Pistoriusprozess - Wenn die halbe Welt mitentscheidet

Eine riesige Medienöffenlichkeit fiebert im Prozess  gegen  den Paralympicstar Oscar Pistorius wegen der möglichen Ermordung seiner Freundin Reeva Steenkamp mit - und kann auch zusehen. Die Prozessübertragung erfolgt live aus dem Gerichtssaal. Dies und der rabiate Umgang mit Zeugen erscheint im Vergleich zum deutschen Rechtssystem befremdlich. Die Exponiertheit prominenter Angeklagter dagegen weniger.

Einer der ersten Einsatzkräfte am Tatort war der Arzt Johan Stipp. „Ich habe sie erschossen, ich dachte sie wäre ein Einbrecher und ich habe sie (durch die Toilettentür) erschossen“ waren die ersten Worte, die der Zeuge Stipp nach seiner Aussage beim Eintreffen am Tatort am 14. Februar 2013 von dem über seine Freundin gebeugten Paralympicstar gehört hat. Pistorius habe geweint und Gott angefleht, dass seine Freundin noch lebe. Während der Aussage Stipps vor Gericht hielt der Angeklagte sich beide Ohren zu. Er war dem Weinen nahe. Show oder echt?

Alles lastet auf den Schultern einer Richterin

Über diese Frage muss die schwarze Richterin Thokozile Matilda Masipa alleine entscheiden. Die 66 Jahre alte Richterin leitet den Prozess gegen den beidseitig beinamputierten Paralympicstar.  Die eher medienscheue Richterin hat nicht selbst entschieden, dass der Prozess teilweise live im Fernsehen übertragen wird. Sie hat den Ruf, fair aber unerschütterlich zu sein.

In den vergangenen Jahren erregte sie bereits mit zwei Urteilen Aufmerksamkeit, in denen sie einen Polizisten, der eine Frau getötet hatte mit lebenslanger Freiheitsstrafe belegte und einen Vergewaltiger und Mörder zu 252 Jahren Haft verurteilte. Die Richterin hatte ursprünglich Sozialarbeit studiert und erst mit 43 Jahren ihr Jurastudium abgeschlossen. Danach legte sie eine steile Karriere in der südafrikanischen Justiz hin.

Gemischtes Rechtssystem

Trotz des eher aus der Justiz in den USA bekannten ungeheuren Medienrummels, gleicht das Verfahren in Südafrika dem US-amerikanischen Recht nur bedingt. Wie dort besteht eine  adversariale Grundausrichtung. D.h., das Verfahren wird im wesentlichen bestimmt durch das Gegenspiel von Verteidigung und Anklage.

Anders als im US-amerikanischen Recht gibt es keine Jury,

Anderes als im US-amerikanischen Recht gibt es nicht die aus vielen Spielfilmen bekannte Jury, die über die Anklage entscheidet. Vielmehr entscheidet die Vorsitzende allein, unterstützt von zwei Rechtsexperten (Assessoren), die aber kein eigenes Stimmrecht besitzen.

Geschworenenprinzip wurde unter dem Apartheidregime abgeschafft

Das Geschworenenprinzip wurde bereits im Jahr 1969 in Südafrika unter dem Apartheidregime abgeschafft. Das Rechtssystem insgesamt ist als Hybrid zwischen angloamerikanischen und römischrechtlichen Einflüssen anzusehen. Das Verfassungsgericht wurde im Rahmen der neuen Verfassung im Jahre 1994  nach deutschem Vorbild eingeführt.

Beweisaufnahme als Wechselbad der Gefühle

Der Prozessverlauf selbst erzeugte bisher Spannung pur. Zunächst entlasteten die Aussagen des Arztes Stipp in Beschuldigten. Die Angabe, dass der Beschuldigte eine Beinprothese nicht  getragen habe, stützt dessen Einlassung, er habe in Panik gehandelt.

Die Staatsanwaltschaft hatte demgegenüber behauptet, der Beschuldigte habe vor der Tat die Beinprothesen angezogen. Ein inzwischen erstelltes ballistisches Gutachten bestätigt ebenfalls, dass die Schüsse eher von einem Mann ohne Beinprothesen abgegeben worden seien.

Nachbarn belasten Pistorius schwer

Wie ein Donnerschlag wirkte da die Aussage der Nachbarin, der Universitätsprofessorin Michell Burger. Sie hatte gegen 3:00 Uhr nachts zunächst Schreie eines Mannes dann die einer Frau gehört. Die Stimme der Frau habe panisch geklungen. Im Anschluss hieran seien vier Schüsse gefallen. Dies würde nahelegen, dass Pistorius seine Freundin im Streit vorsätzlich erschossen hätte. Die Aussage wird im wesentlichen bestätigt von einer weiteren Nachbarin, wohingegen der Ehemann Burgers den Ablauf etwas anders schilderte.

Knallharte Verteidigung

Der Verteidiger Barry Roux versuchte über zwei Tage mit allen Mitteln, die Aussage der Zeugin Burger zu widerlegen, indem er dieser bis zur Unerträglichkeit immer und immer wieder die gleichen Fragen mit kleinen Varianten stellte, eine Vorgehensweise, die im deutschen Strafprozess bereits nach einer Stunde vom Gericht unterbrochen worden wäre.

Nach der Befragung brach die Universitätsprofessorin vor Erschöpfung in Tränen aus. Weil der Anwalt ihr Unehrlichkeit unterstellt hatte, musste er sich bei ihr entschuldigen. Dennoch ist es dem Barry Roux zweifellos gelungen, Zweifel an dem von der Staatsanwaltschaft behaupteten Geschehensablauf zu wecken.

Ungeklärte Einstellung zu Waffen

Pistorius charakterliche Integrität wurde durch zwei Zeugen in Frage gestellt, die ein zweifelhaftes Verhältnis des Angeklagten zu Waffen nahe legten. Eine frühere Freundin von Pistorius erzählte, dass dieser am 30.9.2012 mit seinem Fahrzeug in eine Geschwindigkeitskontrolle geraten war. Aus Wut über die Geschwindigkeitsmessung habe er mit seiner Pistole durch das Schiebedach des Fahrzeugs einen Schuss abgegeben.

Ein Profiboxer berichtete, wie er mit dem Angeklagten in einem Restaurant zum Essen verabredet war. Pistorius habe sich unter den Tisch eine geladene Pistole reichen lassen und dann unter dem Tisch aus „Versehen“ einen Schuss abgegeben, der den Fuß des Zeugen nur knapp verfehlt habe. Er sei schockiert gewesen.

Eine bisher souveräne Richterin

Richterin Masipa hat den Prozess bisher äußerst souverän und unter strikter Beachtung der auch in Südafrika zu Gunsten des Angeklagten geltenden Unschuldsvermutung geführt. Sie wird den Angeklagten sicher nicht wegen möglicherweise bestehender charakterlicher Schwächen verurteilen. Sie wird unter Beachtung des  Grundsatzes, dass dem Angeklagten die vorgeworfenen Taten in vollem Umfange nachgewiesen werden müssen, mit klarem Urteilsvermögen zu einer Entscheidung kommen.

Dies jedenfalls trauen ihr die meisten Prozessbeobachter ohne Weiteres zu. Sollte der Nachweis gelingen, sollte Pistorius allerdings nicht auf Milde hoffen. Und: Die halbe Welt wird nicht mitentscheiden – die Richterin entscheidet.

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