Pflicht Flugreisender bei zu langer Warteschlange beim Einchecken

Schon 2 Stunden vor dem Abflug am Flughafen und wegen langer Schlangen dennoch den Flug verpasst. Dies löst einen Entschädigungsanspruch des Reisegastes aus. Allerdings trifft den Reisenden ein Mitverschulden, wenn er nicht aktiv auf seine Zeitnot hinweist.

Die in Thüringen lebende Klägerin hatte für sich, ihren Partner und ihre beiden Kinder eine All-Inklusiv-Flugreise ins türkische Side, Zielflughafen Antalya, geplant. Das Voucher-Heft des Reiseveranstalters wies darauf hin, dass die Eincheckzeit spätestens 30 Minuten vor dem Abflug endet.

Endlosschlange am Terminal

Die Klägerin und ihre Mitreisenden waren 2 Stunden vor dem geplanten Abflug am Abflugschalter und reihten sich in die dort wartende Schlange ein. Die Endlosschlange bewegte sich nur langsam weiter. Wie sich später herausstellte, wurde an dem Abflugschalter noch ein anderer, späterer Flug nach Griechenland abgefertigt. Die Klägerin und ihre Mitreisenden warteten brav, ohne am Schalter auf den drohenden Ablauf ihrer Eincheckzeit hinzuweisen und mussten schließlich feststellen, dass der Flieger ohne sie nach Antalya gestartet war.

2 Tage später am Urlaubsort

Folge des versäumten Fluges: Die Klägerin und ihre Mitreisenden verbrachten eine Nacht bei Verwandten in Leipzig auf dem Fußboden, fuhren am nächsten Tag mit dem Zug nach Berlin und buchten dort einen Flug über Istanbul nach Antalya. Erst in der übernächsten Nacht gegen 3:00 Uhr kamen sie im Zielhotel in Side an.

Veranstalter verweigert Kompensation

Der Reiseveranstalter wehrte sich gegen die Entschädigungsklage mit dem Argument, eine  Stunde vor dem Abflug seien die Passagiere durch eine eigens zur Warteschlange gesandte Mitarbeiterin aufgefordert worden, sich nach vorne zum Schalter zu begeben mit dem Hinweis, die Reisenden nach Antalya würden zuerst abgefertigt. Die Klägerin erklärte, sie und ihre Mitreisenden hätten von einem solchen Aufruf nichts bemerkt.

AG München gibt der Klägerin zum Teil Recht

Das Amtsgericht sah den Reiseveranstalter in der Pflicht, Passagiere im Falle eines drohenden Versäumnisses der Eincheckzeit unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass sie sich unverzüglich zum Schalter begeben müssen und dort bevorzugt abgefertigt würden.

  • Dabei müsse der Reiseveranstalter damit rechnen, dass Reisende, die möglicherweise bereits seit 1 Stunde in der Schlange warten, zeitweise auch unaufmerksam sind.
  • Volle Aufmerksamkeit der Reisenden über die Dauer einer 1,5-stündigen Wartezeit könne nicht vorausgesetzt werden.
  • Hinzu komme der an Flughäfen häufig hohe Geräuschpegel, der es erschwere, mündliche Zurufe wahrzunehmen.

Mitarbeiterin wollte Wartende rechtzeitig an den Schalter lotsen

Wenn eine Mitarbeiterin der Fluggesellschaft vor Ort die Reisenden durch Zuruf auffordere, sich unmittelbar zum Schalter zu begeben, so müsse die betreffende Mitarbeiterin

  • entweder sämtliche Reisenden aus unmittelbarer Nähe ansprechen, um von diesen wahrgenommenen zu werden
  • oder eine Durchsage per Lautsprecher veranlassen, um sicherzustellen, dass alle Reisenden die Information hören.

Von den Fluggästen könne nicht erwartet werden, dass sie von sich aus wissen, dass an einem Schalter zwei Flüge gleichzeitig abgefertigt werden und ihr Flug bevorzugt abgefertigt wird.

Beherztes Vordrängeln kann von Flugreisenden nicht erwartet werden

Mit dem Gepäck an der Schlange vorbeizugehen, um sich nach vorne zu drängeln, sei sozial unerwünschtes Verhalten und können daher von den Fluggästen nicht verlangt werden.

Da die Reiseveranstalterin diesen Anforderungen nicht genügt habe, habe sie ihre Pflichten gegenüber der Klägerin verletzt und sei zur Entschädigung verpflichtet.

Aber: Ein wenig Eigeninitiative muss schon sein

Das Amtsgericht sah allerdings trotzdem ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin für den verpassten Flug. Auch ohne hinreichenden Aufruf des Reiseveranstalters bzw. der Fluggesellschaft habe die Klägerin nach Auffassung des Gerichts tätig werden müssen, um ein Verpassen des Fluges zu verhindern.

  • Angesichts des ausdrücklichen Hinweises, dass der Check-In mindestens eine halbe Stunde vor Abflug beendet sein müsse,
  • hätte die Klägerin sich mit ihren Mitreisenden nicht stumm in die Warteschlange stellen dürfen,
  • um sehenden Auges den gebuchten Flug zu verpassen.

Die Klägerin hätte am Flughafen befindliches Personal befragen oder nach vorne zum Schalter gehen und nachfragen müssen, ob die Zeit noch reiche. In diesem Fall wäre sie auf das bevorzugte Einchecken ihres Fluges aufmerksam gemacht worden und hätte den Flug nicht verpasst.

Geduldig warten und einfach nichts tun, reicht bei bald startendem Flieger nicht: 50% Mitverschulden

Alles im allem bewertete das Gericht das Mitverschulden der Klägerin mit 50 %. Im Ergebnis erkannte das Gericht der Klägerin

  • das Recht auf Minderung des Reisepreises anteilig nur um einen statt zwei Urlaubstage zu (Reisepreis 2.262,00 Euro geteilt durch elf Urlaubstage = 205,64 Euro)
  • sowie den gleichen Betrag (205,64 Euro) als Entschädigung für einen Tag nutzlos aufgewendete Urlaubszeit.

Den entstandenen Schaden infolge des gebuchten Ersatzfluges in Höhe von 881,50 Euro kürzte das Gericht ebenfalls um 50 % auf 440,75 Euro. Das Urteil ist rechtskräftig.

(AG München, Urteil v. 05.10.2018, 154 C 2636/18).

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Hintergrund:

Bei großen Verspätungen besteht Anspruch auf Ausgleichszahlung

Anspruch auf Ausgleichszahlungen besteht nach der „Verordnung des europäischen Parlamentes und des Rates über die gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Falle der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen“ (FluggastrechteVO). Gem. Art. 5 Abs. 1 c  i.V. m. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 b FluggastrechteVO auf 400 Euro bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von 1.500 Kilometer sowie bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 km.

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