Polygamie schafft neue Rechtsfragen, auch im Westen

Mag sie in manchen Regionen und Kulturen zurückgehen, in den entwickelten Industriegesellschaften ist die Polygamie - weitgehend unbemerkt - auf dem Vormarsch. Die zunehmende Vermischung der Kulturen führt dazu, dass auch westliche Gesellschaften nicht umhin können, polygame Lebensformen bis zu einem gewissen Grad anzuerkennen. Das führt auch vor deutschen Gerichten zu neuen Rechtsfragen, etwa im Unterhaltsrecht. Das entgegengesetzte Phänomen der Polyandrie bereitet noch keine Rechtsprobleme.

Israel gilt trotz der Erschwernisse durch die ständige Bedrohung in dem Konflikt mit den Palästinensern als moderne demokratische Gesellschaft. Dennoch ist es dort bisher nicht gelungen, die Polygamie komplett zurückzudrängen.

Anerkennung polygamer Ehen

So hat das Bezirksgericht in Tel Aviv vor einigen Wochen einen 64-jährigen, der mit mehr als 20 Frauen zusammengelebt hat, des sexuellen Missbrauchs für schuldig gesprochen. Nicht nur seine 20 Frauen, auch seine über 40 Kinder hat er fortgesetzt vergewaltigt und misshandelt. Der Polygamist selbst arbeitete nicht. Die Frauen mussten arbeiten und ihren Verdienst zuhause abliefern. Nun muss der Polygamist hinter Gitter.

Kenner der israelischen Gesellschaft vermuten hinter dem Vorfall nur die Spitze eines Eisbergs. Zwar ist in Israel die Vielehe verboten, allerdings wird die polygame Ehe bei einigen jüdischen Gruppierungen (Sepharden), wenn sie bereits im Ausland geschlossen wurde, auch in Israel anerkannt.

Gericht in Utah entscheidet zu Gunsten einer polygam lebenden Familie

Vielerorts sind polygame Lebensformen im Vordringen. Polygammisten berufen sich unter anderem auf das Recht zur freien Religionsausübung. Übrigens hielt auch Luther die Zweitehe nicht für unrechtmäßig.

In den USA hat eine einvernehmlich polygam  lebende Familie nun ihr Recht auf polygames Zusammenleben vor Gericht erkämpft. Die Familie lebte ursprünglich im Bundesstaat Utah und musste dann vor den Strafverfolgungsbehörden nach Nevada fliehen. Von dort klagte sie vor dem Bundesgericht in Utah gegen das dort geltende Bigamie-Gesetz.

Der zuständige Bundesrichter entschied, das in Utah geltenden Verbot, mit mehr als zwei Partnern in eheähnlicher Gemeinschaft zusammenzuleben, sei ein Verstoß gegen das Recht auf freie Religionsausübung. Außerdem bezog er sich auf ein Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2003, wonach der Staat freiwilliges intimes Handeln Erwachsener nicht behindern darf. In den USA pflegen einige Abspaltungen der Mormonen (Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage) polygame Lebensformen und begründen diese mit der Bibel. Bei den Mormonen selbst ist die Polygamie seit über 120 Jahren abgeschafft.

Polygamie im Islam

Am verbreitesten ist die Polygamie heute in muslimischen Ländern. Nach islamischem Recht darf ein Mann bis zu vier Frauen ehelichen. Allerdings hat der Mann auch die Pflicht, diese Frauen finanziell zu versorgen und ihnen eine Mitgift zu geben. Dabei hat er die Frauen gerecht und gleich zu behandeln. Aber auch im Islam ist die Polygamie nicht unumstritten. Eine stärker werdende Richtung im Islam betont, der Prophet habe gesagt, dass ein Mann nicht mehrere Frauen in gleicher Weise gerecht behandeln könne und leitet daraus das Verbot der Polygamie ab.

Vermehrt polygame Lebensformen auch in Deutschland

Durch vermehrte Ausbreitung der islamischen Kultur auch in Deutschland hat unmerklich die polygame Lebensform auch bei uns Einzug gehalten. Zwar ist die Eingehung der Mehrfachehe in Deutschland unter Strafe gestellt, § 172 StGB, jedoch sind polygame Ehen, die im Ausland rechtmäßig geschlossen wurden, auch in Deutschland bis zu einem gewissen Grade anerkannt.

Gemäß Art. 3, 6 EGBGB, gelten private Rechtsverhältnisse, die im Ausland entstanden sind, in Deutschland fort, soweit sie dem „ordre public“ nicht widersprechen. Hinsichtlich der Polygamie bestehen insoweit eine Reihe von Unsicherheiten, zum Beispiel beim Nachzug einer Zweit-Ehefrau. Krankenversicherungen erkennen grundsätzlich nur die Pflicht zur Mitversicherung einer Ehefrau an. Im Unterhalts- und Erbrecht werden den Zweit- oder Dritt-Ehefrauen aber Ansprüche gewährt. Zum Teil wird von deutschen Gerichten insoweit die Scharia angewendet.

Polygamie nur für Reiche?

In Luxemburg hat sich der parlamentarische Petitionskommission vor einigen Tagen mit einer etwas kuriosen Petition befassen müssen, die die gesetzliche Erlaubnis zur polygamen Ehe für islamische Geldanleger durchsetzen wollte. Durch Schaffung eines familiären Umfeldes, dass ihrem Heimatland entspricht, sollten auf diese Weise „High-Net-worth-Individuals“ (Großverdiener) nach Luxemburg gelockt werden. Die Parlamentarische Petitionskommission hat die Petition einstimmig zurückgewiesen.

Vielehe ist auch mit vertauschten Rollen möglich

Üblicherweise wird die Vielehe als reines Männer-Phänomen insoweit behandelt, als es meist um die Beziehung eines Mannes zu mehreren Frauen geht. Die Autorin Tina Klopp hat in der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ unter der Überschrift „Kein Talent zur Monogamie“ in der Ausgabe vom 28.1.2014 darauf hingewiesen, dass es aus biologischer Sicht eigentlich die Frauen seien, die nicht monogam leben wollten. Spätestens nach drei Jahren Ehe gehe die sexuelle Lust der Frauen entschieden zurück. Studien in den USA, aber auch in Deutschland der Universität Hamburg scheinen diesen Befund zu bestätigen.

Somit drängt sich die Frage auf, ob nicht entwicklungsbiologisch die Frauen die heimlichen Anhänger der Vielehe sind. Dann spricht man aber nicht von Polygamie, sondern von Polyandrie. Und wirklich, polyandrische Lebensweise kommt heute noch in Teilen Indiens, im Himalaya, in Bhutan und im Kongo vor. Auch in modernen Erotik-Bestsellern ist sie wieder auf dem Vormarsch.

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