
Für zwei Deutsche endete der Italienurlaub mit einem unsanften Zusammenstoß in der Luft. Die Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage eines aus 80m Höhe abgestürzten Drachenfliegers blieb über zwei Instanzen erfolglos.
Der in zweiter Instanz vom OLG Köln entschiedene Fall zeigt exemplarisch, dass die von Drachen- und Gleitschirmfliegern zu beachtenden Luftverkehrsregeln den auf der Erde geltenden Straßenverkehrsregeln an Komplexität in nichts nachstehen. Besonders dann, wenn sich der Unfall im außerdeutschen Luftraum ereignet.
Bonner und Kölner kollidieren in der Luft
Ein Kölner Drachenflieger und ein Bonner Gleitschirmlenker kollidierten mit ihren Fluggeräten über italienischem Staatsgebiet. Zum Zeitpunkt des Flugunfalls herrschte reger Flugbetrieb. Der spätere Beklagte bewegte sich mit seinem Gleitschirm im Umfeld des Klägers. Als sich beide Hobbyflieger gleichzeitig in einer schwachen Thermodynamik befanden und der Drachenflieger enge Kurven flog, kollidierten beide in ca. 80 Metern Höhe.
Trotz Absturz nur leichte Verletzungen
Infolge der Kollision drehte sich der Drachen des Klägers auf dem Rücken. Er fiel von oben in das Segel und stürzte 80 Meter in die Tiefe. Trotz der großen Höhe zog er sich lediglich Verletzungen in Form von diversen Prellungen und eine Stauchung des linken Handgelenks zu. Dem Bonner Gleitschirmflieger gelang es, seinen Rettungsschirm zu öffnen. Er landete unverletzt auf der Erde.
Drachenflieger macht Gleitschirmlenker verantwortlich
Der Kölner Drachenflieger war der Auffassung, der Bonner habe den Unfall allein verschuldet. Er habe nämlich sein Vorfahrtsrecht bzw. Vorflugrecht verletzt. Nach italienischem Recht habe dasjenige nichtmotorisierte Fluggerät Vorrang vor anderen nichtmotorisierten Fluggeräten, das aufgrund der Wetterbedingungen spiralförmig nach oben kreise. Exakt in einer solchen Bewegung habe er sich mit seinem Drachen befunden. Der Beklagte hätte daher sein Vorflugrecht beachten müssen.
Kölner fordert Schadenersatz und Schmerzensgeld
Der abgestürzte Kölner forderte von dem Gleitschirmlenker Schadenersatz und Schmerzensgeld. Infolge des Unfalls habe er Gesichtsprellungen und eine Platzwunde am Auge erlitten. Ferner habe er eine physiotherapeutische Behandlung durchlaufen müssen. Für die Reparatur seines Drachens habe er Kosten in Höhe von 2.367,41 EUR aufwenden müssen. Infolge der Reparatur sei der Marktwert seines Drachens erheblich gesunken. Insgesamt forderte der Kläger Schadensersatz in Höhe von insgesamt 4.925,27 EUR sowie ein angemessenes Schmerzensgeld von nicht unter 1.500 EUR.
Maßgeblich sind italienische Luftverkehrsregeln
Das zunächst mit der Sache befasste LG hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Grundlage der §§ 823 ff. BGB abgewiesen. Gegen die klageabweisende Entscheidung des LG legte der Kläger erfolglos Berufung ein. Das OLG teilte die Auffassung des LG zur alleinigen Verantwortlichkeit des Klägers für das Unfallgeschehen.
LG übersieht spezielle Anspruchsgrundlage nach LuftVG
Allerdings stellte das OLG - anders als das LG - maßgeblich auf die nach § 4 Abs. 2 der VO-EG Nr. 864/2007 über außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbaren Anspruchsnormen der §§ 33 Abs. 1, 41 LuftVG ab. Diese Normen begründen die Haftung eines Halters eines Luftfahrzeugs, wenn durch den Betrieb seines Luftfahrzeugs die körperliche Integrität oder Gesundheit einer anderen Person verletzt wird. Gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 und 2 LuftVG ist zur Klärung einer Schadensersatzpflicht eine Abwägung der gegenseitigen Verursachungsbeiträge erforderlich.
Hängegleiter haben deutlich erhöhte Betriebsgefahr
Im Rahmen dieser Abwägung hat das OLG berücksichtigt, dass vom Hängegleiter des Klägers eine erhöhte Betriebsgefahr ausgegangen sei, da dieser
- nahezu doppelt so schnell geflogen sei, wie der Beklagte mit seinem Gleitschirm.
- Die Betriebsgefahr erhöhe sich auch dadurch, dass Hängegleiter anders als Gleitschirme sehr unbeweglich seien, weil sie weder abrupt abbremsen noch schnell die Richtung wechseln könnten.
- Schließlich sei die Rundumsicht eines Hängegleiterpiloten infolge seiner liegenden Position deutlich eingeschränkt.
Zur erhöhten Betriebsgefahr trat persönliches Verschulden
Neben dieser erhöhten Betriebsgefahr hat das LG nach Auffassung des Senats zu Recht ein hinzutretendes vorwerfbares Verschulden des Klägers in Form einer Verletzung der Verhaltensregeln in der Luft gemäß Art. 17 Rom II-VO unter Anwendung des italienischen Präsidialdekrets Nr. 133/2010 und des Regolamento "Regole dell’Aria Italia" berücksichtigt.
- Der Kläger habe sich durch ein Flugmanöver luftverkehrswidrig knapp vor den Gleitschirm des Beklagten gesetzt und damit bereits eine latente Gefahr ausgelöst.
- Indem er anschließend auf das thermische Drehzentrum zugeflogen sei anstatt um das gemeinsame Drehzentrum zu kreisen, habe er die Kollisionsgefahr weiter erhöht.
- Schließlich habe er durch sein Verhalten für andere Flieger gefährliche Wirbelschleppen verursacht.
Alleiniges Verschulden des Klägers als Unfallursache
Wie zuvor schon das LG kam das OLG daher zu dem Ergebnis, dass der Kläger durch sein Verhalten das Unfallgeschehen in einer Weise selbst herbeigeführt habe, dass die vom Gleitschirm des Beklagten ausgehende Betriebsgefahr dahinter als unwesentlich zurücktreten ließe. Die Berufung des Klägers blieb damit erfolglos.
(OLG Köln, Urteil v. 27.3.2020, 1 U 95/19)