Kleinkind fährt Auto, Aufsichtspflichtverletzung der Mutter

Eine aufsichtspflichtige Mutter haftet für Schäden, wenn sie ihr zweieinhalbjähriges Kind samt Autoschlüssel in ihrem Fahrzeug zurücklässt, das Kind den Schlüssel an sich nimmt, den Motor startet und das Fahrzeug in Bewegung setzt.

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hatte sich mit einem ungewöhnlichen Fall der Aufsichtspflichtverletzung zu befassen. Ein zweieinhalbjähriges Kleinkind hatte mit einem im Fahrzeug befindlichen Schlüssel dieses gestartet, in Bewegung gesetzt und dabei seine vor dem Fahrzeug stehende Großmutter schwer verletzt.

Kleinkind und Fahrzeugschlüssel im Fahrzeug zurückgelassen

Die Mutter besuchte mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn und dessen Großmutter eine Familienfeier in der Nähe von Osnabrück. Am Ende der Veranstaltung brachte sie das Kind in ihren Pkw und setzte es in den Kindersitz auf dem Beifahrersitz. Sie schnallte das Kind noch nicht an, da sie noch kurz ins Haus gehen wollte. Den Fahrzeugschlüssel legte sie auf das Armaturenbrett vor dem Fahrersitz. Die Großmutter hatte währenddessen auf einer Bank Platz genommen, die etwa 1,5 m vor dem Fahrzeug stand.

Zweieinhalbjähriger Sohn setzt KfZ in Bewegung

Dann passierte das, was man angesichts der Konstellation erahnen konnte. Obwohl erst zweieinhalb Jahre alt, erkannte der Sohn die große Chance, einmal selbst am Steuer zu sitzen. Er befreite sich aus dem Kindersitz, krabbelte auf den Fahrersitz, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und startete den Motor. Das Fahrzeug machte einen Satz nach vorne und verletzte die auf der Bank sitzende Großmutter schwer an den Kniegelenken.

Krankenkasse fordert Erstattung der Krankenhauskosten

Die Krankenkasse verlangte daraufhin von der Mutter des Kindes die Erstattung der Kosten für die notwendige teure stationäre Behandlung der Großmutter. Die Krankenkasse vertrat die Auffassung, die Mutter habe ihre Aufsichtspflicht verletzt und dadurch den unglücklichen Geschehensablauf ermöglicht. Die Mutter weigerte sich, die Kosten zu übernehmen, woraufhin die Krankenkasse ein Gerichtsverfahren einleitete.

LG verneint Verantwortlichkeit der Mutter

Das erstinstanzlich zuständige Landgericht (LG) verneinte eine Haftung der Mutter nach § 832 BGB. Eine Aufsichtspflichtverletzung lag nach Auffassung des LG nicht vor. Der Geschehensablauf sei so außergewöhnlich gewesen, dass die Mutter damit nicht habe rechnen müssen und können. Dass ein zweieinhalbjähriges Kind auf die Idee komme, aus seinem Kindersitz zu krabbeln, anschließend einen auf dem Armaturenbrett liegenden Fahrzeugschlüssel an sich zu nehmen, diesen in das Zündschloss zu stecken und ein Fahrzeug in Bewegung zu setzen, sei ein so komplexer Ablauf verschiedener Handlungen und ein so atypischer Geschehensablauf, dass die Mutter dies nicht habe vorhersehen können.

OLG bewertet Umfang der Aufsichtspflicht weiter

Dies sah das OLG in der Berufungsinstanz anders. Entscheidend sei die Aufsichtspflicht der Mutter nach § 1631 BGB. Art und Maß der Aufsichtspflicht seien unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Gewichtung der Gefährlichkeit der Gesamtsituation zu beurteilen.

Hohe Gefahrträchtigkeit der konkreten Situation

Die besondere Gefahrträchtigkeit der konkreten Situation sah das OLG in der Kombination der konkreten Faktoren, nämlich

  • Kleinkind unangeschnallt in einem Fahrzeug,
  • Schlüssel auf dem Armaturenbrett,
  • Fahrzeug fahrbereit,
  • Entfernung der Mutter vom Fahrzeug in einer Weise, dass sie - wenn auch nur für wenige Minuten – keine Einflussmöglichkeit mehr auf das Kind hatte.

Kindliche Mentalität nicht berücksichtigt

Das OLG war der Auffassung, dass die beklagte Mutter hätte aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung in der Betreuung des Kindes berücksichtigen müssen, dass Kleinkinder Erwachsene gerne nachahmen und Schlüssel grundsätzlich ein beliebtes Objekt ihrer Neugier darstellen. Entgegen der Auffassung des LG sei es auch keineswegs ungewöhnlich, dass ein Kind einen Schlüssel in vorhandene Schlösser stecke, schon weil Erwachsene dies üblicherweise auch tun.

Aufsichtspflicht maßgeblich verletzt

Vor diesem Hintergrund machte das OLG der Beklagten den Vorwurf, ihre Aufsichtspflicht dadurch verletzt zu haben, dass sie ihr Kind nicht angeschnallt, die Schlüssel nicht mitgenommen und/oder niemanden mit der Beaufsichtigung des nicht angeschnallten Kindes beauftragt habe.

Die beklagte Mutter muss zahlen

Die Mutter ist daher nach der Entscheidung des OLG zum Ersatz des entstandenen Schadens und damit zur Erstattung der Behandlungskosten der Großmutter verpflichtet. Der genaue Umfang des entstandenen Schadens ist von der Vorinstanz noch zu klären.

(OLG Oldenburg, Urteil v. 20.4.2023, 14 U 212/22)

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