist in Essen trotz Corona erlaubt

Ein Massagesalon, der sexuell stimulierende Tantra-Massagen anbietet, ist kein Bordellbetrieb. Die Gefahr der Ansteckung mit dem Covid-19-Virus schätzt das VG Gelsenkirchen bei Tantra nicht höher ein als bei anderen Wellnessmassagen. Außerdem sein bei Existenzbedrohung ein strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab anzulegen.

Gegen die Inhaberin zweier Massagebetriebe in Essen, die Ganzkörpermassagen nach dem Tantra-Prinzip anbieten, hatte die Stadt Schließungsverfügungen nach der CoronaSchutzVO NRW erlassen. Hiergegen hatte die Inhaberin um vorläufigen Rechtsschutz beim VG Gelsenkirchen nachgesucht.

Ist die Tantra-Massage eine sexuelle Dienstleistung?

Die Stadt hatte die Schließungsverfügungen damit begründet, dass nach der Landes-CoronaschutzVO Bordelle wegen des bei den dort angebotenen Dienstleistungen unvermeidbaren engen Körperkontakts und der damit verbundenen erheblichen Ansteckungsgefahr mit dem Covid-19-Virus den Betrieb einstellen müssen. Die Stadt Essen vertrat die Auffassung, die Tantra-Massage sei eine sexuelle Dienstleistung, die ähnlich den Dienstleistungen eines Bordellbetriebes einzustufen sei.

  • Die Tantra-Massage werde am nackten Körper durchgeführt,
  • sie umfasse den Intimbereich der Kunden und diene damit auch der sexuellen Stimulation.
  • Damit seien die Massagebetriebe als Prostitutionsstätten im Sinne des §10 der CoronaschutzVO NRW einzuordnen, deren Betrieb zur Zeit noch nicht gestattet sei.

Tantramassage lasse eigene Sinnlichkeit erleben und gehöre zum „normale“ Massagebetrieb

Die Antragstellerin wollte demgegenüber ihre Betriebsstätten als „normale“ Massagebetriebe bewertet sehen. Gemäß § 12 der CoronaschutzVO seien inzwischen in NRW nicht-medizinische Massagen, Kosmetik und Maniküre wieder erlaubt.

Vergleichbare Dienstleistungen würden auch in ihren Betrieben erbracht. Es gehe für die Gäste darum, in entspannter Atmosphäre ihre eigene Sinnlichkeit erleben zu können, also letztlich um reine Wellness. Die Schließungsverfügungen seien daher rechtswidrig.

Strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab bei Existenzbedrohung

Die Kammer des VG neigte zu der Auffassung, eine Massage nach dem Tantra-Prinzip sei keine rein sexuelle Dienstleistung, wie sie in einem Bordell erbracht werde. Die Kammer ließ die Frage der exakten Einordnung dieser Massageart aber offen. Das Gericht verwies vielmehr grundsätzlich auf das von der Landesregierung derzeit verfolgte Prinzip der schrittweisen Lockerung der coronabedingten Beschränkungen.

Unter Berücksichtigung der allgemeinen Lockerungsmaßnahmen sei die komplette Schließung eines Betriebes besonders streng am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen. Eine Schließung, die existenzbedrohende Ausmaße annehmen könne, müsse sachlich dezidiert begründet und unvermeidbar sein.

Mängel in der Begründung der Schließungsverfügungen

Das Gericht gestand den Behörden zu, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus gelegentlich unvermeidbar auch zu gewissen Ungleichbehandlungen führen kann. Diese müssten dann aber sachlich in einer Weise gerechtfertigt sein, dass die Ungleichbehandlung zumindest nicht als willkürlich erscheine.

Die Stadt habe im Rahmen des Verfahrens aber nicht nachvollziehbar begründen können, weshalb mit einer Tantra-Massage ein höheres Infektionsrisiko verbunden sein soll als mit den inzwischen wieder zulässigen Wellnessmassagen. Vor diesem Hintergrund sei die Schließung des Massagebetriebes im Hinblick auf die allgemeine Gestattung von Wellnessmassagen sachlich nicht hinreichend begründet.

Corona-Verbote werden zunehmend unüberschaubarer

Schließlich verwies das VG auf die zunehmend diffizilen Regelungen der CoronaschutzVO NRW. Für den Bürger sei es schwer, einen Überblick darüber zu behalten, welche konkreten Handlungen tagesaktuell wieder erlaubt sind und welche Verbote noch fortbestehen. Vor diesem Hintergrund seien die Bestimmungen über Verbote grundsätzlich eng auszulegen. Ein Verbot von Tantra-Massagen sei der CoronaschutzVO und insbesondere dem Verbot des Betriebs von Bordellen oder Prostitutionsbetrieben nicht zu entnehmen. Die Betriebe der Antragstellerin seien hinsichtlich der Betriebsabläufe und auch der ergriffenen Hygienemaßnahmen mit Bordellen in keiner Weise vergleichbar.

Im Ergebnis erklärte das VG Schließungsverfügungen daher für rechtswidrig. Liebhaber von Tantra-Massagen werden in Essen ab sofort wieder bedient. Die Stadt Essen kann allerdings noch Beschwerde beim OVG einreichen.

(VG Gelsenkirchen, Beschluss v. 19.5.2020, 20 L 589/20)

Hintergrund: Tantra-Masseure setzen sich zur Wehr

Probleme mit Schließungsverfügungen und einer behördlichen Einordnung als Bordellbetriebe haben Tantra-Massagesalons nicht nur in Deutschland, sondern verstärkt auch in der Schweiz. Dort hat sich ein „Förderverein Tantramassage Schweiz“ gegründet, der gegen in der Schweiz ebenfalls verbreitete, mit der Corona-Ansteckungsgefahr begründete Schließungsverfügungen gegen einschlägige Massagesalons auf breiter Front vorgehen will.

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