Neues Selbstbestimmungsgesetz: Eckpunkte

Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen sollen nach dem Entwurf eines neuen Selbstbestimmungsgesetzes künftig ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch einfache Erklärung beim Standesamt ändern können.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesjustizminister Marco Buschmann haben Eckpunkte für das geplante Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt, das das Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ablösen soll.

Ziel: Besserer Rechtsschutz für alle, unabhängig vom Geschlecht

Der Bundesjustizminister und die Bundesfamilienministerin verfolgen mit dem geplanten neuen Selbstbestimmungsgesetz die folgenden Ziele: Die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung der Privatsphäre, der Schutz vor Diskriminierung - all diesen von der Verfassung garantierten Rechte soll das neue Gesetz besser gerecht werden als das aus dem Jahr 1980 stammende TSG.

Änderungen des Personenstandseintrags derzeit sehr kompliziert

Bundesjustizminister Buschmann betont, dass Teile des bisher geltenden TSG verfassungswidrig sind. Die beim Standesamt zum Zwecke der Änderung des Personenstandseintrags zu nehmenden Hürden seien teilweise entwürdigend.

Vor der Personenstandsänderung steht ein kostenintensives Gerichtsverfahren

Nach derzeitiger Rechtslage müssen Personen, die ihren Geschlechtseintrag und ihren Vornamen ändern wollen, ein Gerichtsverfahren einleiten und 2 Sachverständigengutachten erstellen lassen. Die Erstellung dieser Gutachten ist in der Praxis nicht nur langwierig, und kostenintensiv, sondern sowohl physisch als auch psychisch äußerst belastend. 

Personenstandsänderung künftig durch einfache Erklärung

Diese Situation soll sich nach dem neuen Gesetz ändern. Künftig soll eine Erklärung verbunden mit einer Eigenversicherung beim Standesamt als Nachweis dafür genügen, dass der behördliche Geschlechtseintrag nicht mit der wirklichen Geschlechtsidentität übereinstimmt.

Eckpunkte des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes

Die wesentlichen Eckpunkte des neuen Gesetzes sind:

  • Das TSG wird abgeschafft.
  • Das neue Selbstbestimmungsgesetz wird für die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen nicht mehr zwischen transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen unterscheiden.
  • Die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen erfolgt bei volljährigen Personen durch Erklärung mit Eigenversicherung gegenüber dem Standesamt,
  • für Minderjährige bis 14 Jahre durch eine Änderungserklärung der Sorgeberechtigten,
  • für Minderjährige ab 14 Jahren durch eine Eigenerklärung mit Zustimmung der Sorgeberechtigten.
  • Lehnen Sorgeberechtigte eine vom Minderjährigen gewünschte Zustimmung ab, so soll das Familiengericht die Zustimmung auf Antrag des Minderjährigen orientiert am Kindeswohl ersetzen können.
  • Die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens hat die Folge der Änderung sämtlicher amtlicher Dokumente (Personalausweis, Reisepass, Führerschein).

Begleitende Beratungsangebote geplant

Der Bundesjustizminister und die Bundesfamilienministerin haben bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers auf das als wesentlich angesehene Beratungselement des neuen Gesetzes hingewiesen. Sowohl für Minderjährige als auch für ihre Eltern sollen umfassende Beratungsangebote geschaffen und bereits bestehende Beratungsangebote unterstützt werden. Diese Beratungsangebote sollen sowohl auf die persönliche und familiäre Situation der Betroffenen eingehen als auch auf die rechtlichen Auswirkungen eines Personenstandswechsels als auch auf mögliche Folgen für die weitere physische und psychische Entwicklung der betroffenen Person.

Nach einer Personenstandsänderung Sperrfrist für weitere Änderungen

Die Minister sehen eine mögliche Gefahr der Neuregelung für entscheidungsunsichere Personen. Um zu vermeiden, dass Betroffene ihren Geschlechtseintrag in kurzen Abständen immer wieder ändern, soll nach einer Änderung eine Sperrfrist von einem Jahr für weitere Änderungen einsetzen. Hierdurch sollen Betroffene vor übereilten Entscheidungen geschützt und die Ernsthaftigkeit des Änderungswunsches sichergestellt werden.

Reform des Abstammungsrechts soll kurzfristig folgen

Die Frage, mit welcher Bezeichnung Eltern nach einer Änderung ihres Geschlechtseintrags in der Geburtsurkunde ihrer Kinder eingetragen werden soll in der geplanten separaten Abstammungsrechtsreform noch in der laufenden Legislaturperiode geregelt werden.

Geschlechtsangleichende Maßnahmen gehören nicht zum Regelungsbereich

Ausdrücklich ausgenommen vom Regelungsbereich des neuen Selbstbestimmungsgesetzes sollen Vorfestlegungen hinsichtlich etwaiger körperlicher geschlechtsangleichender Maßnahmen sein. Hier gelten rein fachmedizinische Aspekte.

Bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot

Das Gesetz soll zum Schutz der Betroffenen vor Diskriminierung ein bußgeldbewehrtes Offenbarungsverbot enthalten.

Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes noch vor Jahresende

Die zuständigen Ministerien planen eine Verabschiedung des noch vorzulegenden Gesetzentwurfes noch vor Ende des Jahres 2022. In Kraft treten soll das Gesetz in der 2. Jahreshälfte 2023.

Hintergrund:

Das BVerfG hatte in der Vergangenheit häufiger Grund, sich mit der Verfassungsmäßigkeit des TSG zu befassen und hat einige wesentliche Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt.

Diese Teile des TSG wurden für verfassungswidrig erklärt

So hat das BVerfG entschieden, dass die Vorschriften über die Änderung der Vornamen und der Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen mit der Verfassung nicht vereinbar sind (BVerfG, Beschluss v. 11.1.2011,1 BvR 3295/07). Auch die Bestimmung, wonach die rechtliche Anerkennung im neuen Geschlecht eines verheirateten Transsexuellen davon abhängig sein sollte, dass dieser sich von seinem Ehegatten scheiden lässt, obwohl er weiter mit ihm zusammenleben will, hat das Gericht als verfassungswidrig eingestuft (BVerfG, Beschluss v. 27.5.2008, 1 BvL 10/05).

Erfordernis zweier Gutachten ist verfassungsrechtlich in Ordnung

Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Änderung des Vornamens und des Personenstands wegen des Erfordernisses zur Einholung von 2 Sachverständigengutachten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 TSG hat das BVG allerdings nicht zur Entscheidung angenommen. Das Erfordernis zweier Gutachten als prozessrechtliches Mittel zum objektiven Nachweis der rechtlichen Voraussetzungen eines Geschlechterwechsels sei verfassungsgemäß, solange die Gerichte bei Erteilung des Gutachtenauftrags und dessen Verwertung darauf achten, dass die Betroffenen bei der Begutachtung nicht Fragen ausgesetzt sind, die deren Intimbereich verletzen und die für die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Personenstandsänderung keine Bedeutung haben (BVerfG, Beschluss v. 17.10.2017, 1 BvR 747/17).

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