Kartoffelwurf auf ein Kind ist noch keine Gewalt

Wirft eine Nachbarin mit einer Kartoffel nach einem Kind, weil sie sich durch dessen Spiel in ihrer Nachmittagsruhe gestört fühlt, so rechtfertigt dies allein noch nicht den Erlass einer Gewaltschutzanordnung.

Das AG Frankfurt hatte über die Höhe der Schwelle für den Erlass einer Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) im Fall aggressiven Verhaltens einer Nachbarin gegenüber einem achtjährigen Kind zu entscheiden.

Innenhof einer Wohnbebauung als beliebter Kinderspielplatz

Der Innenhof einer Wohnbebauung in Frankfurt am Main war für den achtjährigen Antragsteller ein gerne genutzter Tummelplatz für das Spiel mit anderen Kindern. Die Bewohnerin eines angrenzenden Hauses fühlte sich durch das Spiel des achtjährigen Kindes und die damit verbundene Lärmbelästigung immer mal wieder gestört.

Antragsteller mit Kartoffel am Rücken getroffen

An einem Tag, an dem die Nachbarin das Spiel der Kinder und die damit verbundene Lärmbelästigung als besonders störend empfand, kam sie zu dem Spiel hinzu, zog und zerrte den Antragsteller am Arm und tadelte diesen wegen des erzeugten Lärms. An einem anderen Tag warf sie von ihrer Wohnung aus mit Kartoffeln auf die spielenden Kinder und traf dabei den Antragsteller mit einer Kartoffel am Rücken.

Einleitung eines Gewaltschutzverfahrens gegen die Nachbarin

Der sorgeberechtigten Vertreter des Achtjährigen machte daraufhin beim zuständigen Amtsgericht ein Gewaltschutzverfahren anhängig und beantragte den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, dass die Antragsgegnerin ihre aggressiven Verhaltensweisen künftig zu unterlassen habe und sich dem Kind nicht mehr nähern dürfe.

Antragsteller fordert Erlass eines Annäherungsverbots

Zur Begründung machte der Vertreter des Antragstellers geltend, bereits mit der Aktion, den Antragsteller am Arm festzuhalten und unwirsch am Arm des Kindes zu ziehen, habe sie dessen körperliche Unversehrtheit verletzt. Das Kind habe danach bitterlich geweint und leide seitdem unter deutlichen Schlafstörungen. Der Wurf der Kartoffel gegen den Rücken des Jungen habe ebenfalls einen spürbaren Schmerz verursacht. Die Antragsgegnerin habe ihre Aggressionen nicht unter Kontrolle und bedeute eine Gefahr für die spielenden Kinder. Deshalb sei ein Annäherungs- und Kontaktaufnahmeverbot im Wege einer einstweiligen Anordnung erforderlich.

Körperlich Normalfunktionen durch Kartoffelwurf nicht beeinträchtigt

Der mit dem Fall befasste Amtsrichter bewertete das Verhalten der Antragsgegnerin als im Bagatellbereich des Gewaltbegriffes angesiedelt. Der Antragsteller habe weder vorgetragen noch sei in sonstiger Weise ersichtlich, dass der Kartoffelwurf bei dem Antragsteller einen von seinen normalen körperlichen Funktionen abweichenden Zustand hervorgerufen hätte. Auch das Festhalten und Zerren am Arm wertete der Richter nicht als erheblichen Eingriff in die körperliche Integrität des Antragstellers.

Schlafstörungen wurden von Antragsgegnerin nicht vorsätzlich herbeigeführt

Die vom Antragsteller geltend gemachten Schlafstörungen sind nach der Bewertung des Amtsgerichts zwar als eine sich körperlich auswirkende Form psychischer Gewalt anzusehen. Der Amtsrichter vermochte allerdings nicht einen auf solche Schlafstörungen abzielenden Vorsatz der Antragsgegnerin zu erkennen. Auch sei das bloße Zerren am Arm noch nicht als Freiheitsberaubung oder als widerrechtliche Drohung zu werten. Die Handlungen der Antragsgegnerin könnten allenfalls unter den Tatbestand der Nötigung gemäß § 240 StGB zu subsumieren sein. Dieser Straftatbestand werde aber von den Anordnungsmöglichkeiten des § 1 GewSchG gerade nicht erfasst.

Einstweilige Gewaltschutzanordnung abgelehnt

Im Ergebnis sah der Amtsrichter die Schwelle für den Erlass einer Gewaltschutzanordnung als nicht erreicht an. Dem Antrag auf Erlass eines Annäherungs- und Kontaktaufnahmeverbots blieb damit der Erfolg versagt.

(AG Frankfurt, Beschluss v. 16.11.2020, 456 F 5230/20 EAGS)

Hintergrund:

Der vom AG entschiedene Fall wirft die Frage auf, an welcher Schwelle unzulässige Gewalt gegen Kinder beginnt. Nach den Richtlinien der UNICEF beginnt Gewalt gegen Kinder bereits dort, wo Grundbedürfnisse des Kindes nach Respekt, Sicherheit, körperlicher Unversehrtheit und emotionaler und sozialer Unterstützung nicht erfüllt werden. Gemäß § 1631 Abs. 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.

In Fällen häuslicher Gewalt kann nach Trennung der Eltern das Umgangsrecht eines zu Gewalt neigenden Elternteils deutlich beschränkt oder sogar ausgeschlossen werden (OLG Köln, Beschluss v. 6.12.2010, 4 UF 183/10). Diese Regeln für den innerfamiliären Bereich gelten allerdings nicht ohne weiteres gegenüber Dritten. Wie der vom AG Frankfurt entschiedenen Fall zeigt, existieren weiterhin Grauzonen, in denen die Kriterien für die Unterscheidung zwischen rechtswidriger Gewalt und Bagatelltaten fließend sind und der Schutz von Kindern vor Gewalt und vor mangelndem Respekt noch lückenhaft ist.

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