Organisatorischen Anforderungen einer wirksamen Fristenkontrolle

Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, durch allgemeine Organisationsanweisungen gegenüber seinen Mitarbeitern sicherzustellen, dass das Büropersonal nicht eigenmächtig im Fristenkalender eingetragene Fristen ändert oder löscht.

Die Entscheidung des BGH betrifft den Fall einer außergewöhnlichen Verfahrensgestaltung, in welchem die Büroangestellte eines Rechtsanwalts aufgrund eines Missverständnisses eigenmächtig eine im Fristenkalender eingetragene Frist zur Begründung einer Berufung abänderte

Fehlerquelle: Berufung erfolgte durch beide Parteien

In einem Zivilrechtsstreit über Schadenersatz hatten nach einem teilweisen Obsiegen des Klägers beide Parteien Berufung gegen das ergangene Urteil eingelegt. Die Fristen zur Begründung der jeweiligen Berufungen endeten am 21.12.2018.

Auf Antrag der Rechtsanwälte der Beklagten wurde die Berufungsbegründungsfrist der Beklagten antragsgemäß bis zum 21.1.2019 verlängert. Die entsprechende Verlängerungsverfügung wurde den Rechtsanwälten beider Parteien zugestellt.

Büroangestellte ändert nach verwechselter Fristverlängerungen eingetragene Frist

Die Büroangestellte des Klägervertreters bezog die dem Beklagtenvertreter gewährte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist fälschlicherweise auch auf die Klägerseite. Aufgrund dieser Verwechslung änderte sie den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist selbstständig im Fristenkalender auf den 21.1.2019 ab.

Einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hatte der Klägervertreter allerdings gar nicht gestellt. Der Klägervertreter begründete die Berufung darauf mit Schriftsatz vom 9.1.2019.

Berufungsbegründungsfrist versäumt

Das Berufungsgericht wies den Klägervertreter darauf hin, die Berufungsbegründung sei gemäß § 520 Abs. 2 ZPO verfristet und die Berufung daher insgesamt lediglich als unselbständiges Anschlussrechtsmittel an die von der Beklagtenseite eingelegte Berufung zu werten. Der Klägervertreter beantragte darauf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, bei der Mitarbeiterin, die selbstständig die Frist abgeändert hatte, handle es sich um eine langjährige Büroangestellte, die in der Eintragung von Fristen sorgfältig geschult sei und bisher immer sorgfältig gearbeitet habe.

Sie habe die gerichtliche Verfügung zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist für die Beklagte missverstanden und infolgedessen versehentlich die ursprünglich zutreffend eingetragene Frist abgeändert.

Fristversäumnis beruht auf Organisationsverschulden

Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und führte zur Begründung aus, der Vortrag des Klägervertreters sei nicht geeignet, ein ihm zurechenbares Organisationsverschulden bei der Fristenkontrolle auszuräumen.

Klare Organisationsanweisungen an Kanzleipersonal ist für eine Fristenkontrolle unabdingbar

Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Der BGH bewertete die Rechtsbeschwerde schon als unzulässig, da die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts weder wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2i ZPO erforderlich sei.

  • Nach ständiger Rechtsprechung des BGH habe der Rechtsanwalt durch allgemeine Organisationsanweisungen sicherzustellen,
  • dass sein Büropersonal nicht eigenmächtig im Fristenkalender bereits eingetragene Fristen ändert oder löscht.

Dies gelte besonders für außergewöhnliche Verfahrensgestaltungen, die Anlass zu einer sorgfältigen Prüfung geben, ob die bereits eingetragenen Fristen gültig bleiben oder nicht (BGH, Beschluss v. 12.11.2013, II ZB 11/12).

Korrekte Organisationsanweisungen wurde vom Rechtsanwalt nicht einmal behauptet

Der BGH wies den Klägervertreter darauf hin, er habe entgegen diesen organisatorischen Erfordernissen nicht schlüssig dargetan, durch konkrete Anordnungen und Organisationsanweisungen gegenüber seinen Büroangestellten sichergestellt zu haben, dass eine Sekretärin nicht aus eigener Initiative und ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts selbstständig eine eingetragene Frist ändert.

Fristverlängerung ohne Verlängerungsantrag ist besondere Verfahrensgestaltung

Der BGH bemängelte besonders, dass im Rahmen der Abänderung der eingetragenen Frist eine Überprüfung der Frage unterblieben ist, ob für die eigene Partei überhaupt ein Antrag auf Fristverlängerung gestellt wurde. Die Abänderung einer Frist im Fristenkalender aufgrund einer Verlängerung, die für die vom Rechtsanwalt vertretene Partei gar nicht beantragt wurde, bewertete der BGH als eine besondere Verfahrensgestaltung, für die der Rechtsanwalt seinen Angestellten ebenfalls konkrete Organisationsanweisungen dahingehend erteilen müsse, vor Abänderung einer Frist in jedem Fall Rücksprache mit dem Rechtsanwalt zu halten.

Wiedereinsetzungsantrag nicht hinreichend begründet

Da der Wiedereinsetzungsantrag des Rechtsanwalts keinerlei Hinweise auf die Erteilung entsprechender Anweisungen enthielt, bewertete der BGH den Wiedereinsetzungsantrag schon als unschlüssig und die Versäumung der Frist als Folge eines Organisationsverschulden des Rechtsanwalts, das gemäß § 85 Abs. 2 ZPO der von ihm vertretenen Partei zuzurechnen sei.

Ergebnis: Beschwerde und Berufung waren unzulässig

Pech für den Rechtsanwalt: Nachdem die Beklagte ihrerseits die von ihr eingelegte Berufung zurückgenommen hatte, konnte die Berufung der Klägerseite auch nicht mehr als unselbständige Anschlussberufung gewertet werden und war daher als unzulässig zu verwerfen.

(BGH, Beschluss v. 20.4.2020, VI ZB 49/19).

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Hintergrund: Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung

Einer Partei ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten.

  • Verschulden des Anwalts ist der Partei wie ihr wie eigenes zuzurechnen.
  • Lediglich Verschulden des Büropersonals,
  • welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Anwalts beruht, hat die Partei nicht zu vertreten.

Zu unterscheiden ist also einerseits zwischen Organisationsmängeln, die einem Rechtsanwalt und dem von ihnen Vertretenen als Verschulden zuzurechnen sind, und nicht zurechenbaren Büroversehen andererseits. Wird ein nicht zurechenbares Büroversehen geltend gemacht, gehört zum schlüssigen Vortrag der Wiedereinsetzungsgründe auch die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen.

Der Wiedereinsetzungsantrag bedarf einer Begründung dergestalt, dass den mitgeteilten Tatsachen die unverschuldete Verhinderung des Betroffenen und Antragstellers an der Fristversäumung entnommen werden kann. Aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Garantie des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs dürfen die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung jedoch nicht überspannt werden (BVerfGE 26, 315).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium