Skurrile Online-Gerichtsverhandlungen und die Würde der Justiz

Medienberichte und Onlinevideos aus dem Ausland zeigen groteske Szenen bei Online-Gerichtsverhandlungen: Ein Richter oben ohne, Anwältinnen und Anwälte im Bett, am Strand oder am Pool. Untergräbt die Justiz mit solchen Bildern ihre Autorität und wäre das auch in Deutschland möglich?

Die auf dem gesamten Erdball grassierende Corona-Pandemie hat auch vor der Justiz nicht haltgemacht. In nahezu allen Staaten der Erde werden Gerichtsverhandlungen zumindest teilweise per Videokonferenz abgehalten. Nicht immer erscheinen die Beteiligten den damit verbundenen Anforderungen in vollem Umfang gewachsen zu sein.

Online Gerichtsverhandlungen mit hohem Unterhaltungswert

Einige dieser Gerichtsverhandlungen, die in manchen Staaten öffentlich im Internet übertragen werden, sind inzwischen bei den Usern ein beliebtes Medium für unterhaltsame Nachmittage und Abende. „Spiegel Netzwelt“ berichtete am 12.5.2021 von einem Richter aus dem US-Bundesstaat Michigan, dessen Fans inzwischen in die Millionen gehen. Die Liste seiner Videos führt ein Strafverfahren gegen einen angeklagten Gewalttäter an. Per Videokonferenz war das Opfer der Gewalttat zugeschaltet, das ein gerichtliches Kontaktverbot gegen den angeklagten Gewalttäter erwirkt hatte. Umso größer war das Erstaunen der Staatsanwaltin, als sie während der Vernehmung des Opfers bemerken musste, wie der angeklagten Gewalttäter hinter dem Opfer in dessen Wohnung - offenbar unabsichtlich - durch das Bild stolzierte.

Burschikoser US-Richter mit besonders großer Fangemeinde

Im gleichen „Gerichtskanal“ ist nach diversen Medienberichten ein Stream zu sehen, der eine Verhandlung eines wegen seiner drastischen Ausdrucksweise bekannten US-Richters zeigt, der die Teilnahme eines Users an der Online-Verhandlung mit den Worten erlaubt: „Dann lassen wir diesen Kasper mal rein“. Der User nennt auf Befragen durch den Richter seinen bürgerlichen Namen, während gleichzeitig auf dem Bildschirm ein Pseudonym des Users „Buttfucker 3000“ zu sehen ist. Der Richter fragt den Mann genüsslich, ob er denn nicht in Wirklichkeit „Buttfucker 3000“ heiße und welcher Idiot sich auf diese Weise vor Gericht einlogge. Der Betroffene, der sich verschämt die Hände vors Gesicht hielt und - wie sich später herausstellte - dessen Schwester ihm diesen Streich gespielt hatte, ist nun nicht nur im Netz, sondern auch in seinem gesamten persönlichen Umfeld als „Buttfucker 3000“ bekannt.

Eine Katze als Verteidiger

An der Spitze der Justiz-Charts steht nach einer Meldung von „t-online“ die Aufzeichnung eines Prozesses, in dem im US-Bundesstaat Texas ein Verteidiger in einer per Zoom übertragenen Gerichtsverhandlung als Katze teilnahm. Er hatte das Laptop seiner Sekretärin verwendet, die für ihre Kinder einen Videofilter verwendete, in dem Menschen in Videokonferenzen als Tiere dargestellt werden und je nach Tonfall des jeweiligen Sprechers starke Tiergefühle zeigen.

Der Anwalt beteuerte verzweifelt: „Ich bin hier, live. Ich bin keine Katze“. Die Augen der Katzen spiegelten die Verzweiflung des Anwalts dabei äußerst plastisch wieder. Das brachte dem Anwalt in den USA ein Millionenpublikum im Netz.

US-Richter mahnt zur Wahrung der Würde der Justiz

Durch diese und ähnliche Fälle sah sich ein US-Richter sich zu einem offenen Brief veranlasst. Darin beklagte er, dass ein männlicher Anwalt in Gerichtsverhandlung per Videokonferenz ohne Hemd erschienen sei, sich eine weibliche Anwältin gut erkennbar noch in ihrem Bett befunden habe, Anwälte offensichtlich während der Gerichtsverhandlung am Strand auf einer Decke sitzen, während sie im Hintergrund einen gefakten Bürohintergrund einblenden. Der Richter ermahnt die Beteiligten, auch bei Online-Gerichtsverhandlungen die Würde der Justiz zu achten.

Brasilianische Justiz sieht Richter „oben ohne“ locker

In Brasilien war sogar ein Richter in einer Videoverhandlung zunächst „oben ohne“ erschienen. Auch dieses Video wird im Netz millionenfach geklickt. Der Dienstherr konnte allerdings kein Fehlverhalten des Richters feststellen. Die Kamera sei versehentlich schon eingeschaltet gewesen, bevor der Richter sich vollständig angezogen habe. Zum offiziellen Beginn der Sitzung sei er angemessen gekleidet gewesen.

Deutsche Online-Verhandlungen sind strenger geregelt

Aus Deutschland sind ähnlich skurrile Vorkommnisse bisher nicht bekannt. Allerdings sind die Vorschriften auch strenger. Gemäß § 128 a sind zwar auch in Deutschland Videoverhandlungen zugelassen. Das Gericht selbst muss sich allerdings während der Videokonferenz im Sitzungsraum des Gerichts aufhalten.

  • Richter dürfen die Gerichtsverhandlung nicht vom heimischen Wohnzimmer aus führen.
  • Außerdem kann das Gericht den übrigen Verfahrensbeteiligten den Ort vorgeben, von welchem aus sie an der Videokonferenz teilnehmen. Der Nordsee-Strand oder der oberbayerische Bergsee werden typischerweise nicht dabei sein.
  • Die Öffentlichkeit wird nicht durch eine Übertragung im Netz gewahrt, sondern muss grundsätzlich nur am Sitzungsort gewährleistet sein.
  • Eine Aufzeichnung der Videokonferenz ist nach § 128 a Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zulässig.

Online-Verhandlungen bieten Vorteile für alle Beteiligten

Die Gerichtsverhandlung der Videokonferenz wird gerade in Pandemie-Zeiten allgemein als großer Vorteil angesehen, da Gerichtsverfahren trotz Corona auf diese Weise zügig durchgeführt werden können. Außerdem sind Prozessbevollmächtigte, Sachverständige und Zeugen häufig erfreut, wenn sie für oft nur kurzfristige Statements nicht Hunderte von Kilometern zum Gerichtssaal anreisen müssen.

Probleme der Online-Verhandlungen noch nicht gelöst

Die Videokonferenz hat aber auch Nachteile.

  • So ist beispielsweise die Führung eines Urkundsbeweises in der Videokonferenz nicht möglich.
  • Auch ist die Gefahr nicht völlig auszuschließen, dass in einer Zeugenvernehmung im nicht sichtbaren Hintergrund des Zeugen eine Person steht, die dem Zeugen souffliert.
  • Das nicht seltene Auftreten von technischen Problemen bei der Übertragung kann den reibungslosen Verlauf einer Verhandlung erheblich stören.
  • Schließlich ist es für die Gerichte in der Videokonferenz deutlich schwieriger, einen realistischen persönlichen Eindruck von den Beteiligten zu gewinnen.
  • Nicht zuletzt sind die häufig diskutierten Sicherheitslücken - beispielsweise bei dem gern genutzten Videodienst „Zoom“ - nicht zu vernachlässigen.

Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz können Präsenzverhandlungen nicht ersetzen

Insgesamt sind per Videokonferenz durchgeführte Gerichtsverhandlungen weltweit auf dem Vormarsch. Infolge der damit verbundenen Nachteile, insbesondere des nur eingeschränkt möglichen persönlichen Eindrucks von den Beteiligten, werden sie aber auch in Zukunft nur den geringeren Teil der gerichtlichen Verfahren ausmachen, als Mittel der Verfahrensbeschleunigung in besonderen Fällen wie denen einer Pandemie oder auch bei weit entfernt im Ausland befindlichen Beteiligten sind sie jedoch äußerst sinnvoll. Die Gefahren für die Autorität und Würde der Justiz durch Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz dürften angesichts der strengen deutschen Vorschriften in Deutschland eher gering sein.

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