
Schlecht, wenn es Tonaufnahmen vom Richter gibt, der über eine der Parteien ablästert. Die gerichtliche Verwertung einer heimlich in einer Sitzungspause angefertigten Tonaufnahme von einem Gespräch, dass ein Richter führt, ist im Rahmen eines Befangenheitsgesuchs auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Das Erstaunliche an den vom BVerfG entschiedenen Verfahren ist, dass es einer Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts bedurfte, der Kammer eines LG klarzumachen, dass Richter, die in der Sitzungspause spöttische Bemerkungen über eine Prozesspartei machen und in einer weiteren Sitzungspause mit dem Nebenintervenienten den Prozessgegenstand besprechen, als befangen anzusehen sind.
Heimliche Tonaufnahmen in den Sitzungspausen
Gegenstand der beim BVerfG von zwei Beschwerdeführern eingereichten Verfassungsbeschwerde war die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs durch ein Instanzgericht in einer mietrechtlichen Streitigkeit. In einem Berufungsverfahren und in einem vorausgegangenen mietrechtlichen Verfahren vor der gleichen Kammer des LG in Anwesenheit von Schülern und Studenten der Rechtswissenschaft im Gerichtssaal kam es zu zwei Sitzungsunterbrechungen.
Partei nahm Spötteleien der Richter heimlich auf
Während dieser Pausen äußerten sich Richter der Kammer im Sitzungssaal spöttisch über den Beruf einer der Prozessparteien und unterhielten sich mit dem Nebenintervenienten über den Gegenstand des Verfahrens. Nach Behauptung der Beschwerdeführer erteilten sie diesem auch Ratschläge zum weiteren Verfahren. Die Beschwerdeführer hatten während beider Sitzungspausen heimlich Tonaufnahmen dieser Gespräche angefertigt.
Befangenheitsantrag zurückgewiesen
Wegen dieses Verhaltens der Richter reichte der damalige Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführer gegen die betreffenden Richter ein Befangenheitsgesuch ein. Das Gericht wies den Befangenheitsantrag zurück. Begründung: Die vorgebrachten Befangenheitsgründe seien Gegenstand einer internen richterlichen Beratung sowie eines nicht öffentlich geführten Gesprächs mit dem Nebenintervenienten. Für das Publikum seien diese Gespräche nicht bestimmt gewesen. Auf den Gesprächsinhalt komme es deshalb nicht an.
LG lehnt Verwertung der heimlichen Tonaufnahme ab
Die Verwertung der heimlich angefertigten Tonaufnahme im Rahmen des Befangenheitsgesuchs lehnte das Gericht ab. Diese sei auf rechtswidrige Weise zustande gekommen. Eine heimliche Tonaufnahme in der Sitzungspause von einem richterlichen Beratungsgespräch sei ein Angriff auf die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.
Die rechtswidrig gefertigte Tonaufnahme sei deshalb nicht verwertbar. Das Interesse der Richter und vor allem das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Rechtspflege sei höherwertig als das Interesse des Beschwerdeführers an der Verwertung einer unzulässigen Tonaufnahme.
Verfassungsbeschwerde eingelegt: lästernder Richter ist nicht unparteiisch
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügten die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das LG habe sich in willkürlicher Weise über ihr Recht auf einen unbefangenen, unparteiischen gesetzlichen Richter hinweggesetzt,
LG hat Verfassungsgarantie des gesetzlichen Richters verkannt
Dieser Argumentation der Beschwerdeführer stimmte das höchste deutsche Gericht in vollem Umfange zu. Das grundrechtsgleiche Recht auf einen gesetzlichen Richter garantiere dem Rechtsuchenden, vor einem Richter zu stehen, der unabhängig und unparteilich ist und Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten wahrt.
Zwar begründe nicht jede fehlerhafte Rechtsanwendung einen Verfassungsverstoß, die Grenze sei aber dann überschritten, wenn eine richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt und die Auslegung der Gesetze im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist.
Gespräch mit Nebenintervenienten ist keine geheime Kammerberatung
Diese Voraussetzungen waren nach Auffassung des höchsten deutschen Gerichts vorliegend erfüllt. Geradezu abwegig sei es, lästernde Bemerkungen von Richtern und Gespräche mit einem Nebenintervenienten in einer Sitzungspause zum Inhalt des Rechtsstreits als geheime Beratung im Sinne des § 193 GVG zu qualifizieren.
Gespräche der Kammer mit einer Partei seien offensichtlich keine interne richterliche Beratung. Im Sitzungssaal seien Schüler und Studenten der Rechtswissenschaft anwesend gewesen, deren Anwesenheit bei einer internen richterlichen Beratung grundsätzlich nicht gestattet sei. Mit dieser Tatsache habe sich das LG nicht einmal auseinander gesetzt.
Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch Tonaufnahmen nicht beeinträchtigt
Die Begründung des LG, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sei durch das Verhalten der Beschwerdeführer beeinträchtigt, könne zwar beim rechtswidrigen Abhören einer geheimen richterlichen Beratung einschlägig sein, nicht aber bei Gesprächen zwischen dem Gericht und einer Partei in der Sitzungspause unter Anwesenheit der Öffentlichkeit.
LG muss erneut entscheiden
Das BVerfG verwies das Verfahren über das Befangenheitsgesuch an das LG zurück. Das LG habe bei seiner weiteren Entscheidungsfindung davon auszugehen, dass die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durch das Verhalten der Beschwerdeführer nicht beeinträchtigt sei und in eine erneute Abwägung darüber einzutreten, ob unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der anwesenden Parteien, der Anwälte, der anwesenden Schüler und Studenten sowie der Mitglieder der Kammer einerseits und des verfassungsrechtlich geschützten Interesses der Beschwerdeführer auf den gesetzlichen Richter andererseits, sich die Verwertung der heimlich gefertigten Tonaufnahme verbiete oder nicht.
(BVerfG, Beschluss v. 30.9.2020, 1 BvR 495/19).
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