Leistet deutsche Rüstungsindustrie Beihilfe zu Kriegsverbrechen?

Leisten deutsche Rüstungsunternehmen und Politiker durch Waffenexporte Beihilfe zu Kriegsverbrechen? Einige Menschenrechtsanwälte sind dieser Auffassung und haben Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag erstattet.

Die Lieferung von Bomben und Kampfflugzeugen an Saudi-Arabien ist der Hauptvorwurf gegen maßgebliche Manager der Rüstungsindustrie. Obwohl Saudi-Arabien und einige seiner Verbündeten maßgeblich am überaus grausamen Jemen-Krieg beteiligt sind, sei die Lieferung von Waffen an Saudi-Arabien für diese Unternehmen offenbar kein Problem.

UN rügt Völkerrechtsverstöße durch Saudi-Arabien in Jemen

Im Jemen leben ca. 28 Millionen Menschen. In dem südlichen Nachbarstaat Saudi-Arabiens haben im Jahr 2015 die vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen in Teilen des Landes die Macht übernommen. Eine von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition versucht die Rebellen zurückzudrängen.

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden dabei bisher weit über 7.000 Zivilisten, darunter über 2.000 Kinder, bei Kampfhandlungen getötet. Menschenrechtsorganisationen nennen zum Teil noch deutlich höhere Zahlen.

Laut UN handelt es sich hier um die größte humanitäre Krise weltweit. Auch das EU-Parlament bezichtigt Saudi-Arabien schwerer Völkerrechtsverstöße durch gezielte Kriegshandlungen gegen die Zivilbevölkerung und hat mehrfach ein Waffenembargo gegen das Land gefordert.

Vorwurf: Kriegshandlungen gegen die Zivilbevölkerung

Die 370 Seiten umfassende Anzeige wurde im Namen von mehreren Menschenrechtsorganisationen aus europäischen Ländern und dem Jemen, darunter dem ECCHR („European Center for Constitutional and Human Rights“) am 11.12.2019 eingereicht.

Gerügt werden diverse Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter des Haager Abkommens und der Genfer Konvention. Die Anzeige stützt sich u.a. auf Berichte des UN-Menschenrechtsrats sowie auf Berichte von „Human Rights Watch“. Danach werden von Saudi-Arabien und seinen Verbündeten im Jemen auch gezielt Schulen, Krankenhäuser und Wohngebäude bombardiert. Das sei auch den deutschen Rüstungsunternehmen bekannt, die dennoch vor Waffenlieferungen an die Saudis nicht zurückschreckten.

Kriegsverbrechen nur mithilfe deutscher Rüstungsgüter möglich?

Die Vorwürfe gegen die Rüstungsindustrie werden damit begründet, dass die Angriffe auf die Zivilbevölkerung nur mit fortlaufender, auch logistischer Unterstützung diverser europäischer Rüstungsunternehmen, insbesondere von Airbus und Rheinmetall, möglich sei.

Deutsche und europäische Waffentechnik kommt im Jemen nach einem Bericht der Tagesschau vom 11.12.2019 massiv zum Einsatz, sowohl in Form von Kampfjets (Eurofighter und Tornados), geliefert von Airbus sowie in Form von weiterem Kriegsmaterial, geliefert vom rheinischen Konzern Rheinmetall bzw. seinen Tochterunternehmen, darunter auch Bomben. Die Kampfjets werden in der Luft von Airbus-Maschinen betankt.

Schwere Vorwürfe auch gegen die deutsche Bundesregierung

Die Vorwürfe richten sich auch gegen die deutsche Bundesregierung, die in Kenntnis dieser Situation auch nach Kriegsbeginn Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien genehmigt habe. Zwischen 2015 und 2018 hat die Bundesregierung nach einem Bericht der Tagesschau vom 11.12.2019 den Export von verschiedenen Komponenten für die Flugzeuge wie Temperaturanzeigen, Kugellager, Sensoren und Kraftstofftanks erteilt.

Britische Zeitungen hatten detailliert darüber berichtet, dass die gelieferten Flugzeuge ohne spezielle Wartungsleistungen europäische Mitarbeiter der Rüstungsfirmen nicht eingesetzt werden könnten. Nach dem Bericht der Tagesschau wurden in Trümmern jemenitischer Gebäude wiederholt Bomben der Serie MK-80 gefunden, die von der italienischen Firma „RWM Italia“ stammen sollen, einem Tochterunternehmen von Rheinmetall. Mitarbeiter von Amnesty International berichten, bei von Saudi-Arabien unterstützten marodierenden Milizen im Jemen auch bulgarische Gewehre, belgische Maschinengewehre aber auch gepanzerte Fahrzeuge aus den USA gesehen zu haben.

Waffenexporte von knapp 8 Milliarden Euro in diesem Jahr

Insgesamt hat die Bundesregierung im laufenden Jahr nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 11.12.2019 bisher Waffenexporte im Wert von knapp 8 Milliarden Euro genehmigt. Die von der Bundesregierung propagierte restriktive Rüstungsexportpolitik lässt sich in dieser Zahl nur schwer erkennen.

Rüstungsindustrie verweist auf Exportgenehmigungen

Gegenüber WDR, NDR und SZ hat Rheinmetall erklärt, aus wettbewerbsrechtlichen und vertraglichen Gründen keine Auskünfte zu diesem Problemkreis geben zu können. Sowohl Rheinmetall als auch Airbus verweisen auf gültige Exportgenehmigungen, die auf den deutschen, weltweit strengsten Rüstungsexportregeln basierten.

Trägt die Rüstungsindustrie Verantwortung für Kriegshandlungen?

Mit ihrer Strafanzeige betreten die Menschenrechtsorganisationen juristisches Neuland. Der Internationale Strafgerichtshof soll klären, inwieweit einzelnen Rüstungsmanagern bzw. Rüstungsunternehmen durch Waffenexporte eine Beteiligung an Verstößen gegen das internationale Völkerstrafrecht zuzurechnen ist, wonach kriegerische Handlungen gegen Zivilpersonen, Schulen und Krankenhäuser strafbare Kriegshandlungen sind. Die Menschenrechtsorganisationen wollen einen juristischen Präzedenzfall schaffen, in dem auch die „wirtschaftlichen Profiteure“ eines völkerrechtswidrigen Krieges zur Verantwortung gezogen werden.

Begrenzte Zuständigkeiten des Internationalen Gerichtshofs

Das vom Internationalen Gerichtshof zu prüfende Kriegsvölkerrecht besteht aus einer ganzen Reihe von diversen Verträgen und Abkommen (UN-Charta, Haager Abkommen, Haager Landkriegsordnung, Briand-Kellog-Pakt, Genfer Abkommen) und umfasst sowohl das Recht zum Krieg (Ius ad bellum) als auch das Recht im Krieg ("Ius in bello"). Zur Überprüfung von Rechtsverletzungen ist gemäß Art. 92 der UN-Charta der Internationale Gerichtshof in Den Haag zuständig, wobei die Zuständigkeit allerdings durch die erforderlichen Unterwerfungserklärungen der jeweiligen Staaten begrenzt ist. So hat Deutschland in seiner Unterwerfungserklärung ausdrücklich die Zuständigkeit des Gerichts zur Prüfung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr ausgenommen.

Saudi-Arabien hat sich der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs nicht unterworfen, so dass es von diesem auch nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.

Langwieriges Prüfungsverfahren erwartet

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag muss nach Erstattung der Strafanzeige zunächst prüfen, ob er ein Strafverfahren überhaupt eröffnet. Es wird erwartet, dass die Prüfung der Vorwürfe bis zu zwei Jahre in Anspruch nimmt, bevor es zu einer Eröffnungsentscheidung kommt.

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