
Nach einer aktuellen Entscheidung des VG Arnsberg dürfen Rechtsreferendarinnen muslimischen Glaubens während ihrer Ausbildung bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten auf der Richterbank oder als Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft kein Kopftuch tragen.
Rechtsreferendarin beantragte Eilrechtsschutz gegen Kopftuchverbot
In einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung des VG Arnsberg hat dieses den Antrag einer Rechtsreferendarin auf Eilrechtsschutz gegen das nordrhein-westfälische Kopftuchverbot zurückgewiesen. Die Referendarin muslimischen Glaubens bestand darauf, in allen juristischen Ausbildungsabschnitten nur mit Kopftuch aufzutreten. Dies führte u.a. dazu, dass sie
- in der Zivilrechtsstation bei zivilrechtlichen Verhandlungen nicht auf der Richterbank sitzen durfte.
- Die in der Referendarausbildung übliche Leitung von Gerichtsverhandlungen und Beweisaufnahmen wurde ihr verwehrt.
- Während ihrer Ausbildung bei der Staatsanwaltschaft blieb sie von den in dieser Station üblichen Sitzungsvertretungen der StA in Strafrechtssachen ausgeschlossen.
Muslimische Rechtsreferendarin fühlte sich diskriminiert
Die Referendarin fühlte sich durch diese Regelung als Angehörige des muslimischen Glaubens diskriminiert. Sie befürchtete berufliche Nachteile, weil ihr durch die Verweigerung der Einübung richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Tätigkeiten später wichtige Teile der üblichen Referendarausbildung fehlen würden.
Verbot religiöser Symbole in der Justiz
Das angerufene VG wies den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurück. Seine Entscheidung stützte das VG maßgeblich auf die Vorschrift des § 2 Abs. 1 des am 18.3.2021 in Kraft getretenen nordrhein-westfälischen Justizneutralitätsgesetzes (JNeutG). Danach dürfen u.a. Richterinnen und Richter, Beamtinnen und Beamte, auch wenn sie sich noch in der Ausbildung befinden, in der gerichtlichen Verhandlung keine wahrnehmbaren Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen. Dies gilt gemäß § 2 Abs. 2 JNeutG auch für hoheitliche Tätigkeiten außerhalb gerichtlicher Verhandlungen, soweit die Betroffenen bei Ausübung dieser Tätigkeiten regelmäßig von Dritten wahrgenommen werden.
Religionsfreiheit durch verfassungsimmanenten Schranken begrenzt
Eine solche Regelung, die in ähnlicher Form in anderen Bundesländern existiert, greift nach einer Entscheidung des BVerfG zwar in die verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit der Betroffenen gemäß Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG ein, die grundgesetzliche Garantie der Religionsfreiheit werde aber von verfassungsimmanenten Schranken wie den Grundrechten Dritter sowie von Gemeinschaftswerten von Verfassungsrang begrenzt.
Grundsatz der Neutralität der Justiz hat Verfassungsrang
Ein solcher Gemeinschaftswert von Verfassungsrang ist nach Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts die Verpflichtung des Staates und seiner Amtsträger zu religiöser und politischer Neutralität. Insbesondere im Bereich der Justiz dürfte das äußere Gepräge einer Amtshandlung nicht den Eindruck vermitteln, dass religiöse oder politische Aspekte auf justizförmige Entscheidungen Einfluss nehmen könnten (BVerfG, Beschluss v. 14.1.2020, 2 BvR 1333/17).
Spannungsfeld verschiedener Grundwerte
Auf diese Entscheidung des BVerfG bezog sich das VG. Im Spannungsfeld zwischen dem Toleranzgebot gegenüber unterschiedlichen Religionen einerseits und der Neutralitätspflicht des Staates andererseits habe die öffentliche Gewalt das Recht, verpflichtende Regeln zum äußeren Auftreten von Mitarbeitern der Justiz aufzustellen. Dabei habe der Staat auf die Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen der Bedeutung des Grundrechts der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und der Verpflichtung zur Zurückhaltung der Justiz in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug zu achten.
Die maßgeblichen Ausbildungsschritte wurden der Referendarin nicht verwehrt
Diese Grundsätze gelten nach der Entscheidung des VG auch, soweit die durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Ausbildungsfreiheit als Vorstufe zur Aufnahme eines Berufs durch solche Regelungen berührt wird. Das VG betonte in seiner Entscheidung, dass die Freiheit der Berufsausübung der Antragstellerin durch das Kopftuchverbot bei hoheitlichen Tätigkeiten nur marginal berührt werde. Die Teilnahme an sämtlichen für die Referendarausbildung erforderlichen Ausbildungsstationen sei ihr nicht verwehrt worden. Die Leitung von zivilrechtlichen Beweisaufnahmen wie auch die Übernahme des Sitzungsdienstes im Rahmen der Station bei der StA seien keine zwingenden Voraussetzungen für die juristische Ausbildung.
Rechtsreferendarinnen können auch im Zuschauerraum lernen
Alle diese Tätigkeiten habe die Antragstellerin im Zuschauerraum beobachten und damit letztlich auch erlernen können. Auch einen negativen Einfluss auf ihre dienstliche Bewertung habe sie durch den Ausschluss von bestimmten, begrenzten Tätigkeiten, nicht zu befürchten. Der Eingriff in die Grundrechte der Religionsfreiheit und Berufsfreiheit seien daher im Endeffekt von eher geringer Intensität und im Hinblick den hohen Gemeinschaftswert der Neutralität der Justiz verhältnismäßig und damit hinzunehmen.
Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen
Dem Antrag der Rechtsreferendarin auf einstweiligen Rechtsschutz blieb damit der Erfolg versagt.
(VG Arnsberg, Beschluss v. 9.5.2022, 2 L 102/22)