Muss Siedlungsware aus Israel als solche gekennzeichnet werden?

Ware israelischer Siedler muss nach Auffassung des Generalanwalts beim EuGH als solche gekennzeichnet werden. Grund: Die   Kennzeichnungspflicht nach EU-Recht umfasse auch ethische Gesichtspunkte. Der Verbraucher habe ein Recht auf Information über die Herkunft der von ihm gekauften Waren.  Ein Weinanbaubetrieb wehrt sich.

Der bis zum EuGH gelangte Rechtsstreit über die Kennzeichnungspflicht von Siedlungswaren aus Israel schlägt nach den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 13.6.2019 in der EU und auch Israel hohe Wellen. Gegenstand des Verfahrens ist die EU-Verordnung Nr. 1169/2011 über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln.

Kennzeichnung von Siedlungsware vorgeschrieben: Nachteile bei Vermarktungs befürchtet

In einem in Frankreich geführten Rechtsstreit mit der

  • „Organisation juive europeenne“ und dem Weinanbaubetrieb „Vignoble Psagot Ltd“ (der u.a. auf die Nutzung von Rebflächen in den von Israel besetzten Gebieten spezialisiert ist) als Kläger
  • und dem „Ministre de l`Economie et Finances“ als Beklagte

wenden sich die Kläger gegen eine Verordnung des Ministeriums, wonach die aus den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten stammenden Lebensmittel mit dem Zusatzisraelische Siedlung“ zu versehen sind.

Die Kläger befürchten aufgrund der Kennzeichnungspflicht offensichtlich Vermarktungsnachteile.

Conseil d`etat bitte EuGH um Klärung

Der französische Staatsrat hat daraufhin dem EuGH die Fragen zur Entscheidung vorgelegt,

  • ob diese Herkunftsinformation nach europäischem Recht verpflichtend ist und
  • ob die Anordnung des französischen Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen zur Etikettierung der Herkunft mit europäischem Recht vereinbar ist.

Verbraucher hat Recht auf umfassende Information

In seinen Schlussanträgen stellte der Generalanwalt wesentlich auf die Zielsetzung der EU-Verordnung über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln ab.

  • Die EU-VO 1169/2011 bezwecke laut Art. 1 die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus in Bezug auf eine umfassende Information unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Erwartungen der Verbraucher und ihrer unterschiedlichen Informationsbedürfnisse.
  • Dabei gehe es nicht nur um den Schutz der Gesundheit,
  • sondern entsprechend dem dritten Erwägungsgrund auch um wirtschaftliche, umweltbezogene, soziale und ethische Erwägungen.

Die Entscheidung von Verbrauchern über den Kauf einer bestimmten Ware werde zunehmend auch von politischen, kulturellen und ethischen Gesichtspunkten beeinflusst.

Ethische Gesichtspunkte können eine Kaufentscheidung beeinflussen

Nach Auffassung des Generalanwalts muss auch die Auslegung des Begriffs des Herkunftsortes bzw. des Ursprungslandes unter Berücksichtigung dieser Zielsetzungen der EU-VO ausgelegt werden. Der Begriff Ursprungsland umfasse daher nicht lediglich die Angabe eines Ortsnamens. Ein solcher könne für den Verbraucher sogar irreführend sein, wenn der Ortsname für einen durchschnittlich informierten Verbraucher keinen Rückschluss auf die Bedeutung für seine Kaufentscheidung zulasse.

  • Der durchschnittlich informierte und angemessen aufmerksame Verbraucher habe Anspruch auf eine Ortsangabe, die ihm eine auch in politischer, sozialer und ethischer Hinsicht fundierte Entscheidung ermögliche.
  • So hätten viele europäische Verbraucher in der Zeit der Apartheid vor 1994 den Kauf südafrikanischer Waren abgelehnt.
  • Heute verweigerten viele Verbraucher den Kauf von Waren beispielsweise aus Ländern, die undemokratisch regiert würden, weil sie durch ihren Kauf ein nach ihrer Auffassung ethisch nicht tolerierbares System nicht unterstützen wollten.

Legitimes Verbraucherinteresse an Herkunftsbezeichnung

Vor diesem Hintergrund kam der Generalanwalt zu dem Schluss, dass Verbraucher aus ethischen oder politischen Gründen den Kauf von Erzeugnissen aus den von Israel besetzten Gebieten ablehnen könnten,

  • weil sie in der Besetzung dieser Gebiete und der Errichtung von Siedlungen eine Verletzung des Völkerrechts, insbesondere von Art. 49 des Genfer Abkommens über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten, sähen.
  • Auch der UN-Sicherheitsrat habe 2016 den Stopp der Errichtung neuer Siedlungen gefordert, weil er diese für völkerrechtswidrig hält.
  • Der Generalanwalt betonte, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, die Haltung von Verbrauchern in dieser Frage zu bewerten, es gehe ausschließlich darum, den Verbraucher in die Lage zu versetzen, solche ethischen Gesichtspunkte bei seiner Kaufentscheidung berücksichtigen zu können.
  • Dies könne der Verbraucher aber nur, wenn die Angaben auf dem Erzeugnis ihn so umfassend informierten, dass er eine solche Entscheidung treffen kann.

Daher habe der Verbraucher ein legitimes Interesse an einer Information über die Herkunft.

Erforderlich ist der Begriff „Siedlung“

Der Generalanwalt verwies auf die Resolution Nummer 2234 des UN-Sicherheitsrates, wonach zwischen dem eigentlichen Hoheitsgebiet des Staates Israel und den seit 1967 besetzten Gebieten klar unterschieden werde.

  • Dies führte zu der Schlussfolgerung des Generalanwalts, dass der Verbraucher auf eine entsprechende Etikettierung einen Anspruch habe.
  • Fehle diese Angabe, könne der Verbraucher hierdurch in die Irre geführt werden.
  • Daraus zog der Generalanwalt den Schluss, dass die Information über den Herkunftsort eine nach Art. 9 Abs. 1 Buchstabe i und Art. 26 Abs. 2 Buchstabe a der EU-Richtlinie 1169/2011 verpflichtende Angabe ist.

Ausdrücklich wies der Generalanwalt darauf hin, dass nach seiner Auffassung die geographischen Herkunftsbezeichnungen Westjordanland oder Golanhöhen nicht hinreichend seien, entscheidend sei der Begriff „Siedlung“, da lediglich diese Angabe darauf hinweise, dass die Ware aus einem besetzten Gebiet stamme.

Nationale Verordnungen sind nicht zulässig

Trotz seiner grundsätzlichen Rechtsauffassung kam der Generalanwalt zu dem Schluss, dass die Verordnung des französischen Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen nicht zulässig war. Die Verpflichtung zur Herkunftsangabe folge unmittelbar aus europäischem Recht. Gemäß Art. 38 Abs. 2 der EU-VO 1169/2011 dürften Mitgliedstaaten nationale Vorschriften nur erlassen, wenn nachweislich eine Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft bestünden. Dies sei hier nicht der Fall. Den Mitgliedstaaten sei deshalb auf nationaler Ebene nicht erlaubt, für ein Erzeugnis aus einem von Israel seit 1967 besetzten Gebiet die Angabe der Herkunft vorzuschreiben.

VO des französischen Wirtschaftsministeriums war rechtswidrig

Die von den Klägern beanstandete Verordnung des „Ministre de l`Economie et Finances“ beurteilte der Generalanwalt als nationale Maßnahme, die daher nicht rechtmäßig sei. Einige Beobachter bezweifeln noch, ob der EuGH - wie es sonst üblich ist - in seiner Entscheidung den Anträgen des Generalanwalts folgen wird.

(Schlussanträge des Generalsanwalts beim EuGH v. 13.6.2019, Rechtssache C – 363/18).

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