Seniorin ohne eigenen Computer wegen Filesharing verurteilt

Das LG Köln hat eine Seniorin nach einer Abmahnung wegen Filesharings zu 2.000 Euro Schadenersatz verurteilt. Die knapp 70-jährige Seniorin besitzt keinen eigenen PC, verfügt jedoch über einen Internetanschluss.

Das Urteil des LG Köln ist in den Medien auf viel Unverständnis gestoßen und wird von Kritikern als nicht gerechtfertigte Unterstützung der Abmahnindustrie gewertet.

Filesharing-Tauschbörse über IP-Adresse der Seniorin

Die „Warner Bros. Entertainment“ machte wegen der Verletzung ihrer ausschließlichen Nutzungsrechte an 2 Filmwerken Lizenzschäden in Höhe von jeweils 1.000 Euro sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 281,30 Euro gegen die Seniorin geltend. Die Klägerin hatte ermittelt, dass zu bestimmten Zeitpunkten unter der IP-Adresse der beklagten Seniorin die beiden Filme im Rahmen einer Filesharing-Tauschbörse anderen Nutzern zum Download angeboten worden waren.

Seniorin unterliegt in zwei Instanzen

Da die Beklagte im Rahmen der vorgerichtlich erteilten Abmahnung nicht zur Leistung von Schadenersatz bereit war, reichte die Rechteinhaberin Klage ein und war hiermit über zwei Instanzen erfolgreich. Die beklagte Seniorin hatte behauptet, die Rechtsverletzungen nicht persönlich begangen zu haben. Sie besitze gar keinen Computer, mit dem sie an einer Tauschbörse hätte teilnehmen können und sei mit der Nutzung von Computern nicht vertraut. Sie besitze zwar einen Internetanschluss, dieser werde aber nur von ihrem Ehemann, ihrem Sohn und ihren Gästen genutzt.

Vermutung für die Täterschaft der Seniorin

Beide Instanzen bewerteten die streitgegenständlichen Filme als gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 UrhG geschützte Werke. Diese Filme habe die Beklagte über eine Internet-Tauschbörse zum Download angeboten und damit im Sinne von § 19a UrhG öffentlich zugänglich gemacht. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Beklagte auch Täterin der Rechtsverletzung. Die Täterschaft des Anschlussinhabers werde vermutet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss nutzen konnten. Diese Vermutung gelte aber auch dann, wenn ein Internetanschluss regelmäßig von mehreren Personen genutzt werde (BGH, Urteil v. 27.7.2017, I ZR 68/16).

Sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers

Bestreite der Inhaber des Internetanschlusses seine Täterschaft mit der Behauptung, dass andere Personen den Anschluss genutzt hätten, so treffe ihn eine sekundäre Darlegungslast. In diesem Fall müsse er vortragen, welche anderen Personen selbständig Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kämen. Im Rahmen des Zumutbaren sei der Anschlussinhaber zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung seiner Kenntnisse über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung verpflichtet. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetanschluss reiche nicht aus (BGH, Urteil v. 6.10.2016, I ZR 154/15).

Anschlussinhaber muss Familienmitglieder benennen

Beide Instanzen betrachteten die Beklagte als Täterin der Rechtsverletzung, weil sie ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt habe. Die Behauptung, die Beklagte selbst habe keinen eigenen Rechner besessen, bewerteten die Gerichte als unerheblich, denn die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass in ihrem Haushalt keinerlei Rechner, beispielsweise ihres Ehemannes oder ihres Sohnes, vorhanden gewesen seien. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte nicht bereit gewesen sei, ihre Familienmitglieder namentlich zu benennen. Verzichte die Anschlussinhaberin auf diese Angabe, erfülle sie ihre sekundäre Darlegungslast nicht und hafte selbst (BGH, Urteil v. 30.3.2017, I ZR 19/16).

Anschlussinhaber muss konkrete Nutzungsmöglichkeit Dritter darlegen

Auch die Behauptung der Beklagten, dass möglicherweise Nutzer des von ihr nach ihrem Sachvortrag unterhaltenen Freifunkknotens in Betracht kämen, überzeugten die Richter nicht. Insbesondere könne die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht die Haftungsprivilegierung nach § 8 TMG in Anspruch nehmen. Diese Haftungsprivilegierung, mit welcher der Gesetzgeber die Störerhaftung habe einschränken wollen, setze voraus, dass Dritte über WLAN tatsächlich den Anschluss nutzen konnten. Die konkrete Nutzungsmöglichkeit ihres Freiknotens durch Dritte habe die Beklagte nicht substantiiert dargelegt.

Freifunkfirmware löst noch keine Haftungsprivilegierung aus

Das Berufungsgericht begründete diese Schlussfolgerung mit der weiteren Überlegung, dass die Haftungsprivilegierung des § 8 TMG nach ihrem Sinn und Zweck nicht bereits dadurch zur Anwendung kommen könne, dass der Anschlussinhaber die Software für einen Freifunkknoten installiere. Andernfalls könne jeder Anschlussinhaber sich durch Installation einer Freifunkfirmware ein Schutzschild gegen die Haftung für Rechtsverletzungen über seinen Internetanschluss schaffen und anschließend nach Belieben Rechtsverletzungen u.a. über Filesharing begehen. Im übrigen habe die Beklagte nicht einmal vorgetragen, dass das Freifunksignal ihres Routers überhaupt die für die Erreichbarkeit durch Dritte erforderliche Funkstärke gehabt habe.

Seniorin zum Schadensersatz verpflichtet

Beide Instanzen kamen zu dem Ergebnis, dass die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast dahingehend, dass ein Dritter ernsthaft als Täter der streitgegenständlichen Rechtsverletzungen in Betracht komme, nicht erfüllt habe. Damit greife die tatsächliche Vermutung der Haftung des Anschlussinhabers. Damit sei die Beklagte zum Schadensersatz gemäß § 97 Abs. 2 UrhG sowie zur Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß § 97 a UrhG verpflichtet.

(LG Köln, Urteil v. 23.9.2021, 14 S 10/20)

Hintergrund:

Im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber das TMG reformiert. Ziel des Gesetzgebers war die Privilegierung sogenannter Hot-Spot-Anbieter.

WLAN-Hotspots im Ausland weit verbreitet

Im europäischen Ausland sind solche Hotspots, die die Nutzung des Internets im öffentlichen Raum per WLAN-Verbindung ermöglichen, weit verbreitet. In Deutschland verhinderte die drohende Störerhaftung der Anschlussinhaber für Rechtsverletzungen durch Dritte ein größeres Hot-Spot-Angebot. Diese Störerhaftung sollte durch die Reform beseitigt werden.

Kaum WLAN-Hotspots in Deutschland

Kritiker monieren, die Rechtsprechung habe die Störerhaftung durch die Hintertür wieder eingeführt, indem sie die Täterschaft der Anschlussinhaber bei Rechtsverletzungen grundsätzlich vermute und den Anschlussinhaber verpflichte, durch konkrete Benennung möglicher Täter diese Vermutung im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu widerlegen. Aus diesem Grunde befinde sich die Verbreitung von WLAN-Hotspots in Deutschland immer noch in den Kinderschuhen. Immer noch schwebe in Deutschland der Anschlussinhaber ständig in einer latenten Haftungsgefahr, die Abmahndustrie werde durch die Rechtsprechungspraxis über Gebühr gefördert und unterstützt.

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