Rechtsreport 2021: Ist Justitia zu langsam und hat Vorurteile?

Oft ist von der Überlastung der Justiz und überlangen Verfahren die Rede. Ist Recht haben und Recht bekommen zweierlei? Der "Rechtsreport" der Roland Rechtsschutzversicherung aus 2021 wirft dazu aus: Ein Großteil der Deutschen ist mit der Arbeit der Justiz zufrieden. Aber: Viel Detailkritik sollte der Justiz trotzdem zu denken geben.

Seit dem Jahr 2010 untersucht der Roland-Rechtsreport die Einstellung der Öffentlichkeit zum deutschen Rechtssystem, zur Justiz und zu speziellen rechtspolitischen Themen. Die Ergebnisse beruhen auf repräsentativen Befragungen des Instituts für Demoskopie Allensbach. Der jetzt vorgelegte Report 2021 zeigt ein grundsätzlich ungebrochenes Vertrauen der Bevölkerung in die deutsche Justiz und in den Rechtsstaat. Der Report zeigt aber auch, dass die Bevölkerung auf kritische Entwicklungen sensibel reagiert. In wichtigen Punkten wird Verbesserung wünscht.

Hoher abstrakter Vertrauenswert in den deutschen Rechtsstaat

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz erwies sich im Verlauf der letzten Jahre als insgesamt stabil.

  • Im Rahmen der Befragung gaben 71 % der Bürger an, sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Gesetze zu haben.
  • Hinsichtlich der Gerichte liegt der allgemeine Vertrauenswert bei 66 %.

Zum Vergleich: Der Bundesregierung vertrauen 59 % der Befragten. Dieser Wert ist im Corona-Jahr im Verhältnis zu den Vorjahren (2019: 33%) erheblich gestiegen.

Die wesentlichen Kritikpunkte an der Justiz

Die maßgeblichen Kritikpunkte an der Justiz betreffen die Verfahrenslänge, die Gleichbehandlung, die ausgeurteilten Strafen sowie die komplizierten Gesetze.

  • So gaben 83 % der Befragten an, sich über zu lange Gerichtsverfahren zu ärgern,
  • 74 % halten die Gerichte für überlastet.

Auch die Zweifel an der Gleichbehandlung vor Gericht sind hoch. 62 % glauben, dass die Siegchancen durch gute und bekannte Anwälte deutlich steigen. 54 % empfinden die von den Strafgerichten ausgesprochenen Urteile als zu milde. Beim Umgang mit jugendlichen Straftätern liegt dieser Wert sogar bei 57 %.

53 % kritisieren die Komplexität der Gesetze, die ein normaler Bürger nach der Meinung der Mehrheit oft nicht verstehen kann.

Konkret positive Bewertungen sind Mangelware

Die konkrete Abfrage positiver Bewertungen zu einzelnen Aspekten der Justiz ergab im Hinblick auf die allgemeine abstrakte Zufriedenheit erstaunlich niedrige Werte. Lediglich 32 % der Befragten äußerte, großen Respekt vor Richtern zu haben, lediglich 31 % sind der Auffassung, bei den Gerichten gehe alles mit rechten Dingen zu. Ebenso niedrige Prozentwerte gab es für die gewissenhafte und gründliche Arbeit der Gerichte.

Hoher Bekanntheitsgrad der außergerichtlichen Streitbeilegung

Ein sehr hoher Prozentsatz befürwortet die Möglichkeiten der außergerichtlichen Streitbeilegung. 86 % der Befragten gaben an, von der außergerichtlichen Konfliktbeilegung durch Mediation oder Schlichtung bereits gehört zu haben. 52 % zeigten sich überzeugt, dass Konflikte sich auf diese Weise angemessen lösen ließen, bei 31 % überwog die Skepsis.

Schwerpunktthema: Justiz und Corona-Beschränkungen

Ein Schwerpunkt der Untersuchung betraf in diesem Jahr das Verhältnis Justiz und Freiheitsbeschränkungen infolge der Corona-Pandemie.

  • 39 % der Befragten sahen ihre Freiheitsrechte infolge der coronabedingten Einschränkungen als sehr stark oder stark eingeschränkt. Das Gefühl starker Einschränkungen dominierte besonders bei den jüngeren Befragten.
  • 59 % empfanden die Beschränkungen bei der im November 2020, also vor dem harten Lockdown, durchgeführten Befragung - als weniger stark.
  • 69 % aller Befragten - auch der jüngeren - stufen den Gesundheitsschutz wichtiger als den Schutz der Freiheitsrechte ein.
  • 28 % äußerten Verständnis für die Proteste gegen die Coronamaßnahmen,
  • 46 % halten es aber für richtig, dass die Justiz Demonstrationen häufig trotz Corona-Beschränkungen erlaubt.

Dennoch sind im Ergebnis nur 43 % der Befragten der Meinung, dass die Gerichte sich im Rahmen der Corona-Pandemie ausreichend für die Grundrechte der Bürger einsetzen, allerdings sind nur 17 % explizit der entgegengesetzten Meinung. Die überwiegende Mehrheit befürwortet, dass die Gerichte die Verhältnismäßigkeit einzelner Freiheitseinschränkungen streng prüfen.

Weitere Einzelergebnisse

Bei den weiteren Ergebnissen der Untersuchung ist interessant, dass 73 der Bevölkerung sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Arbeit der Polizei haben, 84 % haben sehr viel oder ziemlich viel Vertrauen in die Arbeit mittlerer oder kleinerer Unternehmen. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass das Vertrauen in sämtliche staatlichen Institutionen in den westdeutschen Bundesländern grundsätzlich deutlich höher liegt als in den ostdeutschen. So vertrauen den Gerichten in Westdeutschland 68 %, in Ostdeutschland nur 55 %.

Zwiespältiges Gesamtergebnis

Das Ergebnis der Untersuchung ist für die Justiz eher zwiespältig. Einerseits ist das allgemeine abstrakte Vertrauen in die Arbeit der Justiz ziemlich hoch. Im Unterschied dazu wird bei der konkreten Abfrage verschiedener Einzelkriterien aber deutliche Kritik geäußert. Besonders beunruhigend ist:

Eine Mehrheit der Befragten bezweifelt die für einen Rechtsstaat zentrale Gleichbehandlung der Rechtssuchenden vor Gericht ebenso wie eine gründliche und gewissenhafte Bearbeitung der Rechtsfälle.

Der hohe Bekanntheitsgrad der Möglichkeiten der außergerichtlichen Streitbeilegung ist als äußerst positiv zu bewerten. Das Gesamtergebnis zeigt, dass die Justiz sich nicht auf dem Lorbeer des in sie gesetzten allgemeinen hohen Vertrauens ausruhen darf, sondern im Detail dringend an einer Verbesserung des Vertrauens der Bevölkerung arbeiten muss.

Weitere News zum Thema:

Justiz und Corona

Überlastete Justiz

Wenn Richter Beleidigungen großzügig durchwinken

Schlagworte zum Thema:  Justiz, Rechtsanwalt, Juristen, Richter