Mehrfachehe ist kein Einbürgerungshindernis

Die monogame Ehe ist kein zwingender Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Eine nach einer Eheschließung in Deutschland im Ausland geschlossene weitere Ehe steht einer Einbürgerung nicht entgegen.

Wie zu jedem Jahreswechsel hat der deutsche Bundesbürger auch diesmal einige rechtliche Änderungen zu beachten. Gehört dazu auch der Abschied vom Grundsatz der monogamen Ehe in Deutschland? Wohl eher nicht, eine hierzu ergangene Entscheidung des BVerwG lässt aber dennoch aufhorchen.

Eheschließung eines Syrers mit einer Deutschen

In dem vom BVerwG entschiedenen Fall hatte ein 1981 in Damaskus geborener syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit ein Bauingenieurstudium in Deutschland erfolgreich abgeschlossen. Seit dem Jahr 2008 arbeitet er als angestellter Bauingenieur. Im April 2008 heiratete der Syrer eine deutsche Staatsangehörige. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen.

Einbürgerungsantrag folgte

Im Jahr 2010 beantragte der Syrer seine Einbürgerung nach Deutschland. Im Antragsformular gab er ausschließlich seine im April 2008 geschlossene Ehe an. Im Oktober 2010 erfolgte antragsgemäß die Einbürgerung. Die syrische Staatsangehörigkeit wurde ihm belassen.

Zweitehe verschwiegen

Verschwiegen hatte der Antragsteller in seinem Einbürgerungsantrag eine im Juni 2008 in Syrien geschlossene weitere Ehe. Aus dieser Ehe ging im Jahr 2012 eine Tochter hervor. Im Herbst 2013 nahmen der Vater und seine deutsche Ehefrau das Kind in ihren gemeinsamen Haushalt in Deutschland auf. Im April 2017 zog die syrische Ehefrau in die gleiche Stadt, in der auch der Vater ihres Kindes wohnt.

Behörde nahm Einbürgerung zurück

Als die zuständige Behörde von der zweiten Ehe Kenntnis erhielt, nahm sie mit Bescheid vom 11.12.2013 die Einbürgerung des Klägers rückwirkend zurück. Die Einbürgerungsbehörde hielt die erfolgte Einbürgerung im Nachhinein für rechtswidrig, weil

  • die Einbürgerung nach § 9 Abs. 1 StAG fälschlicherweise auf die in Deutschland bestehende Ehe gestützt worden sei,
  • die Zweitehe aber belege, dass der Kläger in die deutschen Lebensverhältnisse noch nicht hinreichend integriert sei,
  • zumal er diese zweite Ehe auch praktisch lebe
  • und dies gegenüber der Behörde bewusst verschwiegen
  • und die Behörde damit vorsätzlich getäuscht habe.

Kläger hält Zweitehe für sein gutes Recht

Gegen die Rücknahme erhob der Betroffene Widerspruch und gegen den ablehnenden Bescheid Klage vor dem VG. Er führte aus,

  • seine in Syrien geschlossene zweite Ehe sei zivilrechtlich wirksam,
  • sie entspreche syrischem Recht
  • und er habe sich durch diese Eheschließung auch nicht strafbar gemacht.
  • Die Nichtangabe der zweiten Ehe sei nicht kausal für die Einbürgerung gewesen.

VG weist Anfechtungsklage des zweifachen Ehemannes ab

Das VG wies die Klage ab mit der Begründung,

  • der Kläger habe durch die Zweitehe gezeigt, dass ihm die Wertvorstellungen des Grundgesetzes teilweise fremd seien.
  • Der Kläger habe seine Einbürgerung durch Täuschung sowie durch vorsätzlich unrichtige und unvollständige Angaben erschlichen.
  • Das Prinzip der Einehe sei fester Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland.

Zweitehe mit grundlegenden deutschen Wertvorstellungen unvereinbar

Vor dem VGH war die Berufung des Klägers erfolgreich, die hiergegen eingelegte Revision führte zur Zurückverweisung durch das BVerwG an den VGH. Das BVerwG stellte für die Rücknahme der Einbürgerung auf § 35 Abs. 1 StAG als Rechtsgrundlage ab. Nach dieser Vorschrift kann eine von Anbeginn an rechtswidrige Einbürgerung u.a.  dann zurückgenommen werden, wenn die Einbürgerung durch arglistige Täuschung oder durch vorsätzlich unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt wurde.

  • Nach Auffassung des BVerwG war die auf § 9 StAG (Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen) gestützte Einbürgerung des Klägers rechtswidrig und ist durch unzutreffende Angaben des Klägers erwirkt worden.
  • Zu den Voraussetzungen einer Einbürgerung nach § 9 StAG gehöre die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse.
  • Durch die Doppelehe biete der Kläger nicht die Gewähr dafür, sich in die deutschen Lebensverhältnisse nachhaltig einordnen zu wollen (OVG Münster, Urteil v. 2.9.1996, 25 A 2106/94).
  • Zu den deutschen Lebensverhältnissen gehöre nämlich maßgeblich die Monogamie in der Ehe.
  • Diese sei für die deutsche Gesellschaft grundsätzlich prägend, ungeachtet der Wandlungen, die der Ehebegriff und die verschiedenen Formen des Zusammenlebens von Partnern in den letzten Jahren erfahren habe.
  • Gemäß § 172 StGB stehe die Eingehung einer Zweitehe bzw. einer zweiten Lebenspartnerschaft sogar unter Strafe.
  • Damit sei die Eingehung einer Zweitehe mit grundlegenden Wertvorstellungen in Deutschland nicht vereinbar.

Rücknahmeentscheidung steht im Ermessen der Behörde

Nach diesem Ergebnis habe die Behörde ein Ermessen bei der Rücknahme der Einbürgerung. Die Rechtmäßigkeit dieser Ermessensentscheidung hänge davon ab, ob im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung ein Anspruch auf Einbürgerung bestanden hat. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BVerwG habe die Einbürgerungsbehörde ein Einbürgerungsbegehren hinsichtlich aller in Betracht kommenden Einbürgerungstatbestände zu prüfen (BVerwG, Urteil v. 17.3.2004, 1 C5. 03).

  • Folgerichtig sei eine erfolgte Einbürgerung grundsätzlich dann nicht einer Rücknahme gemäß § 35 StAG zugänglich, wenn sie auf einer anderen Rechtsgrundlage als der von der Behörde herangezogenen hätte ebenfalls erfolgen müssen.
  • Im Rahmen des Ermessens sei auch ein hypothetischer Einbürgerungsanspruch im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil v. 9.9.2003, 1 C 6.03).
  • Den Betroffenen in einem solchen Fall auf einen neuen Einbürgerungsantrag zu verweisen, entspreche nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Möglicher Einbürgerungsanspruch auf anderer Rechtsgrundlage

Ein Anspruch des Klägers auf Einbürgerung folgt nach Auffassung des BVerwG möglicherweise aus § 10 StAG. Hiernach kann ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, unter anderem dann eingebürgert werden,

  • wenn er sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt,
  • er erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt, die gegen die freilich demokratische Grundordnung gerichtet sind
  • und den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen bestreiten kann.
  • Anders als § 9 StAG erfordert § 10 StAG keine Einordnung in die deutsche Lebensverhältnisse.
  • Deutsche Lebensverhältnisse und freiheitlich demokratische Grundordnung sind nach dem Urteil des BVerwG begrifflich nicht gleichzusetzen.
  • In § 10 StAG habe der Gesetzgeber nämlich bewusst den Begriff der Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse des § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG nicht aufgegriffen,
  • auch enthalte § 10 StAG kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Einordnung in deutsche Lebensverhältnisse (BVerwG, Beschluss v. 10.8.2016, 1 B 83.16).

Freiheitlich demokratische Grundordnung umfasst primär die staatliche Ordnung

Begriff und Konzept der freiheitlich demokratischen Grundordnung seien primär auf die staatliche Ordnung, deren Organisation und Handlungsgrenzen bezogen und umfassten dabei auch die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Der Einbürgerungsbewerber müsse durch seine Loyalitätserklärung

  • eine innere Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland erkennen lassen
  • und die Befugnis des demokratisch legitimierten Gesetzgebers zur Rechtsetzung vorbehaltlos akzeptieren
  • und zwar auch dann, wenn das staatliche Recht in Widerspruch zu vermeintlichen oder tatsächlichen religiösen Geboten stehe.

Zweitehe tangiert die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht

Innerhalb dieses Rahmens schütze die freilich demokratischen Grundordnung allerdings auch die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.

  • Vor diesem Hintergrund stehe die in Syrien geschlossene zweite Ehe einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht entgegen.
  • Auch enthalte Art. 6 GG keine grundsätzliche Pflicht, auf eine Zweit- oder Drittehe zu verzichten, die in einem anderen Staat nach dort geltendem Recht wirksam geschlossen werden kann.
  • Ein polygames Zusammenleben im Bundesgebiet begründe auch keinen Sittenverstoß und auch keinen grundsätzlichen Verstoß gegen den „ordre public“.
  • Auch die Kinder aus einer solchen Ehe genössen nach ständiger Rechtsprechung den Familienschutz des Art. 6 Abs. 1 GG und würden als eheliche Kinder betrachtet (BVerwG, Urteil v. 13.4.1985 1 C 33.81).

Das BVerwG betonte aber auch, dass die Mehrfachehe, besonders dann, wenn sie nur dem Mann erlaubt ist, Ausdruck eines vormodernen, die Gleichberechtigung der Geschlechter missachtenden Modells ist.

Einbürgerungsanspruch bedarf weiterer Sachaufklärung

Im Ergebnis hielt der Senat einen Einbürgerungsanspruch des Antragstellers nach § 10 Abs.1 Satz 1 StAG für möglich. Allerdings habe die Vorinstanz nicht hinreichend geklärt, ob das Lebensunterhaltssicherungserfordernis im Fall des Klägers hinreichend erfüllt sei. Der Kläger befinde sich zwar in einer gefestigten beruflichen Stellung, jedoch habe die Vorinstanz nicht hinreichende Feststellungen dazu getroffen, inwieweit das Einkommen des Klägers ausreicht, den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen auch unter Berücksichtigung der syrischen Ehefrau nachhaltig zu sichern. Hierzu muss die Vorinstanz noch weitere Feststellungen treffen.

Fazit: Die in der Öffentlichkeit nur wenig beachtete Entscheidung des BVerwG dürfte zwar nicht dazu führen, das Prinzip der monogamen Ehe oder Lebenspartnerschaft in Deutschland ins Wanken zu bringen, sie öffnet aber doch das Tor für polygame Ehen bei bestimmten Personengruppen mehr als nur einen Spalt weit.

(BVerwG, Urteil v. 29.5.2018, 1 C 15.17).

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