Kuriose Corona-Entscheidungen: Echt jetzt?

Die Hektik der Bundes und der Landesregierungen beim Erlass immer neuer Beschlüsse und Anordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie geht auch an der Justiz nicht spurlos vorüber. Auffällig sind einige sich zum Teil widersprechende Entscheidungen zu Demonstrationsverboten, zur Öffnung respektive Schließung von Weinläden, Pralinengeschäften und auch Sexshops.

Auch oder gerade in Coronazeiten besteht kein Mangel an kuriosen und teilweise widersprüchlichen Gerichtsentscheidungen.

Oh! Sexshops dienen nicht der Grundversorgung der Bevölkerung

Das VG Stuttgart hat den Eilantrag eines Sexshopbetreibers auf Öffnung seines Ladengeschäfts abgelehnt. Der Inhaber hatte ihn zum Erlangen Einstweiligen Rechtsschutzes beim VG eingereicht mit der Begründung, die Schließung seiner beiden Ladengeschäfte im Stadtgebiet Stuttgart sei unrechtmäßig, da er mit seinem Angebot Grundbedürfnisse der Bevölkerung befriedige.

Lebensmittel und Sexartikel sind nicht das Gleiche

Das VG bestätigte zur Enttäuschung des Inhabers die Geschäftsuntersagung. Die in der baden-württembergischen Landesverordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vorgesehenen Ausnahmen von dem allgemeinen Öffnungsverbot für Einzelhandelsgeschäfte seien ihrem Zweck nach auf Betriebe beschränkt, die der Aufrechterhaltung der Grundversorgung der Bevölkerung dienen und beträfen damit in erster Linie Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Apotheken u.ä.. Hierzu zählten die vom Antragsteller betriebenen Sexshops nicht, auch wenn dort u.a. Drogerieartikel und Zeitschriften zum Verkauf angeboten würden.

Diese machten aber nur einen geringeren Teil des Sortiments aus. Das Angebot sei insgesamt auf die typischen Bedürfnisse der Besucher von Sexshops zugeschnitten. Diese Bedürfnisse gehört nicht zu den elementaren Grundbedürfnissen der Bevölkerung (VG Stuttgart, Beschluss v. 14.4.2020, 16 K 1869/20).

Widersprüchliche Entscheidungen des VG Aachen

Das VG Aachen sah die Sache mit der Grundversorgung in einer anderen Entscheidung nicht so eng und gab dem Antrag eines Weinhändlers auf Erlaubnis zur Öffnung seines Weingeschäfts in einem Eilverfahren statt. Die Ausnahmen von der allgemeinen Einzelhandelsbeschränkung für Lebensmittelgeschäfte erfassen nach Meinung des VG ihrem Wortsinn nach nicht nur die für die Grundversorgung erforderlichen Speisen und Getränke, vielmehr umfasse der Begriff Lebensmittel auch Genussmittel.

Der Weinladen durfte wieder öffnen (VG Aachen, Beschluss v. 3.4.2020, 7 L 259/20). Aus welchen Gründen das gleiche Gericht einem Pralinenfachgeschäft, das ebenfalls mit dem reinen Genuss dienenden Lebensmitteln handelt, den vorläufigen Rechtsschutz verweigerte, ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar (VG Aachen, Beschluss v. 23.3.2020, 7 L 233/20).

BayVGH macht Weg für Mini-Demo frei

Ähnlich widersprüchliche Entscheidungen der Gerichte existieren zum allgemein verhängten Versammlungs- und Demonstrationsverbot. Während das VG Neustadt/Wstr. eine Mini-Demonstration von zwei Personen im rheinland-pfälzischen Kandel coronabedingt untersagte (VG Neustadt/Wstr., Beschluss v. 2.4.2020, 4 L 333/20.NW), zeigte ausgerechnet im sonst eher strengen Bayern der BayVGH ein Herz für Demonstranten und gab einem Eilantrag auf Genehmigung einer Demonstration am Gründonnerstag am Münchner Isarufer statt. Das Motto der Demonstration lautete:

Versammlungsfreiheit auch während der Coronakrise schützen“.

Obwohl gemäß der BayIfSMG Demonstrationen untersagt sind, hat der BayVGH den Schutz der Versammlungsfreiheit als besonders hohes Schutzgut der bayerischen Verfassung und des GG gewertet, das nur in sachlich gut begründeten Fällen außer Kraft gesetzt werden dürfe (ähnlich: VG Schwerin, Beschlüsse v. 11.4.2020, 15 B 487/20 SN u. 15 B 486/20 SN).

Anmeldung der Minidemo berücksichtigte die Vorgaben zum Virenschutz

Die Münchner Behörde hatte die Untersagungsverfügung im wesentlichen mit der Gefahr einer angesichts der Abstandsgebote unerwünschten spontanen Ansammlung von Schaulustigen begründet. Dies war für die höchsten bayerischen Verwaltungsrichter keine überzeugende Begründung. Die Veranstalter hatten pfiffigerweise schon in ihrer Antragsschrift lediglich eine dreistündige Demonstration für maximal zehn Personen unter Einhaltung des Sicherheitsabstandes von jeweils 2 m angemeldet.

Der BayVGH gab der für die Genehmigung von Versammlungen zuständigen Behörde auf, eine erneute Ermessensentscheidung herbeizuführen und hierbei die Möglichkeit zur Anordnung von Auflagen zum Virenschutz zu berücksichtigen (BayVGH, Beschluss v. 9.4.2020, 20 CE 20.755). Darauf erteilte die Behörde die Genehmigung, so dass die Versammlung schließlich ohne Zwischenfälle stattfand.

Gegenteilige Entscheidung des BVerfG kam zu spät

Eine späte Pointe des Falls: Das BVerfG hatte im gleichen Fall im Eilverfahren das zuvor verhängte Versammlungsverbot der Behörde im Rahmen einer Rechtsfolgenabwägung bestätigt. Die Gefahr einer Ansammlung von Schaulustigen hielten die höchsten deutschen Richter für zumindest plausibel. Der Beschluss des BVerfG kam allerdings einige Stunden zu spät. Als der Beschluss bekannt gegeben wurde, war die Demo bereits beendet (BVerfG, Beschluss v. 9.4.2020, 1 BvQ 29/20). Wieviele zuschauten ist der Redaktion nicht bekannt.

Auch das BVerfG gewichtet das Recht auf Versammlungsfreiheit hoch

Aber auch das höchste deutsche Gericht winkt Versammlungsverbote nicht ohne weiteres durch. Ein Beschwerdeführer, der im hessischen Gießen mehrere Versammlungen unter dem Motto

Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen - Schutz vor Viren, nicht vor Menschen

mit einer ungefähr erwarteten Teilnehmerzahl von 30 Personen unter Beachtung der in Hessen geltenden Abstandsgebote angemeldet hatte, hatte mit seinem Eilantrag vor dem BVerfG Erfolg. Das höchste deutsche Gericht rügte einen Ermessensnichtgebrauch der zuständigen Behörde. Die hessische Behörde habe gegen das gemäß Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Recht der Versammlungsfreiheit verstoßen, weil sie den ihr nach den hessischen Vorschriften eingeräumten Ermessensspielraum verkannt und damit die erforderliche Grundrechtsabwägung unterlassen habe (BVerfG, Beschluss v. 15.4.2020, 1 BvR 828/20). Das Bundesverfassungsgericht hat einem Eilantrag gegen das Verbot einer Demonstration in Stuttgart an diesem Samstag stattgegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat auch einem Eilantrag gegen das Verbot einer Demonstration in Stuttgart an 18.4. stattgegeben. Hier wollte ein Bürger am Nachmittag von 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr auf dem zentralen Schlossplatz mit maximal 50 Leuten gegen die Einschränkung der Grundrechte in der Corona-Krise demonstrieren.

Die Stadt befand, es sei ihr nicht möglich, Auflagen festzusetzen, die der aktuellen Pandemielage gerecht würden. Das war den Verfassungsrichtern zu pauschal. Es sei nötig, "möglichst in kooperativer Abstimmung mit dem Antragsteller alle in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen in Betracht zu ziehen und sich in dieser Weise um eine Lösung zu bemühen". 

Demo-Aufrufe können auch zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren führen

Eine Heidelberger Rechtsanwältin hatte zum ganz großen Schlag ausgeholt. Sie hat öffentlich zum Widerstand gegen die staatlichen Coronaverordnungen in allen Bundesländern und zu einer bundesweiten Demonstration gegen den durch die diversen Corona Verordnungen nach ihrer Ansicht eingeleiteten Angriff auf die gesamte freiheitlich demokratische Grundordnung aufgerufen.

Gleichzeitig hat sie beim BVerfG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz für die Durchführung einer bundesweiten Demonstration eingereicht. Den Aufruf hat die Staatsanwaltschaft Heidelberg zum Anlass genommen, ein Ermittlungsverfahren wegen Aufrufs zur Begehung einer rechtswidrigen Tat einzuleiten und hierzu auch den Staatsschutz eingeschaltet. Später verschwand die Anwältin in der Psychatrie und das  beunruhigt mittlerweile selbst das Ausland.

Justiz auf unsicherem Terrain

Kuriose und teils widersprüchliche gerichtliche Entscheidungen in kürzester Zeit zeitlicher Abfolge sind ein Indiz dafür, dass die von der Bundesregierung und den Landesregierungen gezeigte Hektik bei Einführung und Lockerung der Corona-Beschränkungen auch an der Justiz nicht spurlos vorübergehen.

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