Kein Kontaktverbot wegen Liebesbeziehung mit angeheiratetem Onkel

Der Schrecken vieler Eltern: Die minderjährige 14 Jahre alte Tochter nimmt eine intime  Beziehung zu einem wesentlich älteren Mann auf. Handelt es sich dabei auch noch um einen angeheirateten, 33 Jahre älteren Verwandten, werden die meisten Eltern alles tun, den weiteren Kontakt zu verhindern. Doch eine Einweisung in die Psychiatrie kam vor Gericht nicht gut an.

Differenziert sah es das OLG Brandenburg im Fall einer vierzehnjährigen Schülerin, die mit einem 47-jährigen angeheirateten Verwandten ein intimes Verhältnis pflegte.

Mit dem Onkel durchgebrannt

Im Frühjahr 2015 war das Mädchen mit ihrem Onkel durchgebrannt und nach Südfrankreich geflohen. Gegenüber der Polizei erklärte sie, ihren Onkel zu lieben und beharrte darauf, mit diesem weiter zusammen zu sein. Nach Auffassung des OLG dürfen Eltern einen solchen, eigenverantwortlich geäußerten Wunsch ihrer Tochter nicht einfach ignorieren. Eine auf den ersten Blick spektakuläre und überraschende, aber sehr eingehend begründete Entscheidung, die zum Nachdenken anregt.

Eltern erzwangen Aufenthalt der Tochter in der Psychiatrie

Für das Verhalten ihrer Tochter hatten die Eltern keinerlei Verständnis. Da die Tochter im Sommer 2015 die Rückkehr zu ihren Eltern verweigerte und in diversen Kindernotunterkünften in Berlin lebte, erwirkten die Eltern im August 2015 gegenüber dem angeheirateten Onkel ein amtsgerichtliches Kontakt- und Näherungsverbot.

Den Wunsch der Tochter, in einer Einrichtung für betreutes Wohnen zu leben, lehnten die Eltern ab und erzwangen einen fünfwöchigen Aufenthalt der Tochter in einem psychiatrischen Krankenhaus, nachdem der Versuch einer Familientherapie zu keinem spürbaren Erfolg geführt hatte.

Gefährdung der Tochter durch Unverständnis der Eltern

Gegen das vom AG verhängte Kontakt- und Näherungsverbot hatten sowohl der Onkel als auch die Jugendliche Beschwerde eingelegt.

Der mit der Sache befasste OLG-Senat stellte fest, dass die Jugendliche infolge der Eskalation der Ereignisse in erheblicher Weise in ihrer Entwicklung gefährdet ist. Aufgrund ihrer Weigerung, dem Wunsch der Eltern nachzukommen, sei sie

  • in völlig instabile Verhältnisse geraten,
  • habe den Kontakt zu ihren Freunden und Freundinnen verloren und
  • besuche die Schule nicht mehr.
  • Sie erlebe das Jugendamt nur als willfährigen Vollstrecker des Willens ihrer Eltern und
  • lebe in ständiger Angst vor Verfolgung und erneuter Einweisung in die Jugendpsychiatrie.

Fast feindselige Haltung gegenüber der Tochter entwickelt

Die seit Monaten andauernde Konfrontation von Eltern und Tochter habe zu einer extremen Verhärtung der Standpunkte geführt, in der die Jugendliche eine Lösung der von ihr empfundenen Probleme nicht mehr finden könne. Nach den Feststellungen des Senats hatten auch die Eltern inzwischen eine fast feindselige Haltung gegenüber ihrer Tochter entwickelt, die keine Ansatzpunkte für eine Befriedung des Situation mehr erkennen ließ.

Entwicklung zu Eigenverantwortung als stetiger Prozess

Vor diesem Hintergrund vertrat der Senat die Auffassung, dass für eine gerichtlichen Entscheidung eine sorgfältige Rechtsfolgenabwägung im Rahmen von § 1666 Abs. 4 BGB erforderlich sei.

§ 1666 BGB postuliere das Leitbild der Erziehung eines Kindes zu einer eigenständigen und verantwortlichen Persönlichkeit. Diese Eigenständigkeit sei immer mit einer Ablösung des Kindes von seinen Eltern verbunden.

Selbstbestimmung und Verantwortungsfähigkeit entstünden nicht schlagartig mit der Volljährigkeit sondern müssen sich kontinuierlich, insbesondere auch während der Pubertät entwickeln

Der eigene Wille des Kindes ist ein maßgeblicher Entscheidungsfaktor

Nach Auffassung des Senats wird der Reifeprozess eines Jugendlichen gerade in der Pubertät gestört, wenn von ihm verlangt wird, sein Bedürfnis nach Kontakt zum anderen Geschlecht zu unterdrücken.

  • Die Eltern könnten von einem Kind in dieser Phase keine Begründung dafür erwarten, weshalb es jemanden liebt oder nicht.
  • Mit der Mündigkeit des Jugendlichen müsse das elterliche Bestimmungsrecht zu Gunsten bloß elterlicher Kontrolle der kindlichen Selbstbestimmung mehr und mehr zurücktreten.
  • Missachteten die Eltern dieses Selbstbestimmungsrecht des Kindes, so könne dies das psychosoziale Wohl des Kindes gefährden.
  • Keinesfalls dürfe der Kindeswille in dieser Phase übergangen werden.

Psychotische Störung nicht nachvollziehbar belegt

Vor diesem Hintergrund kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass bei der Jugendlichen keinerlei Anzeichen für eine psychische Erkrankung erkennbar seien, die den Schluss zuließen, sie befinde sich in einem, die freie Willensbildung hindernden, beeinträchtigenden psychischen Zustand. Wenn die Eltern gemeinsam mit dem Jugendamt diesen Standpunkt massiv verträten, so sei diese Einstellung für den Senat nicht nachvollziehbar.

Die Vorwürfe, die Beziehung zu ihrem Onkel sei zwanghaft, panisch, das Verhalten des Onkels sei in schwerer Weise manipulativ, seien nicht schlüssig. Auch die seitens des Jugendamtes insoweit vorgelegten Untersuchungsberichte ließen eine solchen Schluss nicht zu.

Untersuchungsbericht überzeugte das Gericht nicht

Die Befunderhebungen hätten ergeben, dass sämtliche Werte der Jugendlichen im alters- und geschlechtsspezifischen Bereich im Normbereich lägen. Die Jugendliche habe sich als überdurchschnittlich intelligent erwiesen, geprägt von einer gesundheitsbewussten Haltung, einer positiven Lebenseinstellung, sie sei hilfsbereit, besitze Empathie, sei sozial orientiert und agiere in ihren sozialen Beziehungen grundsätzlich gelassen. Weshalb der gleiche Untersuchungsbericht dennoch eine psychotische Störung diagnostiziere, sei für den Senat fachlich nicht nachvollziehbar. Die innere Logik des Untersuchungsberichts erschließe sich dem Senat nicht.

Jugendliche handelt selbstbestimmt und verantwortungsbewusst

Der Senat kam zu dem Ergebnis, dass die Jugendliche den Wunsch, ihre Liebesbeziehung weiterzuleben, „intensiv, zielorientiert, erlebnisgestützt und stabil“ geäußert habe. Die Eltern hätten ihre Beziehung demgegenüber kriminalisiert und hätten die Jugendliche nicht hinreichend ernst genommen und damit ihre Tochter in eine Art „Wagenburghaltung“ hineingetrieben.

Für die Einsichtsfähigkeit der Tochter spreche im übrigen, dass sie nach ihrer Rückkehr aus Frankreich durchgängig eine klare Lebensperspektive für sich eingefordert habe, insbesondere die Ermöglichung eines Schulbesuchs und ihr Leben in einer betreuten Jugendeinrichtung. Sie habe aus eigener Initiative psychologischen Beistand gesucht und in verantwortlicher Weise einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt.

Senat entscheidet zu Gunsten der minderjährigen Tochter

Insgesamt habe die Jugendliche gezeigt, dass sie ihre soziale und schulische Entwicklung keineswegs vernachlässigen wolle. Deshalb könne der auf diese Weise entwickelte und verfestigte Wille der Jugendlichen auch nicht übergangen werden, ohne dass daraus neues Gefährdungspotenzial für das Wohl der Jugendlichen entstehe.

Die Beziehung zu ihrem Onkel mag sozial unerwünscht sein, strafrechtlich sei sie weder sanktioniert noch rechtlich verboten. Vor diesem Hintergrund kam der Senat zu dem Schluss, dass die Verhängung und  Durchsetzung eines Kontakt- und Näherungsverbotes mit dem Ziel der endgültigen Zerstörung der Paarbeziehung nicht das geeignete und angemessene Mittel sei, den Gefahren für die Entwicklung der Jugendlichen zu begegnen.

Der Senat zeigte sich zuversichtlich, dass die Jugendliche im Fall der Akzeptanz ihrer Liebesbeziehung in der Lage ist, einen Neustart in einem stabilen sozialen Umfeld mit gesichertem Obdach, Schulbesuch und Kontakt zu Gleichartigen zu vollziehen. Das Kontakt- und Näherungsverbot hob der Senat mit dieser Begründung auf.

(Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 24.3.2016, 9 UF 132/15).

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