Sexbranche kämpft gegen Corona-Schließungen

Das älteste Gewerbe der Welt nimmt deutschlandweit wieder Fahrt auf. Immer mehr Bordellbetriebe setzen sich vor Gericht erfolgreich gegen coronabedingte Schließungen zur Wehr. Das OVG Münster hat nun das Land NRW zu einer Lockerung der Regeln gezwungen.

In einer grundlegenden Entscheidung im Rahmen eines Eilverfahrens hat das OVG Münster das nordrhein-westfälische Verbot der Erbringung sexueller Dienstleistungen in und außerhalb von Bordellen außer Vollzug gesetzt. Hierdurch sah sich die Landesregierung NRW veranlasst, die geltende CoronaSchVO um ein detailliertes Regelwerk darüber zu ergänzen, auf welche Weise Sexarbeiter*innen unter Corona-Bedingungen trotz nicht zu leugnender Infektionsgefahren ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen können.

Eilantrag gegen das Verbot von Sexdienstleistungen

In Gang gesetzt hatte dies die Betreiberin eines Erotikmassagestudios in NRW. Diese wehrte sich mit einem Eilantrag vor dem OVG erfolgreich gegen das Verbot in § 10 Abs. 1 Nr. 2 der CoronaSchVO des Landes NRW in der Fassung vom 31.8.2020. Die Regelung untersagt die Erbringung sexueller Dienstleistungen in und außerhalb von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen.

Sexgewerbe hat Anspruch auf kontinuierliche Verhältnismäßigkeitsprüfung

Die pauschale Untersagung des Angebots von sexuellen Dienstleistungen ist nach der Entscheidung des OVG mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und verstößt nach der in einem Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Verordnungsgeber habe mittlerweile in nahezu allen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bereichen die coronabedingten Beschränkungen weitgehend wieder gelockert. Auch das Sexgewerbe habe Anspruch auf kontinuierliche Prüfung des Erfordernisses des Fortbestandes der mit dem Ansteckungsrisiko begründeten Einschränkungen der Gewerbeausübung.

Ansteckungsrisiken nicht höher als anderswo

Dem Infektionsrisiko begegne der Gesetzgeber auf anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Feldern mit teilweise strengen Hygiene- und Schutzregeln. Vor diesem Hintergrund lasse der Verordnungsgeber in NRW inzwischen auch größere Veranstaltungen, private Feiern mit bis zu 150 Personen sowie nicht kontaktfreie Sportarten in Sportstätten und Fitnessstudios zu. Bei sexuellen Dienstleistungen seien demgegenüber weniger Personen beteiligt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das mit dem Ausstoß von Aerosolen verbundene Risiko der Ansteckung mit dem Covid-19-Virus beim intimen Kontakt zweier Personen höher sein soll, als bei einer privaten Feier, wo 150 Personen in ausgelassener Atmosphäre und unter Konsum alkoholischer Getränke singen und tanzen.

Pauschales Sexverbot wahrscheinlich unverhältnismäßig

Vor diesem Hintergrund verletzt ein allein an das Erbringen sexueller Dienstleistungen anknüpfendes Totalverbot nach der Bewertung des OVG mit hoher Wahrscheinlichkeit die Antragstellerin in ihrer durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit sowie in ihrem durch Art. 14 GG geschützten Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. In seiner Rigorosität sei das Pauschalverbot daher voraussichtlich unverhältnismäßig.

Einschätzung der Ansteckungsrisiken hat sich geändert

Noch im Juni hatte das gleiche Gericht entschieden, dass das Verbot sexueller Dienstleistungen unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens angemessen und damit verhältnismäßig sei (OVG Münster, Beschluss v. 25.6.2020, 13 B 800/20.NE). Nach Auffassung des OVG hat sich die Lage jedoch inzwischen nicht zuletzt durch die Lockerungen auf vielen anderen Gebieten grundlegend geändert, weshalb unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten eine Anpassung der Corona-Regeln auch für sexuelle Dienstleistungen geboten sei.

Das Spektrum sexueller Dienstleistungen ist groß

Das Gericht wies darauf hin, dass der Begriff der sexuellen Dienstleistungen in der Verordnung nicht näher definiert sei. Der Begriff erfasse in seiner Allgemeinheit nicht nur die verschiedenen Formen des Geschlechtsverkehrs, sondern auch andere Formen sexueller Handlungen gegen Entgelt, unabhängig davon, ob es dabei zu körperlichen Berührungen kommt oder nicht. Der Senat vermöge nicht zu erkennen, inwieweit beispielsweise der sexuellen Befriedigung dienende Massagen oder Escort-Serviceleistungen, bei denen es in der Regel nicht zu einem übermäßigen Austausch von Aerosolen komme, einem Komplettverbot unterstellt werden müssten.

RKI sieht keine signifikant erhöhten Risiken

Ergänzend verwies das Gericht auf eine im Auftrag des „Berufsverband erotischer und sexueller Dienstleistungen e.V. Berlin“ erstellte Einschätzung des RKI (Robert Koch Institut) vom 1.8.2020. Hiernach liegen bisher keine wissenschaftlich begründbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass im Rahmen der Tätigkeit von Sexarbeiter*innen die Übertragungsrisiken von SARS-CoV-2-Viren signifikant ansteigen würden.

Bordelle auch in anderen Bundesländern wieder offen

Schließlich verwies das OVG darauf, dass in einigen Bundesländern wie Hamburg, Berlin Thüringen, Bayern oder dem Saarland das Betreiben von Bordellen und Prostitutionseinrichtungen inzwischen wieder gestattet sei, ohne dass das Infektionsgeschehen bisher hierdurch maßgeblich negativ beeinflusst worden wäre. Diese Beispiele zeigen nach Einschätzung der Verwaltungsrichter auch, dass entgegen der Auffassung der Landesregierung NRW eine effektive Kontrolle der Beachtung allgemeiner Hygieneregelungen auch in Bordellen möglich ist. Die gegebenenfalls drohende Schließung eines Betriebs bei Missachtung der Regeln sei gerade für Bordellbetriebe und ähnliche Einrichtungen ein starker Anreiz für regelkonformes Verhalten.

Verbot vorläufig außer Vollzug gesetzt

Mit diesen Erwägungen setzte das Gericht die Untersagungsanordnung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 CoronaSchVO-NRW vorläufig außer Vollzug.


(OVG Münster, Beschluss v. 8.9.2020, 13 B 902/20.NE)

Das OVG Münster steht mit seiner Entscheidung nicht allein

Die Entscheidung des OVG Münster fügt sich ein in eine Reihe ähnlich lautender Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte (OVG Niedersachsen, Beschluss v. 28.8.2020, 13 MN 307/20; Saarländisches OVG, Beschluss v. 6.8.2020, 2 B 258/20; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 20.8.2020, 6 B 10868/20). Neben Nordrhein-Westfalen dürfen auch in den Bundesländern Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin, Bremen, Niedersachsen und Bayern Bordelle wieder öffnen.

Detailliertes Regelwerk unter Corona-Bedingungen

Das Land NRW hat auf das Urteil aus Münster umgehend reagiert und ein umfassendes Regelwerk für sexuelle Dienstleistungen unter Coronabedingungen als Anlage zur CoronaSchVO herausgegeben. Die Quintessenz: Leistungen dürfen nur unter gleichzeitiger Anwesenheit von maximal 2 Personen angeboten werden. Anschließend ist die penible Reinigung und Lüftung der Räumlichkeiten vorgeschrieben. Kunden müssen sich identifizieren und ihren Namen, Adresse und Telefonnummer hinterlassen, die von der/m Prostituierten oder Bordellbetreiber/in vier Wochen lang vertraulich aufbewahrt werden müssen.