Mord wird durch ein altruistisches Motiv nicht ausgeschlossen

Neun mit großer Wucht geführte Hammerschläge gegen den Kopf seiner schlafenden Ehefrau, aber kein heimtückischer Mord wegen edler Motive des Täters? Eine heimtückische Tötung ist nach einer Grundsatzentscheidung des BGH auch dann Mord, wenn sie aus altruistischen Motiven erfolgt.

Nur wenn die heimtückische Tötung dem Willen des oder der Getöteten entspricht, kann ausnahmsweise der Mordtatbestand entfallen. Schuldmindernde Motive können in Ausnahmefällen auf der Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden. Diese Grundsätze hat der BGH kürzlich in einer etwas bizarr erscheinenden Fallkonstellation aufgestellt.

Ein Leben in Überschuldung

Der nach den Feststellungen des Schwurgerichts spielsüchtige, ansonsten aber psychisch gesunde Angeklagte lebte seit dem Jahr 1991 mit seiner damaligen Freundin und späteren Ehefrau in deren Wohnung zusammen. Als selbstständiger Lkw-Unternehmer hatte er erhebliche Schulden angehäuft und ein Privatinsolvenzverfahren durchlaufen. Seit März 2017 arbeitete er bei einem Taxiunternehmen in Dresden. Im Frühjahr 2018 wurde die Situation aufgrund rückständiger Mietzahlungen prekär, eine Sperrung des Stromanschlusses war bereits angekündigt. Mahnungen von Versicherungen und sonstigen Gläubigern stapelten sich. Der Angeklagte unterschlug gegenüber seinem Arbeitgeber Bareinnahmen aus dem Taxigeschäft, was schließlich zum Verlust seines Arbeitsplatzes führte.

Ehefrau war schwer erkrankt

Die 16 Jahre ältere Ehefrau des Angeklagten litt zu diesem Zeitpunkt unter starken gesundheitlichen Einschränkungen. Von den Folgen einer Hirnblutung hatte sie sich nicht erholt. Wegen weiterer körperliche Gebrechen und starker Depressionen verließ sie kaum noch das Haus.

Entschluss zum erweiterten Suizid

Der Angeklagte fand nicht den Mut, seine Ehefrau in die von ihm als hoffnungslos empfundene finanzielle Situation einzuweihen und fasste den Entschluss, zunächst sie und dann sich selbst zu töten. Er sprach darüber mit seiner Ehefrau nicht.

Neun tödliche Hammerschläge gegen den Kopf

Nachdem er eine halben Flasche Whisky getrunken hatte, nahm er einen schweren Hammer und versetzte seiner im Ehebett schlafenden Ehefrau neun wuchtige Schläge gegen den Kopf, von denen nach den Feststellungen des Sachverständigen jeder für sich genommen tödlich war.

Das ausschließliche Motiv des Angeklagten für seine fürchterliche Tat war nach den Feststellungen des Schwurgerichts, seiner Ehefrau durch die Tötung ein deprimierendes Leben im finanziellen Ruin zu ersparen, nachdem sie infolge ihrer Erkrankung ohnehin fast jede Lebenslust verloren hatte. Der anschließende Versuch des Angeklagten, sich mittels Medikamenten selbst zu töten, schlug fehl.

Landgericht verneint feindliche Willensrichtung

Das Schwurgericht hat in diesem Fall das Mordmerkmal der Heimtücke als nicht verwirklicht angesehen. Der Angeklagte habe aus seiner Sicht seine Ehefrau vor weiterem Leid schützen wollen. Damit fehle es an einer gegen das Opfer gerichteten feindseligen Willensrichtung, denn der Angeklagte habe in dem Glauben getötet, zum Besten seines Opfers zu handeln. Das LG verneinte daher den Tatbestand des Mordes und verurteilte den Angeklagten nur wegen Totschlags.

Heimtücke bedeutet (fast) immer Mord

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der BGH das Urteil auf. Nach Wertung des BGH können die Motive für eine ansonsten heimtückische Tötung, von Ausnahmefällen abgesehen, in der Regel nicht auf der Tatbestandsseite sondern lediglich auf der Rechtsfolgenseite berücksichtigt werden. Der BGH verwies auf die Rechtsprechung des Großen Senats für Strafsachen, der mit Bindungswirkung für alle Strafsenate des BGH entschieden habe, dass auch bei Vorliegen außergewöhnlicher mildernder Umstände im Fall einer heimtückischen Begehungsweise der Schuldspruch stets auf Mord zu lauten hat.

Ältere BGH-Rechtsprechung überholt

Nach Wertung des BGH erschöpft sich das Mordmerkmal der Heimtücke in der vorsätzlichen Vernichtung von menschlichem Leben auf heimtückische Weise. Auf der Ebene des Tatbestands lasse dies keine Differenzierungen zu. Die ältere Entscheidung des BGH, die das Mordmerkmal der Heimtücke tatbestandlich einschränkte, wenn der Täter glaubt, zum Besten seines Opfers zu handeln und ihm daher die feindliche Willensrichtung fehle, sei überholt (BGH, Beschluss v. 22.9.1956, GSSt 1/56).

In besonderen Fällen können Straffolgen gemildert werden

Nach Auffassung des BGH können sich allerdings in besonders gelagerten Fällen erhebliche Unterschiede in der Bewertung der Schuld ergeben, so

  • bei affektiver Antriebslage,
  • besonderen Beweggründen und Motiven,
  • im Fall einer besonderen Belastungssituation des Täters, beispielsweise durch eine Provokation sowie
  • im Fall einer besonderen Konfliktlage.

Hier könnten Grenzfälle eintreten, in denen unter Berücksichtigung der Gesamtumstände die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht verhältnismäßig wäre. Im Wege richterlicher Rechtsfortbildung könne in diesen Fällen unter entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Reduzierung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommen.

Korrektiv der feindlichen Willensrichtung auf zwei Fälle beschränkt

Aber auch von diesem Grundsatz lässt der BGH in seinem jetzigen Urteil zwei Ausnahmen zu:

  • Ein tatbestandlicher Ausschluss der Heimtücke kommt nach dem Diktum des Senats ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Tötung in einer Situation geschieht, in der das Opfer zu einer autonomen Willensbildung selbst nicht in der Lage ist und der Täter aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren Wertung zum Besten des Opfers und nach dessen mutmaßlichem Willen zu handeln glaubt (BGH Urteil v. 7.6.1989, 2 StR 217/89; BGH, Urteil v. 8.5.1991,3 StR 467/90).
  • Die zweite Ausnahme betrifft den sogenannten erweiterten Suizid. Diese Ausnahme setzt allerdings voraus, dass der Täter in Willensübereinstimmung mit dem Opfer aus dem Leben scheiden will und entsprechend dem gemeinsamen Tatplan die Ausführung übernimmt (BGH Urteil v. 22.11.1994, 1 StR 626/94).

Der Wille des Opfers ist immer maßgeblich

Nach der Rechtsprechung des BGH liegt jedoch eine feindselige Willensrichtung vor, wenn der Täter zwar subjektiv glaubt, zum vermeintlich Besten seines Opfers zu handeln, das Opfer jedoch zuvor seinen gegenteiligen Willen bekundet hat (BGH, Beschluss v. 7.12.1999, 1 StR 574/99). Dies muss nach Auffassung des Senats auch dann gelten, wenn der Täter – wie hier -  annimmt, zum Besten seines Opfers zu handeln, aber bewusst davon absieht, sein Opfer zu informieren und dessen Willensentscheidung einzuholen und zu respektieren.

Menschliches Leben, auch leidbehaftetes, ist laut BGH immer erhaltenswürdig

Das menschliche Leben, auch ein leidbehaftetes - wie das der Ehefrau des Angeklagten -, sei immer erhaltenswürdig. Ein Urteil über seinen Wert stehe einem Dritten grundsätzlich nicht zu (BGH, Urteil v. 2.4.2019, VI ZR 13/18). Die Tötung eines Opfers ohne Berücksichtigung dessen wirklichen oder mutmaßlichen Willens auch zum vermeintlich Besten des Opfers sei grundsätzlich kein Grund, diese Tat gegenüber sonstigen Morden auf der Tatbestandsebene zu pivilegieren.

Die Entscheidung eines Täters darüber, was für das Opfer das Beste ist, sei grundsätzlich eine unangebrachte Anmaßung, in der auch eine Feindseligkeit gegenüber dem Lebensrecht und der Würde des Opfers zum Ausdruck komme.

Schwurgerichtskammer muss erneut entscheiden

Mit diesen Gründen hat der BGH die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und den Fall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen. Eine Verurteilung gemäß § 211 StGB wegen Mordes dürfte damit nicht zu umgehen sein. Das Schwurgericht wird zu prüfen haben, ob im konkreten Fall eine Strafmilderung analog § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht kommt.

Fazit: Im Ergebnis fehlt dem nach dem Urteil des BGH einer heimtückischen Tötung nur dann die feindselige Willensrichtung auf Tatbestandsebene, wenn die Tötung entweder dem ausdrücklichen Willen des Opfers oder aufgrund einer objektiv nachvollziehbaren, rechtlich anzuerkennenden Wertung dem mutmaßlichen Willen des Opfers entspricht.

(BGH, Urteil v. 19.6.2019, 5 StR 128/19)

Hintergrund:

Der Mordparagraph § 211 StGB ist ein zähes, aber offensichtlich schwer reformierbares Relikt aus der NS-Zeit und geht auf die heute eigentlich überholte Täter-Typenlehre zurück. Maßgeblich beteiligt an der Formulierung war der gefürchtetste Jurist und Strafrichter der NS-Zeit Roland Freisler. Trotz mannigfacher Reformbestrebungen ist es bis heute nicht gelungen, einen angemessenen Ersatz zu schaffen. Die Reformansätze scheiterten meist an der damit verbundenen, insbesondere von vielen Politikern befürchteten Relativierung der absoluten lebenslangen Freiheitsstrafe durch zusätzliche wertende Elemente.


Weitere News zum Thema:

Bald ausgedient? Reform des Mordparagraphen ist überfällig

Nazi-Relikte im StGB

Schlagworte zum Thema:  Mord, Rechtsanwalt, Justiz, Juristen, Richter