Rundumschlag gegen Anwaltschaft mit undifferenzierter Kritik

Sind schlecht ausgebildete und wenig engagierte Anwälte eine Gefahr für Rechtssuchende? Ist die Beratungsqualität häufig miserabel? Werden Mandanten von „Nichtskönnern“ regelrecht betrogen? Ein altes Feinbild wird medial wiederbelebt.

Der immer hungrige Medienzirkus hat ein neues Thema: Der Anwalt an sich und seine verbreitet, ja gefährliche Unfähigkeit. In einem launigen, aber harschen Artikel in der „Welt“ beklagt der Autor Joachim Wagner blanke Rechtsunkenntnis und den Niedergang des gesamten Berufsstandes der Rechtsanwälte.

Rechtsrat ohne jedes Wissen?

Er rügt, dass Juristen mit schlechten Staatsexamina keine andere Wahl hätten, als sich als selbständige Anwälte niederzulassen. Oft hielten sie sich finanziell mit Nebenjobs über Wasser. Fachlich hätten sie häufig keine Ahnung und erteilten Rechtsrat ohne jedes Wissen. Für Rechtssuchende sei es ungeheuer schwierig, einen qualitativ gut beratenden Anwalt zu finden.

Der Anwalt als Betrüger

Mittlerweile seien viele Anwälte so in finanzieller Not, dass ihre Erwerbsquellen Ihnen völlig egal seien. Anwälte würden sich etwa bei Internetfirmen verdingen, die im Netz Horoskope oder Hausaufgabenhilfe anböten in der alleinigen Absicht, die User in Abofallen zu locken. Anwälte würden solchen Firmen ihren Namen zur Verfügung stellen, um durch die Berufsbezeichnung „Anwalt“ den Kunden trügerisches Vertrauen einzuflößen.

Berufsanfänger: eine Gefahr für Rechtssuchende

Der Autor warnt besonders vor der Gruppe der Berufsanfänger ohne jegliche Berufserfahrung. Das Risiko, schlecht beraten zu werden, sei dort besonders hoch. Häufig würden Berufsanfänger auch nicht davor zurückschrecken, Mandanten in Rechtsgebieten zu betreuen, mit denen sie sich noch nie beschäftigt hätten. Der Autor warnt Rechtssuchende davor, Berufsanfängeranwälte überhaupt aufzusuchen

Sind diese Warnungen berechtigt? War früher alles besser? Oder fehlt dem Autor jegliches Maß und jeder Realitätsbezug?

Pauschale Warnungen schüren undifferenzierte Ängste 

Kurze Antwort: In ihrer ausufernden Maßlosigkeit und Pauschalierung geht die Kritik des Autors völlig an der Realität vorbei und trifft nicht den Kern des Problems. Diese grundsätzliche Feststellung besagt aber nicht, dass es nichts zu kritisieren gäbe. Dermaßen überzogene Kritik wie in der Zeitung „Die Welt“ verdeckt aber mehr als sie offen legt.

In der Praxis fühlt sich immer noch ein Großteil der Rechtssuchenden von ihrem Anwalt richtig beraten, sei es bei Verkehrsunfällen, bei Scheidungen, in vertraglichen Angelegenheiten oder auch in Strafsachen.

Qualität der deutschen Justiz

Die Qualität der deutschen Justiz gilt weltweit als einer der besten. Da es in den weitaus meisten Fällen die Rechtsanwälte sind, die in der Zivil- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit die Fälle überhaupt erst bei Gericht anhängig machen, ist davon auszugehen, dass Anwälte - als Organe der Rechtspflege - einen erheblichen Teil zur weltweit anerkannten Qualität dieser deutschen Justiz beitragen.

Der Generalist ist immer noch Teil des Problems

Ein Problem bei der Rechtsberatung liegt jedoch weiterhin darin, dass das juristische Studium trotz einiger Reformen nach wie vor den Juristen als Einheitsjuristen im Vordergrund sieht und im Grundsatz davon ausgeht, dass der Jurist mit allen Fällen des täglichen Lebens zurecht kommen muss. Tatsächlich erweist es sich in der Praxis als sinnvoll, dass der Anwalt in aller Regel in der Lage ist, jeden ihm vorgetragene Lebenssachverhalt kritisch zu betrachten und in das zutreffende juristische Raster einzuordnen. Ebenso wird der Jurist in einem Großteil dieser Fälle auch zu einer juristisch korrekten Lösung kommen.

Nicht verkannt werden darf aber, dass infolge ausufernder gesetzlicher Regelungen auch der verzweigtesten Lebenssachverhalte, die Beurteilung für den Generalisten nicht leichter wird. Man denke nur an das Problem der Vielzahl europäischer Bestimmungen, die z.B. im Verbraucherschutz zu einer Vielzahl von Einzelentscheidungen durch die Gerichte geführt hat und deren komplette Kenntnis für den Generalisten nicht zu leisten ist.

Spezialisierung erforderlich

Die Lösung kann also nur darin liegen, dass Anwälte sich spezialisieren. Auch der juristisch nicht versierte Mandant weiß aber heute, dass er für bestimmte Rechtsgebiete, beispielsweise bei einer Scheidung, bei einem arbeitsrechtlichen Problem oder in einer Mietrechtsangelegenheit besser einen spezialisierten Fachjuristen aufsucht, der über die erforderlichen Spezialkenntnisse verfügt.

An diesem Punkt kommt man aber um die Feststellung nicht herum: Nie war der Spezialisierungsgrad der Anwälte so hoch wie heute. In Deutschland ist es dem Mandanten ohne weiteres möglich, an jedem Ort einen Fachanwalt für das von ihm gewünschte Rechtsgebiet zu finden. Die Zahl der Anwälte, die regelmäßig an Fortbildungsmaßnahmen teilnimmt, ist so hoch wie nie. Die Anforderungen an die Bezeichnung der Führung eines Fachanwaltstitels sind ebenfalls hoch. Durch das Erfordernis des Nachweises ständiger Fortbildung und einer hohen Anzahl praktischer Fälle aus dem jeweiligen Rechtsgebiet ist die zeitliche Belastung der Anwälte enorm gestiegen. Die Arbeitsbelastung der meisten Rechtsanwälte geht sehr weit über den üblichen Acht –Stunden-Tag hinaus.

Ruf nach Zertifizierung treibt seltsame Blüten

Die Kritik des Autors ist im Ansatz nicht neu. Verschiedene Organisationen haben sich bereits damit befasst, ein Qualitäts- und Gütesiegel für Rechtsanwälte zu erfinden. Die DEKRA, die sonst eher für die Begutachtung von Automobilen zuständig ist, hat bereits Prüfverfahren und ein Logo entworfen, mit dem Rechtsanwälte sich “Zertifizierter Anwalt“ nennen dürfen. Zu Recht schob das LG Köln diesem Siegel einen Riegel vor und erklärte die Verwendung für rechtswidrig (LG Köln, Urteil v. 26.11.2009, 31 O 607/09). Zu Recht hat das LG darauf hingewiesen, dass ein Anwalt durch zwei bestandene juristische Staatsexamina ausgewiesen wird und im übrigen eine Organisation wie die DEKRA nicht die Qualität von Anwälten beurteilen könne.

Das LG Regensburg hat die Werbung von Anwälten mit dem Zusatz „Prädikatsanwälte“ gestoppt, die Rechtssuchende damit locken wollten, dass sie ihre Studiengänge mit besonders guten Examina abgeschlossen haben (LG Regensburg, Urteil v. 20.2.2009, 2HK O 2062/08). Allein gute Examina bieten nach Auffassung des LG keine Gewähr für eine besonders qualifizierte Rechtsberatung. Dennoch gibt es einige Prüfsiegel, die Anwälte bisher unbeanstandet auf Ihren Briefköpfen angeben, so z.B. ein DEKRA-ISO-Zertifikat, mit dem eine Kanzlei auf gut kontrollierte Abläufe in Ihrem Büromanagement hinweisen kann. Darüber hinaus vergibt das Deutsche Anwaltsinstitut das so genannte DAI-Fortbildungssiegel, mit dem der Anwalt die regelmäßige Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen nachweist.

Fazit:

Durch die ausufernde Flut an Regelungswerken und Gesetzen ist die Beratung von Rechtssuchenden heute eher schwieriger geworden. Die Möglichkeiten des Mandanten, aus dem großen Angebot von Fachanwälten und Spezialisten den für seinen Rechtsfall richtigen Anwalt zu finden, war aber ebenfalls noch nie so ausgeprägt wie heute.

Feinbild eignet sich für mediale Gassenhauer

Die internationale Einschätzung der Qualität der deutschen Justiz ist sehr hoch.  Berufsanfänger müssen sich in allen Berufsbereichen Erfahrung erwerben, denn sie sind per se zunächst unerfahrener. Vor diesem Hintergrund scheint die mediale Generalabrechnung mit der Anwaltschaft wohl eher der dringlichen Suche nach einem neuen Thema geschuldet, als ernsthafter Sorge und  Bestandsaufnahme.

Dass Juristen seit unvordenklichen Zeiten ein beliebtes Feindbild sind, mag die Verbreitung der kruden Thesen befeuern.

Schlagworte zum Thema:  Rechtsanwalt, Beratung, Rechtsberatung