Kein Schmerzensgeld für Eltern nach Unfalltod eines Kindes

Depressionen, Albträume und Schlafstörungen nach dem Unfalltod eines Kindes lösen keine Schmerzensgeldansprüche aus, es sei denn der erlittene Schock führt zu einer pathologisch fassbaren Gesundheitsbeeinträchtigung von einiger Dauer.

In einer grundlegenden Entscheidung hat sich das OLG Celle mit der Abgrenzung zwischen dem Anspruch auf Schmerzensgeld nach dem Unfalltod eines Kindes und dem Anspruch auf Hinterbliebenenentschädigung auseinandergesetzt.

Kein Schmerzensgeld bei psychischen Belastungsstörungen

Mit der entschädigungsrechtlichen Bewertung psychischer Schäden und psychischer Leiden hat sich die deutsche Rechtsprechung immer schwergetan. Für Hinterbliebene war es lange Zeit kaum möglich, im Falle des Verlustes eines nahen Menschen vor Gericht einen Entschädigungsanspruch durchzusetzen. Die Rechtsprechung fordert bis heute für die Zuerkennung von Schmerzensgeld eine medizinisch feststellbare Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. Seelische Erschütterungen, Trauer, depressive Episoden durch den Unfalltod eines nahen Angehörigen wurden und werden nicht als schmerzensgeldauslösende Folgen anerkannt (BGH, Urteil v.10.2.2015, VI ZR 8/14).

Hinterbliebenengeld als Ergänzung des Schmerzensgeldanspruches

Die von vielen kritisierte Lücke hat der Gesetzgeber durch Einfügung des § 844 Abs. 3 BGB zu füllen versucht. Die Vorschrift gewährt seit dem 22.7.2017 Hinterbliebenen, die in einem besonderen Näheverhältnis zum Getöteten standen, für das zugefügte seelische Leid eine Entschädigung in Geld. Die Reform hat allerdings den bisher von der Rechtsprechung zuerkannten Schmerzensgeldanspruch im Falle eines medizinisch nachweisbaren Gesundheitsschadens nicht ersetzt, sondern schafft lediglich eine Ergänzung. Hierdurch existieren im Fall des Todes eines nahen Angehörigen zwei unterschiedliche Anspruchsgrundlagen nebeneinander. Mit den rechtlich nicht ganz einfachen Abgrenzungsproblemen hat sich das OLG Celle auseinandergesetzt.

12-jähriger Sohn durch Sattelschlepper tödlich verletzt

In dem vom OLG entschiedenen Fall wurde der 12-jährige Sohn des Klägers im Jahr 2018 von einer bei der Beklagten versicherten Sattelzugmaschine während eines Abbiegevorgangs tödlich verletzt. Die Ehefrau des Klägers musste den Unfall aus unmittelbarer Nähe mit ansehen, der Kläger traf kurz nach dem Unfallgeschehen an der Unfallstelle ein. Der Anblick des leblosen Körpers ihres Sohnes führte bei beiden Eltern zu einer erheblichen psychischen Belastungsstörung. Beide begaben sich in psychologische Behandlung.

Versicherer zahlte 15.000 Euro Hinterbliebenengeld

Der beklagte Versicherer hat dem Kläger vorgerichtlich Hinterbliebenengeld in Höhe von insgesamt 15.000 Euro überwiesen. Nach Auffassung des Versicherers orientiert sich dieser Betrag an den Vorstellungen des Gesetzgebers bei Einführung des § 844 Abs. 3 BGB sowie an ähnlich gelagerten Fällen in der Rechtsprechung. Der Kläger empfand den ihm zuerkannten Betrag als zu gering und klagte auf Zahlung eines weiteren, in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrages, mindestens aber weiterer 5.000 Euro. Das OLG sah keine Rechtsgrundlage für die über den bereits gewährten Betrag hinausgehende Forderung.

OLG weist Schmerzensgeldanspruch ab

Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro gemäß §§ 7,11 StVG, §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB kommt nach Auffassung des Gerichts nicht in Betracht. Die Beurteilung eines solchen Anspruchs orientiert sich nach Auffassung des Senats an der bisherigen Rechtsprechung und erfordert gemäß § 823 Abs. 1 BGB die Verletzung eines absoluten Rechtsgutes in Form einer Körper- oder Gesundheitsverletzung (BGH, Urteil v. 27.1.2015, VI  ZR 548/12; OLG Frankfurt, Urteil v. 6.9.2017, 6 U 216/15). Die Verletzung eines solchen Rechtsgutes war nach Auffassung des Senats im konkreten Fall nicht feststellbar. Die durch das Unfallgeschehen beim Kläger ausgelösten traumatischen psychischen Störungen reichten dafür nicht aus.

Situationstypischer seelischer Schmerz ist keine Gesundheitsbeeinträchtigung

Selbst durch einen psychischen Schock ausgelöste, medizinisch feststellbaren körperlichen Beeinträchtigungen und Störungen physiologischer Abläufe (Schockschaden) führen nach der Rechtsprechung des BGH nicht zur Begründung eines Schmerzensgeldanspruchs (BGH Urteil v. 21.5.2019, VI ZR 299/179). Eine Ersatzpflicht ist nach Ansicht des Senats auch in diesen Fällen nur dann zu bejahen, wenn es zu gewichtigen psychopathologischen Ausfallerscheinungen von einiger Dauer kommt, die über den typischen seelischen Schmerz und über die damit verbundenen, typischerweise auch körperlich feststellbaren Reaktionen und Beeinträchtigungen bei Trauerfällen deutlich hinausgehen.

Körperliche und psychische Reaktionen des Klägers ohne Krankheitswert

Eine solche, über das gewöhnliche Ausmaß von Trauer, Niedergeschlagenheit und traumatischer Störung hinausgehende Beeinträchtigung war nach Auffassung des Senats beim Kläger nicht feststellbar. Die von einem Psychiater bestätigte psychische Belastungsreaktion des Klägers und auch die vorübergehenden Kreislaufstörungen übersteigen nach der Bewertung des Senats nicht das in solchen Fällen übliche Maß psychischer und körperlicher Befindlichkeitsstörungen. Ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld sei damit nicht gegeben.

Höhe des Hinterbliebenengeldes richtet sich nach Regelsätzen

Den unzweifelhaft bestehenden Anspruch des Klägers auf Zahlung von Hinterbliebenengeld gemäß §§ 7, 10 Abs. 3 Satz 1 StVG, 844 Abs. 3 BGB hat die beklagte Versicherung mit Zahlung von 15.000 Euro nach Auffassung des Senats in angemessener Höhe erfüllt. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Hinterbliebenengeld als Ausgleich für seelisches Leid geleistet werde, das grundsätzlich in Geld nicht aufzuwiegen sei. Die Angemessenheit beurteile sich nach von der Rechtsprechung entwickelten Regelbeträgen, wobei im Einzelfall Auf- und Abschläge auf der Grundlage der Besonderheiten des konkreten Falls vorgenommen werden könnten.

Durchschnittliches Hinterbliebenengeld beträgt 10.000 Euro

Das OLG verwies auf die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte übliche Bemessung anhand eines Durchschnittsbetrages von 10.000 Euro bei Verlust eines sehr nahen Angehörigen wie eines Kindes oder der Eltern (OLG Köln, Urteil v. 5.5.2022, 18 U 168/21; OLG Schleswig-Holstein, Urteil v. 23.2.2021, 7 U 149/20). Auch unter Berücksichtigung der Besonderheit, dass die Ehefrau des Klägers den Unfall mit ansehen musste und der Kläger selbst unmittelbar nach dem Unfall mit dem leblosen Körper seines Sohnes konfrontiert wurde, war nach Auffassung des OLG die Zahlung des im Vergleich zum Durchschnittsbetrag um 50 % erhöhten Hinterbliebenengeldes von 15.000 Euro angemessen.

Forderung des Klägers war überhöht

Der vom Kläger geforderte Betrag von 20.000 Euro bewegte sich nach der Entscheidung des Senats außerhalb des Rahmens, der in vergleichbaren Fällen zuerkannt wird. Das OLG hat die Berufung des Klägers daher in diesem Punkt zurückgewiesen. Hinsichtlich eines vom Kläger mit der Berufung ergänzend verfolgten Feststellungsantrages zur Entschädigungspflicht für den Fall einer künftig möglicherweise eintretenden und von einem Gutachter nicht ausgeschlossen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, hatte die Berufung Erfolg.

(OLG Celle, Urteil v. 24.8.2022, 14 U 22/22)