Posttraumatische Belastungsstörung nach Afghanistan-Einsatz

Das LSG Baden-Württemberg hat einem in Afghanistan eingesetzten Soldaten Ausgleichszahlungen wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit der Begründung verweigert, er sei bei der Tötung seiner Kameraden nicht persönlich anwesend gewesen.

Das LSG Baden-Württemberg hatte über die Ausgleichsansprüche eines in Afghanistan eingesetzten Soldaten der Bundeswehr wegen einer von diesem geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung als Folge seines Einsatzes in Afghanistan zu entscheiden.

Drei Kameraden wurden bei Selbstmordattentaten getötet

Der Kläger war seit dem Jahr 1993 Berufssoldat bei der Bundeswehr und in den Jahren 2003 und 2004 ca. je ein halbes Jahr als Soldat in Afghanistan eingesetzt. In dieser Zeit kamen drei Kameraden des Klägers bei Selbstmordattentaten ums Leben. Von afghanischen Jugendlichen war der Kläger selbst mit einer Mörsergranate mit dem Leben bedroht worden. Es gelang ihm jedoch, die Jugendlichen von ihrem Vorhaben abzubringen. Im Schutze eines Bunkers hat er darüber hinaus einen schweren Raketenangriff erleben müssen.

BRD erkannte posttraumatische Belastungsstörung dem Grunde nach an

In der Folgezeit war der Kläger mehrfach arbeitsunfähig, u.a. infolge einer Alkoholabhängigkeit. Im Jahr 2018 wurde er aus der Bundeswehr entlassen. Für den Kläger wurde eine Betreuung angeordnet. Auf seinen Antrag hin erkannte die Bundesrepublik eine posttraumatische Belastungsstörung im Jahr 2017 an, gewährte aber Ausgleichszahlungen nur bis zum Ende seiner Dienstzeit. Der Grad der Schädigungsfolge wurde mit der Stufe 30 angesetzt. Die Alkoholerkrankung erkannte die Bundesrepublik als weitere Schädigungsfolge nicht an.

SG gab Klage auf Ausgleichszahlungen weitgehend statt

Auf die gerichtliche Klage des Soldaten bewertete das angerufene SG die Alkoholabhängigkeit als weitere Folge der Wehrdienstbeschädigung und verurteilte die Bundesrepublik zu Ausgleichszahlungen ab Januar 2010 nach einem Grad der Schädigung in Höhe von 50 und ab Januar 2018 nach einem Schädigungsgrad von 80.

Kläger hatte selbst keine traumatisierenden Erlebnisse

Auf die Berufung der Bundesrepublik vor dem LSG hob dieses das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage insgesamt ab. Das LSG bewertete weder die entstandene Alkoholabhängigkeit noch die sonstigen gesundheitlichen und psychischen Beschwerden des Klägers als Folge einer Wehrdienstbeschädigung. Eine Wehrdienstbeschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung lag nach Auffassung des LSG nicht vor, denn der Kläger habe selbst keine lebensbedrohlichen, traumatischen Erlebnisse in Afghanistan gehabt.

Kläger war bei Tötung seiner Kameraden nicht dabei

Entscheidend für diese Beurteilung war für das LSG, dass der Kläger bei den Selbstmordattentaten, bei denen seine Kameraden ums Leben gekommen sind, selbst nicht anwesend gewesen sei. Er habe von den Tötungen erst im Nachhinein erfahren. Das Erlebnis der Bedrohung seitens afghanischer Jugendlicher mit einer Mörsergranate sei ebenfalls kein eine posttraumatische Belastungsstörung auslösendes Ereignis, denn der Kläger habe die Gefahr mithilfe verbaler Überzeugungsarbeit abwenden können. Ähnliche Situationen hätten auch andere Soldaten in Afghanistan erlebt.

Alkoholprobleme bestanden schon vorher

Die Alkoholerkrankung des Klägers führte das LSG nicht auf den Afghanistan-Einsatz zurück. Alkoholabhängig sei der Kläger schon vor dem Afghanistan-Einsatz aufgrund einer komplexen familiären Vorgeschichte sowie infolge von Partnerschaftsproblemen gewesen. Während seines Auslandseinsatzes habe er auf die Mitteilung, seine Ehefrau gehe in Deutschland fremd, mit Suizidgedanken reagiert und seine persönlichen Probleme mit zunehmendem Alkoholkonsum bekämpft. Der Kläger habe während seines Aufenthalts in Afghanistan zwar belastende Kriegssituationen erlebt, dies jedoch in einem Rahmen und Ausmaß, dem sämtliche in Afghanistan eingesetzten Soldaten in gleicher oder ähnlicher Form ausgesetzt gewesen seien.

Wehrdienst ist laut LSG förderlich für die psychische Stabilität

Das Gericht bewertete auch die nach dem Afghanistan-Einsatz vom Kläger absolvierte Qualifizierungsmaßnahme in der NATO-Eingreiftruppe mit Übungen in verschiedenen Ländern als Indiz dafür, dass die psychische Belastung des Klägers durch den Dienst sich in einem normalen Rahmen bewegt habe. Er sei für diesen Einsatz gesundheitlich untersucht und für geeignet befunden worden. Eine schwere Traumatisierung sei zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt worden. Bei dem von Jugend an extrem alkoholgefährdeten und Stress mit Alkohol bekämpfenden Kläger hatte der Dienst in der Bundeswehr nach der Bewertung des LSG eher eine stützende, stabilisierende Funktion.

Klage abgewiesen

Damit kam das LSG zu dem Ergebnis, dass eine Wehrdienstbeschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Kläger nicht festzustellen sei. Bereits die ursprüngliche Anerkennung einer solchen Störung durch die Bundesrepublik sei fehlerhaft gewesen. In der Folge könnten auch weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers wie die Alkoholabhängigkeit nicht als Folge einer Wehrdienstbeschädigung gewertet werden. Damit sei das vorinstanzliche Urteil aufzuheben die Klage insgesamt abzuweisen.

(LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 28.4.2022, L 6 VS 420/21)

Hintergrund

Nach den Feststellungen der Bundeswehr gehört die posttraumatische Belastungsstörung zu den am häufigsten diagnostizierten Krankheiten bei Soldaten, die zum Einsatz in eine Krisenregion geschickt wurden. Im Jahr 2016 sind nach Schätzungen der Bundeswehr ca. 200 Soldaten an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt, der überwiegende Teil war im Afghanistan-Einsatz. Experten schätzen die Dunkelziffer der Erkrankungen deutlich höher. Viele Soldaten vermeiden aus Scham die Offenlegung ihrer psychischen Erkrankung. Inzwischen ist beim Verteidigungsministerium die Stelle eines Beauftragten für posttraumatische Belastungsstörungen eingerichtet. Auch der Sozialdienst der Bundeswehr steht Soldaten und Soldatinnen als niedrigschwellige Anlaufstelle bei einschlägigen Problemen zur Verfügung.