Nürnberger Prozesse - dunkle Schatten der deutschen Geschichte

Der Versuch, die Verbrechen des Dritten Reichs juristisch zu fassen, war eben so singulär wie die zu beurteilenden Delikte. Trotz gewaltiger Probleme war das Unterfangen ein Meilenstein und ein Vorläufer des im Jahr 2003 gegründeten Internationalen Strafgerichtshofes in den Haag.

Im Winter 1945 lagen große Teile Europas in Trümmern. Das Deutsche Reich hatte kapituliert, die Schuldigen des Krieges sollten zur Rechenzeit Rechenschaft gezogen werden. Nach den Konferenzen der Siegermächte in Potsdam, Teheran und Jalta kamen die Alliierten überein, ein Gerichtsverfahren gegen die Kriegsverbrecher zu führen.

Auf der Konferenz in Jalta wurde am 12.02.1945 erklärt: „Es ist unser unbeugsamer Wille, alle Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen und einer schnellen Bestrafung zuzuführen“. Himmler, Hess, Göring und viele weitere kamen auf eine so genannte Kriegsverbrecherliste und wurden steckbrieflich gesucht. Im Herbst 1945 war es dann soweit, am 20.11.1945 konnte der Prozess beginnen.

Nürnberg, die Stadt der NSDAP–Reichsparteitage

Die Alliierten hätten den Prozess wohl am liebsten in der Reichshauptstadt Berlin durchgeführt. Die Justizgebäude in Berlin waren jedoch so gründlich zerstört, dass dort der Prozess nicht zu führen war. Man entschied sich daher für Nürnberg, die Stadt der die großen NSDAP–Reichsparteitage, deren Justizgebäude im wesentlichen unzerstört geblieben waren.

Paritätische Besetzung der Richterbank

Jede der Siegermächte – Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion und die USA – entsandten einen Richter, einen Vertreter sowie je einen Hauptankläger. Den Vorsitz des Gerichts führte der britische Richter Sir Geoffrey Lawrence. Auf der Anklagebank fehlte ein wesentlicher Teil der Hauptschuldigen: Adolf Hitler, Goebbels und Himmler lebten nicht mehr. 24 Hauptangeklagte wurden exemplarisch ausgewählt, darunter der ehemalige Außenminister Joachim von Ribbentrop, der ehemalige Reichsmarschall Hermann Göring, der Rüstungsminister Albert Speer, Hitlers Stellvertreter als Parteivorsitzender Rudolf Heß, Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner, Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Reichswirtschaftsminister Walther Funk, der Industrielle Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Karl Dönitz, der Reichsjugendführer Baldur von Schirach und andere.

Auf der Anklagebank saßen aber nicht nur Personen sondern auch Organisationen, die NSDAP, die SA und SS, die Reichsregierung das Oberkommando der Wehrmacht sowie die Gestapo waren angeklagt.

Die Anklage

Mit dem Londoner Abkommen vom 8. August 1945 wurde der Internationale Militärgerichtshof eingesetzt. Ihm wurde die Zuständigkeit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zugewiesen. US-Chefankläger war Robert H. Jackson, der in seiner Anklagerede am 21.11.1945 Untaten von „niederträchtiger und vernichtender Art“ anprangerte.

Der Anklagevertreter stellte es als große Leistung der Zivilisation heraus, dass die Siegernationen trotz der ungeheuren erlittenen Wunden nicht platte Vergeltung übten, sondern die „Feinde freiwillig dem richtenden Gesetz überlassen“. Der russische Chefankläger formulierte etwas härter und beantragte, gegen alle Angeklagten ohne Ausnahme die Todesstrafe zu verhängen. Dies sei „der Urteilsspruch, den Fortschritt und Menschheit“ erwarte.

Die Verteidigung

Das Verfahren wurde nach amerikanischem Prozessrecht durchgeführt. Jeder Angeklagte konnte aus einer Verteidigerliste einen Verteidiger wählen. Einige der Verteidiger machten von ihrem Rechten dann auch ausführlich Gebrauch. Sie prangerten insbesondere an, dass der Prozess gegen allgemein anerkannte Grundsätze des Völkerrechts verstoße. Das juristische Hauptproblem bestand darin, dass die Hauptanklagepunkte

  • Verschwörung zur Durchführung eines Angriffskrieges,
  • Verbrechen gegen den Frieden,
  • Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Holocaust)

juristisch bisher nicht definiert waren. Die Verteidigung rügte demgemäß einen Verstoß gegen den Grundsatz „nulla poena sine lege“ und warf dem Gericht vor, Delikte zur Anklage zugelassen zu haben, die es zum Zeitpunkt der Tatbegehung gar nicht gegeben habe. Damit werde rückwirkend neues Strafrecht geschaffen – nach Auffassung der Verteidigung ein eklatanter Verstoß gegen grundlegende Rechtsprinzipien des Strafrechts.

Zügige Prozessführung

Im Hinblick auf den Umfang und die Schwere der Tatvorwürfe wurde der Prozess seitens des Gerichts zügig durchgezogen. Bereits am 01.10.1946 wurden die Urteile verkündet. Das Gericht wies den von der Verteidigung erhobenen Vorwurf des Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot zurück und stützte die Urteile darauf, dass ein fester Bestand an unveräußerlichen Menschenrechten zu jedem Zeitpunkt und an allen Orten Gültigkeit habe. Diese Menschenrechte seien durch die Angeklagten in eklatanter Weise verletzt worden. Von den 24 Hauptangeklagten wurden 12 zum Tode verurteilt (Göring nahm sich kurz vor der Vollstreckung des Urteils durch eine Zyankalikapsel das Leben).

Der ehemalige Vizekanzler Franz von Papen, der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht und der Leiter der Rundfunkabteilung für Volksaufklärung und Propaganda Franz Fritsche wurden freigesprochen. Die anderen Angeklagten erhielten unterschiedlich lange Haftstrafen. In Nürnberg wurden noch 12 Folgeprozesse vor US–Gerichten durchgeführt.

Weitreichende Bedeutung

Mit seinen Urteilen schrieb der Militärgerichtshof Rechtsgeschichte. Zum ersten Mal wurden die Schuldigen eines Krieges und staatliche Stellen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft gezogen. Dies war ein westlicher Pfeiler für die Manifestierung der Menschenrechte sowohl im allgemeinen Bewusstsein der Menschen als auch im Völkerrecht. Damit war der Militärgerichtshof Vorläufer des im Jahr 2003 gegründeten Internationalen Strafgerichtshofes in den Haag, der heute die Kriegsverbrecherprozesse gegen Karadzic und Mladic oder Sudans Staatschef Omar al – Baschir verhandelt.

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