Rechtsbeugung: Anklage gegen Richter wegen Maskenurteil

Für einen Weimarer Familienrichter hat eine Entscheidung, mit der er die Maskenpflicht an zwei Schulen in Weimar aufgehoben hatte, ein unangenehmes Nachspiel. Die StA hat den Richter wegen Rechtsbeugung angeklagt.

In einer aufsehenerregenden und viel diskutierten Entscheidung hatte der Familienrichter im Frühjahr 2021 entschieden, dass die Schüler an zwei Weimarer Schulen zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem COVID-19-Virus weder Maske tragen, noch Abstände einhalten noch an Schnelltests teilnehmen müssen (AG Weimar, Beschluss v. 8.4.2021, 9 F 148/21).

Familienrichter begründete seine Zuständigkeit mit dem Kindeswohl

Für Kritik hatte die Entscheidung des Richters vor allem deshalb gesorgt, weil die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Maskenpflicht sowohl an Schulen als auch anderswo nach herrschender Ansicht grundsätzlich in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte fällt. Der Weimarer Familienrichter hatte seine Zuständigkeit rechtlich damit begründet, dass dem Familiengericht grundsätzlich die Entscheidung über Maßnahmen zur Wahrung des Kindeswohls gemäß § 1666 Abs. 4 BGB obliege.

Gericht befürchtete Kindeswohlgefährdung durch Maskenpflicht

In der materiellen Entscheidungsbegründung hatte der Richter über ca. 170 Seiten aus seiner Sicht erhebliche, mit der Maskentragungspflicht verbundene Gefahren für die körperliche und seelische Gesundheit der Kinder aufgeführt. Hierbei hatte er sich auf in der herrschenden Schulmedizin nicht anerkannte Gutachten bezogen und allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse, beispielsweise des RKI und der Leopoldina, ignoriert.

Maskenpflichtentscheidungen gehören zur Verwaltungsgerichtsbarkeit

In der Rechtsmittelinstanz hatte das Thüringer OLG den Beschluss des Familiengerichts wieder aufgehoben. Die Entscheidung über die Verpflichtung zum Tragen eines Mundnasenschutzes fällt nach der Entscheidung des OLG nicht in die Regelungskompetenz des Familiengerichts. Das Verhältnis zwischen Schüler und Schule werde von einem schulrechtlichen Sonderstatusverhältnis geprägt, innerhalb dessen die zuständigen Schulbehörden für den Schutz des Wohls der Schüler verantwortlich seien. Die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der behördlich angeordneten Maßnahmen gehöre damit zur alleinigen Kompetenz der Verwaltungsgerichte (OLG Jena, Beschluss v. 14.5.2021, 1 UF 136/21).

Familiengerichtsentscheidung als „ausbrechender Rechtsakt“

Kurz nach dem Beschluss des Familienrichters hatte das VG Weimar ebenfalls in einem Eilverfahren über die Maskenpflicht im Unterricht zu entscheiden und sich mit dem Beschluss des Familienrichters ausführlich auseinandergesetzt. Das VG bewertete die einstweilige Anordnung des Familiengerichts als offensichtlich rechtswidrig. Bei dem Beschluss des Gerichts handele es sich um einen „ausbrechenden Rechtsakt“, mit dem der Familienrichter seine Befugnis weit überschritten habe, indem er Anordnungen gegenüber staatlichen Schulbehörden getroffen habe, für die dem Familiengericht jegliche Regelungsbefugnis fehle. Das VG selbst hatte die Rechtmäßigkeit der Maskenpflicht an Schulen in seiner Entscheidung bestätigt (VG Weimar, Beschluss v. 20.4.2021, 8 E 416/21).

StA klagt Familienrichter wegen Rechtsbeugung an

Gegen den Familienrichter hat die StA Erfurt nun Anklage wegen Rechtsbeugung beim LG erhoben. Nach der Formulierung der Anklageschrift hat der Familienrichter sich bewusst in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. Er sei nach seiner privaten politischen Meinung gegen praktisch sämtliche staatlichen Coronabeschränkungen gewesen und habe das familienrechtliche Verfahren dazu missbraucht, die Schädlichkeit staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie öffentlichkeitswirksam darzustellen.

Familienrichter soll aktiv nach maskenkritischen Eltern gesucht haben

Nach den Ermittlungen der StA soll der Familienrichter sich aktiv darum bemüht haben, maskenkritische Eltern von Schülern ausfindig zu machen. Außerdem soll er Einfluss auf die eingeholten Sachverständigengutachten genommen haben.

Rechtsbeugung ist Verbrechen

Die Folgen seines Verhaltens könnten für den Richter äußerst unangenehm werden. Rechtsbeugung ist ein Verbrechen und wird gemäß § 339 StGB mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren geahndet. Eine Verurteilung hat regelmäßig gemäß § 24 Nr. 1 DRiG den Verlust des Richteramtes zur Folge.  

Hintergrund:

Die StA hatte bereits einige Wochen nach Erlass des umstrittenen familiengerichtlichen Beschlusses Ermittlungen gegen den Weimarer Familienrichter aufgenommen und im Juni 2021 dessen Dienst- und Privaträume durchsucht. Laptop und Handy des Richters wurden bei der Aktion beschlagnahmt.

Familienrichter hält Vorwurf der Rechtsbeugung für verfehlt

Der Familienrichter selbst tritt dem Vorwurf der Rechtsbeugung vehement entgegen. Rechtlich sei die Zuständigkeitsfrage keinesfalls unumstritten. Hierbei kann der Richter u.a. auf Beschlüsse des VG Münster verweisen. Dieses hatte sich als Verwaltungsgericht für Entscheidungen über die Pflicht zum Tragen eines Mundnasenschutzes in Schulen selbst für unzuständig erklärt. Im Hinblick auf die für eine solche Entscheidung maßgeblichen Aspekte des Kindeswohls sah auch das VG Münster die Zuständigkeit der Familiengerichte als gegeben an (VG Münster, Beschlüsse v. 26.5.2021, 5 L 339/21 u. 31.5.2021, 5 L 344/21).

Zuständigkeitsfrage inzwischen höchstrichterlich geklärt

Das BVerwG hat inzwischen klargestellt, dass Familiengerichte über behördliche Maßnahmen auf der Grundlage von öffentlich-rechtlichen Allgemeinverfügungen und Coronaschutzverordnungen nicht zu befinden haben. Allerdings dürften sie bei ihnen eingeleitete Verfahren auch nicht an die Verwaltungsgerichtsbarkeit verweisen (BVerwG, Beschluss v. 16.6.2021, 6 AV 1.21). Auch der BGH hat den Kompetenzkonflikt klar dahingehend beantwortet, dass im schulischen Sonderrechtsverhältnis die gerichtliche Kontrolle des Behördenhandelns allein den Verwaltungsgerichten und nicht den Familiengerichten obliegt (BGH, Beschluss v. 6.10.2021, XII ARZ 35/21).

Straftatbestand der Rechtsbeugung ist restriktiv auszulegen

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist nicht jede unrichtige Rechtsanwendung eine Rechtsbeugung im strafrechtlichen Sinne. Der Tatbestand der Rechtsbeugung sei vor dem Hintergrund der richterlichen Entscheidungsfreiheit einschränkend dahin auszulegen, dass der Tatbestand nur dann verwirklicht ist, wenn der Richter sich bei seiner Entscheidung nicht allein an Gesetz und Recht orientiert und sich bewusst in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt (BVerfG, Beschluss v. 14.7.2016, 2 BvR 661/16; ebenso: BGH, Urteil v. 22.1.2014, 2 StR 479/13). Ob danach das Verhalten des Weimarer Familienrichters tatsächlich den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt, obliegt jetzt der nicht ganz einfachen Bewertung des LG.

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