Kein Menschenrecht auf Schulverweigerung

Eine Homeschooling-Familie scheiterte mit ihrer Beschwerde gegen die allgemeine Schulpflicht vor dem EGMR. Eltern, die den Besuch öffentlicher Schulen durch ihre Kinder nachhaltig verweigern, darf der Staat zumindest teilweise das Sorgerecht entziehen.

Eine in Hessen lebende Familie war der Auffassung, ihre vier Kinder würden in einer öffentlichen Schule nicht angemessen unterrichtet. Die Eltern verweigerten den Schulbesuch der Kinder u.a. aus religiösen Gründen. Um der Schulpflicht zu entgehen, lebten sie sogar einige Jahre im Ausland.

Kinder gewaltsam aus Familie entfernt

Nach ihrer Rückkehr im Jahr 2013 verhängte die zuständige Schulbehörde mehrfach Ordnungs- und Bußgelder gegen die Eltern wegen des weiterhin verweigerten Schulbesuchs ihrer Kinder. Da die Eltern ihr Verhalten trotz dieser Maßnahmen nicht änderten,

  • entzog die Behörde den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder als Teil des allgemeinen Sorgerechts.
  • Schließlich wurden die Kinder gewaltsam aus der Wohnung der Eltern verbracht und in einem Heim untergebracht.

Heimunterbringung wegen Schulverweigerung durch die Eltern

Die Behörde begründete die Heimunterbringung mit der durch die Eltern verursachten Kindeswohlgefährdung infolge Verweigerung der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht: Nach Auffassung der Behörde hatten die Eltern für ihre Kinder zuhause eine Parallelwelt geschaffen, die verhindere, dass die Kinder Teil der sozialen Gemeinschaft würden.

Keine schulischen Defizite der Kinder

In verschiedenen Untersuchungen wurde darauf festgestellt, dass die vier Geschwister keine Bildungsdefizite im Vergleich zu Schulkindern aufwiesen und auch nicht gegen ihren Willen zuhause unterrichtet worden waren. Aufgrund dieser Feststellungen durften die Kinder nach drei Wochen wieder zu ihren Eltern zurückkehren.

Die Sorge der Behörde um das Kindeswohl war berechtigt

Die Eltern sahen sich durch die gewaltsame Verbringung ihrer Kinder in ein Heim unter nach ihrer Auffassung Anwendung von brutaler Gewalt durch die vollziehenden Beamten in ihren grundlegenden Menschenrechten verletzt. Auch der von den Eltern angerufene EGMR erkannte in dem teilweisen Entzug des Sorgerechts und der gewaltsamen Trennung der Kinder von ihrer Familie einen ernst zunehmenden Eingriff des Staates in das durch die EMRK geschützte Recht der Familie.

  • Allerdings habe die Behörde relevante und hinreichende Gründe für diesen Eingriff gehabt.
  • Die zuständige Behörde habe zurecht befürchtet, dass Wohl der Kinder sei durch deren Isolierung im Familienverbund gefährdet,
  • der Kontakt zur Außenwelt würde den Kindern in unangemessener Weise verwehrt
  • und dadurch den Kindern das Erlernen sozialer Kompetenzen wesentlich erschwert.

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt

Die ergriffenen Maßnahmen waren der Auffassung der Richter auch verhältnismäßig.

  • Die Eltern selbst hätten weniger strenge Maßnahmen durch fehlende Kooperation mit den Behörden verhindert
  • und nicht dazu beigetragen, die berechtigte Sorge der Behörde um das Kindeswohl zu entkräften, beispielsweise durch Erlaubnis der behördlichen Überprüfung des bei den Kindern im Homeschooling erreichen Lernniveaus.

EGMR verneint eine Verletzung der Menschenrechte

Nach alledem sei das Einschreiten der Behörde in der geschehenen Form durch die Sorge um das Kindeswohl gerechtfertigt gewesen. Im Ergebnis sah der EGMR in den von der Behörde verhängten Maßnahmen keine Menschenrechtsverletzung im Sinne der EMRK, was durchaus nicht selbstverständlich ist, wird doch in einigen anderen europäischen Ländern das Homeschooling teilweise wesentlich toleranter gehandhabt.

(EGMR, Urteil v. 10.1.2019, 18925/15)

Anmerkung:

EGMR-Urteil entspricht der Rechtsprechung des BVerfG

In einem Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Strafbarkeitsbestimmungen bei Verletzung der Schulpflicht im hessischen Schulgesetz hatte das höchste deutsche Gericht nach ähnlichen Kriterien entschieden wie jetzt der EGMR. Nach dem Diktum des BVerfG ist eine landesrechtliche Strafnorm, die die dauernde Entziehung eines Kindes von der Schulpflicht sanktioniert, mit dem GG vereinbar.

  • Auch nach der Wertung des BVerfG greift die Schulpflicht grundsätzlich in das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und auch in das durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützte  Recht auf freie Religionsausübung ein.
  • Dies unterliege im Ergebnis aber keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, denn die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenzuwirken und Minderheiten zu integrieren.
  • Selbst ein mit erfolgreichen Ergebnissen einhergehender Hausunterricht verhindere nicht, dass sich die Kinder durch die Entziehung von der Schulpflicht dem Dialog mit Andersdenkenden und Andersgläubigen verschlössen.
  • Homeschooling sei deshalb geeignet, gelebte Toleranz gegenüber einem breiten Meinungsspektrum nachhaltig zu verhindern (BVerfG, Beschluss v. 15.10.2014, 2 BvR 920714)

Weitere News zum Thema:

Können Schulverweigerer ihren Unterhaltsanspruch verlieren?

Eltern können ihre Kinder nicht von der Schulpflicht befreien

Elfjähriger Schulschwänzer –  Eltern müssen Schulbesuch durchsetzen