Sieg eines Münchner Gastwirts über Betriebsschließungversicherung

Corona tat Gastronomen nicht gut und viele Versicherungen wollten damit möglichst wenig zu tun haben: Der Wirt des Augustinerbräu in München setzte sich nun vor Gericht gegen seinen Betriebsschließungsversicherer durch. Dieser muss nach dem Urteil nun über 1 Million EUR für die coronabedingte Betriebsschließung des Augustinerkellers leisten.

Der Kampf von Gastwirten und anderen Betriebsinhabern gegen ihre Betriebsschließungsversicherungen geht in eine neue Runde (→ Kneifen die betrieblichen Versicherungen bei Corona?). Viele Betriebsschließungsversicherer wollten für Ausfälle infolge coronabedingter Betriebsschließungen nicht aufkommen. Nach der Entscheidung des LG München sind die Karten nun neu gemischt.

Augustinerkeller war fast zwei Monate Corona bedingt geschlossen

Der Wirt des Münchner Augustinerbräu hatte im Zuge der beginnenden Corona-Pandemiewelle am 4.3.2020 eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen, um gegen die Folgen der Pandemie abgesichert zu sein. Der von ihm geführte Augustinerkeller in München wurde gemäß Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege in der Zeit vom 21.3.2020 bis Mitte Mai 2020 wegen der mit dem Betrieb der Gaststätte verbundenen coronabedingten Ansteckungsgefahren geschlossen.

Versicherung verweigert Versicherungsschutz

Wie andere Versicherungen in ähnlichen Fällen verweigerte die bayerische Versicherungskammer die vom Augustinerwirt hierauf geforderte Entschädigung in Höhe von etwas über 1 Million EUR. Das Argument der Versicherung: Die Betriebsschließungsversicherung erfasse nur Betriebsschließungen infolge der im IfSG abschließend aufgeführten Krankheiten. Die Ansteckung mit dem Covid-19-Virus habe bis zum Ausbruch des Infektionsgeschehen nicht zum Kreis dieser Krankheiten gehört, sondern sei erst später ins Gesetz eingefügt worden.

Entscheidend ist die infektionsrechtliche Rechtsgrundlage

Das LG München erteilte dieser Auslegung der Versicherung eine klare Absage. Nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) komme es lediglich darauf an, dass der Betrieb des Klägers aufgrund einer Anordnung nach dem IfSG geschlossen worden sei. Die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 21.3.2020 sei eine solche Anordnung. Die Verfügung enthalte auch eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Ermächtigungsgrundlagen in §§ 28 – 32 IfSG. Aufgrund dieser Anordnung sei der Betrieb des Augustinerkellers vollständig geschlossen worden.

Außer-Haus-Verkauf keine zumutbare unternehmerische Alternative

Die Versicherung hatte dem Kläger vorgeworfen, seine Schadensminderungspflicht dadurch verletzt zu haben, dass er keinen Außer-Haus-Verkauf organisiert habe. Ein solcher Außer-Haus-Verkauf war dem Kläger nach Auffassung des LG aber nicht zumutbar. Ein Außer-Haus-Verkauf, der für den Augustinerbräu allenfalls ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft sei, stelle für eine solche Gastwirtschaft keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Gastwirt verweisen lassen müsse. Eine Besonderheit des Falles bestehe im übrigen darin, dass der Augustiner Wirt den Versicherungsvertrag am 4.3.2020, also deutlich nach Beginn der Pandemie geschlossen habe. Für die Versicherung sei erkennbar gewesen, dass der Kläger gerade auch dieses durch die Corona-Pandemie entstehende Risiko versichern wollte.

Versicherungsbedingungen sind intransparent

Im übrigen ist nach Auffassung des LG die Bestimmung des § 1 Ziffer 2 AVB intransparent und daher unwirksam. Die Regelung nehme Bezug auf §§ 28 ff IfSG und liste gleichzeitig ihrerseits Krankheiten und Krankheitserreger auf, ohne dass die Auflistung mit der des in den letzten Jahren häufig geänderten IfSG identisch sei.

Der Versicherungsnehmer könne den Gehalt des Versicherungsschutzes hiernach nur erfassen, indem er die Auflistung in § 1 Ziff. 2 AVG Wort für Wort mit der geltenden Fassung des IfSG vergleiche. Dies sei für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer eine unzumutbare Überforderung. Eine Klausel, deren Tragweite nur durch den Vergleich mit einer gesetzlichen Vorschrift erkennbar sei, sei intransparent und daher unwirksam.

Keine Anrechnung von Corona-Liquiditätshilfen

Nach dem Urteil des LG sind bei der Höhe der zu zahlenden Entschädigung weder das Kurzarbeitergeld noch die staatliche Corona-Liquiditätshilfen anspruchsmindernd zu berücksichtigen, denn die Leistungen seien nicht vergleichbar. Beim Kurzarbeitergeld und bei den Liquiditätshilfen handle es sich im Gegensatz zu den geschuldeten Versicherungsleistungen nicht um Schadenersatzzahlungen für Betriebsschließungen, sondern um staatliche Hilfen, die auf privatrechtliche Schadenersatzleistungen nicht angerechnet werden dürften.

Auch in diesem Punkt ist die Entscheidung des LG München bundesweit von besonderem Interesse für Versicherungsnehmer und Versicherer, denn selbst die kulanteren Versicherer, die an Corona-Geschädigte Leistungen wegen Betriebsschließungen erbracht haben, haben bisher bei der Schadensberechnung die vom Betriebsinhaber erhaltenen staatlichen Leistungen in Abzug gebracht.

Rechtsstreit dürfte in die nächste Instanz gehen

Die Versicherungskammer hat Berufung gegen das Urteil angekündigt. Der Rechtsstreit dürfte im Hinblick auf die bestehende Uneinigkeit in der Rechtsprechung zu den maßgeblichen Rechtsfragen Potenzial bis zum BGH haben.

(LG München I, Urteil v. 1.10.2020, 12 O 5895/20)

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Hintergrund:

Viele Betriebsschließungsversicherungen verweigern Ersatzleistungen bei coronabedingten Betriebsschließungen. Die Verweigerungshaltung wird von zwei Hauptargumenten getragen:

  • Corona sei ein neuer Krankheitserreger, der nicht unter die versicherten meldepflichtigen Krankheiten der Betriebsschließungsversicherungen falle.
  • Außerdem seien die meisten Betriebsschließungen auf der Grundlage von Allgemeinverfügungen erfolgt und nicht durch konkret auf den jeweiligen Betrieb individuell bezogene Verwaltungsakte. Betriebsschließungen aufgrund von Allgemeinverfügungen würden von den Versicherungsbedingungen nicht erfasst.

Die Gerichte haben bisher äußerst unterschiedlich geurteilt. Während das OLG Hamm eine Haftung der Betriebsschließungsversicherungen bei coronabedingten Betriebsschließungen abgelehnt hat (OLG Hamm Beschluss v. 17.7.2020, 20 W 21/20), hat das LG Mannheim die grundsätzliche Einstandspflicht der Betriebsschließungsversicherungen in solchen Fällen bejaht (LG Mannheim, Beschluss v. 29.4.2020, 11 O 66/20).

Corona-Klagewelle rollt

Für die Versicherungen könnte die Angelegenheit noch äußerst teuer werden. Allein beim LG München I sind 86 Klageverfahren gegen Betriebsschließungsversicherer anhängig. In Kürze steht beim LG München I die Entscheidung zu einer Millionen-Klage von Gastwirten gegen die Allianz-Versicherung wegen des ausgefallenen Starkbier-Anstichs in der Paulaner Gaststätte am Nockherberg an. Die Klagewelle rollt, nicht nur in Bayern.