„Muttis gegen den Klimawandel“ kleben sich an Bankfiliale fest

Erfüllt das Festkleben einer Person an der Tür einer Bankfiliale mit einem leicht lösbaren Klebstoff den Straftatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte?

Strafgerichte müssen sich mit den unterschiedlichsten Fallkonstellationen befassen. Juristische Schwierigkeiten bereitet dabei häufig die Auslegung und Anwendung des Gewaltbegriffes.

5 Klimaaktivistinnen klebten sich an Banktür fest

Das LG Berlin hatte über eine Klebeaktion an der Eingangstür einer Bankfiliale in Berlin zu entscheiden. Die dortige Angeschuldigte hatte am 19.5.2022 mit 11 weiteren Personen an einer nicht angemeldeten Versammlung unter dem Thema „Muttis gegen den Klimawandel“ teilgenommen. Die Angeschuldigte und 4 weitere Personen hatten sich im Zuge der Veranstaltung zum Zwecke der Erzeugung von Aufmerksamkeit mit je einer Handfläche an einer aus Glas bestehenden Eingangstür einer Bankfiliale in Berlin festgeklebt.

Lösung der festgeklebten Hand mit chemischer Hilfe

Der Aufforderung der herbeigerufenen Polizeibeamten, sich an einen Versammlungsort zu begeben, der den Teilnehmern der Versammlung inzwischen zugewiesen worden war, kam die Angeschuldigte nicht nach. Mit Hilfe einer Aceton-Lösung gelang es einem Polizeibeamten, die Hand der Angeschuldigten von der Glastür zu lösen. Diese Prozedur nahm – wie auch bei den 4 weiteren festgeklebten Frauen – etwa 3 Minuten in Anspruch.

Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft

Die zuständige Staatsanwaltschaft eröffnete ein Ermittlungsverfahren und warf der Angeschuldigten vor, durch ihre Vorgehensweise bewusst die Durchführung einer polizeilichen Maßnahme nicht unerheblich erschwert zu haben. Die Staatsanwaltschaft beantragte den Erlass eines Strafbefehls wegen Widerstandes gegenüber Vollstreckungsbeamte.

Schutz der Versammlungsfreiheit auch für nicht angemeldete Versammlung

Das zunächst zuständige AG lehnte den Erlass des beantragten Strafbefehls ab. Begründung: Die Versammlung „Muttis gegen den Klimawandel“ sei zwar nicht angemeldet gewesen, stehe aber dennoch unter dem Schutz der durch Art. 8 GG gewährleisteten Versammlungsfreiheit. Die gesamte Aktion sei daher unter Berücksichtigung dieses verfassungsrechtlichen Maßstabes zu bewerten.

Erlass eines Strafbefehls abgelehnt

Die Ablösung der Angeschuldigten von der Banktür war nach der Bewertung des AG für den ausführenden Polizeibeamten zwar lästig, aber nicht mit einem nennenswerten Kraftaufwand verbunden. Das Festkleben im konkreten Fall habe nicht die Qualität eines gewaltsamen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte im Sinne des § 113 StGB. Das AG lehnte daher den Erlass des beantragten Strafbefehls ab.

Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erfolglos

Der von der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung des AG eingelegten Rechtsbeschwerde blieb der Erfolg versagt. Das für die Entscheidung zuständige LG verwies im Wesentlichen auf den Wortlaut des § 113 Abs. 1 StGB. Dieser erfordere eine gewaltsame Widerstandshandlung gegen Vollstreckungsbeamte. Eine solche gewaltsame Widerstandshandlung setze voraus, dass der Täter unter Anwendung von körperlicher Kraft eine Handlung ausübe, die geeignet sei, die Durchführung einer Vollstreckungswandlung zu verhindern oder zumindest erheblich zu erschweren.

Tatbegehung auch durch vorweggenommene Widerstandshandlung möglich

Der Tatbestand kann nach Auffassung der Kammer schon dadurch verwirklicht werden, dass ein Täter sich an einen Gegenstand angekettet oder angeklebt, um gegen eine erwartete Vollstreckungshandlung vorweggenommenen Widerstand noch vor Beginn der Diensthandlung zu leisten. Auch hier sei aber erforderlich, dass zur Beseitigung der Widerstandshandlung ein gewisser Kraftaufwand durch den Vollstreckungsbeamten erforderlich und der vom Täter geleistete Widerstand für den Amtsträger körperlich wahrnehmbar sei (BGH, Beschluss v. 11.6.2020, 5 StR 157/20).

Kein gewaltsamer Widerstand der Angeschuldigten

An einer gewaltsamen Widerstandshandlung im Sinne des § 113 StGB fehlte es nach der Bewertung der Kammer im konkreten Fall, da der Kleber durch die Polizei ohne speziellen Kraftaufwand leicht zu lösen gewesen sei. Die Angeschuldigte habe auch keinen über das Festkleben hinausgehenden körperlichen Widerstand geleistet.

Strafbefehlsantrag zu Recht abgelehnt

Im Ergebnis bewertete das LG die Ablehnung des Strafbefehlsantrags der Staatsanwaltschaft durch das AG gemäß § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO als rechtmäßig.

(LG Berlin, Beschluss v. 20.4.2023, 503 Qs 2/23)

Hintergrund:

Der vom LG Berlin entschiedene Fall unterscheidet sich in einigen Punkten von den Fällen des Festklebens von Mitgliedern der sogenannten „Letzten Generation“ auf Stadtstraßen und Autobahnen, da dort andere Verkehrsteilnehmer erheblich behindert wurden bzw. werden. In diesen Fällen steht in der Justizpraxis die Anwendung des Straftatbestandes der Nötigung im Vordergrund. Allerdings hat eine andere Kammer des LG Berlin im Fall einer Straßenblockade durch Festkleben sowohl den Gewaltbegriff des Nötigungstatbestandes gemäß § 240 StGB als auch den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB als erfüllt angesehen (LG Berlin, Beschluss v. 21.11.2022, 534 Qs 80/22). Einige Gerichte wenden in diesen Fällen nur den Straftatbestand der Nötigung an (BayObLG, Beschluss v. 21.4.2023, 205 StRR 63/23).

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