Missbrauch der Justiz durch die Staatsgewalt

Eine der größten Gefahren für eine ernst zu nehmende Justiz ist ihr Missbrauch durch die Staatsgewalt. Die Versuchung liegt nahe und kann wohl auch nie ganz ausgeräumt werden, auch nicht durch das Prinzip  der Gewaltenteilung. Doch immer wieder gibt es Zeiten und Länder, in denen sich diese Gefahr besonders deutlich realisiert. Ein Fall ist der des uigurischen Bürgerrechtlers Ilham Tohti.

Er ist wohl einer der unpolitischsten Bürgerrechtler, die China in den letzten Jahren mit Hilfe der Justiz brutal abgestraft hat. Der äußerst gemäßigte Aktivist Ilham Tohti bekam lebenslänglich für seinen öffentlich geäußerten Wunsch eines friedlichen Zusammenlebens zweier Ethnien.

Wunsch nach friedlichen Zusammenleben zweier Ethnien abgestraft

„Ich hoffe, wir Uiguren und die Han-Chinesen können in Frieden zusammenleben“ - das war seine simple Botschaft. Mäßigung war sein Markenzeichen. Er war ein Meister der leisen Töne und des friedlichen Dialogs. Harte separatistische Tendenzen waren ihm fremd; dennoch wurde er wegen des Delikts des Separatismus von der Justiz zu lebenslanger Haft verurteilt.

Auf Ausgleich bedacht

Der 44-jährige Tohti war Wirtschaftswissenschaftler und übte seine Tätigkeit an der Minzu-Universität in Peking bis Anfang dieses Jahres aus. Gegenstand seiner Forschungen waren das Leben und die Bräuche der Uiguren. Leise kritisierte er deren Ungleichbehandlung gegenüber den Han-Chinesen. Diese wurden im Stammland der Uiguren systematisch angesiedelt und im täglichen Leben stark bevorzugt wurden. Hierdurch kam es immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen, zu deren Abbau Tohti unermüdlich beizutragen versuchte. Tohti hatte aber auch unter den Uiguren nicht nur Freunde. Bürgerrechtsgruppen der Uiguren feindeten ihn an, weil er ihnen zu gemäßigt und zu sehr auf Ausgleich bedacht war.

Vorwurf der Staatsfeindlichkeit

Der Widerstand der Uiguren mündete Anfang März in mehreren Anschlägen, bei denen mehr als 70 Menschen ihr Leben ließen. Wirkliche oder vermeintliche Anführer der Aufstände wurden inzwischen zu langjährigen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt. Die Aufstände selbst aber gehen weiter. Das Gericht hat Tohti vorgeworfen, solche Unruhen zu schüren. Er stelle in verfälschender Form die Politik der Regierung in Peking gegenüber Minderheiten als Ursache solcher Unruhen dar. Hierdurch entzünde er ethnischen Hass und stachle zu Gewalt auf.

Staatsterror – ein Strukturmerkmal vieler Diktaturen

Es scheint ein notwendiger Bestandteil jeder diktatorisch oder zumindest autoritär geführten Gesellschaft zu sein, dass die Führung mit härtesten Maßnahmen gegen jede Form der Abgrenzung oder Selbständigkeit einzelner Volksgruppen agiert, seien sie nun ethnisch, religiös oder allgemein lebensanschaulich motiviert.

Oft instrumentalisieren Regierungen solche Gruppen auch als Sündenböcke für die eigenen Fehler, die für alles verantwortlich sind, was dem Regime nicht gelingt. Ob das NS-Regime die Juden für alles Unheil des deutschen Volkes verantwortlich machte, ob Stalin ganze Bevölkerungsgruppen wie Juden oder Polen brutal verfolgte und Menschen im Gulag verrotten ließ - immer  war die Disziplinierung und Kontrolle bestimmter, abgegrenzter Gruppen das Ziel staatlich angeordneten Terrors.

Klare Positionierung der Bundesregierung gefragt

Die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen bezeichnet das Urteil gegen Tohti als „schwarzen Tag für alle Bemühungen um mehr Rechtsstaatlichkeit in der Volksrepublik“. Von der Bundesregierung fordert sie ein deutliches Zeichen gegenüber der chinesischen Regierung. Wenn Anfang Oktober Chinas Premier Li Keqiang mit einem Ministertross die Bundesrepublik besucht, wird sich zeigen, ob die deutsche Regierung den Schneid aufbringt, das Thema Tohti aufzugreifen oder ob die Befürchtung, durch solche Themen die wirtschaftlichen Beziehungen zu China zu stören,  den Vorrang hat.

Entwicklung des Rechtsstaates in der Volksrepublik bald Schwerpunktthema

Für Ende des Jahres hat die Kommunistische Partei Chinas die Entwicklung des Rechtsstaates in der Volksrepublik als Schwerpunktthema auf die Tagesordnung gesetzt.

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