Wie Covid-19 das Kanzleimarketing unumkehrbar veränderte

Marketing für Kanzleien war immer ein diffuses Thema mit branchentypischen Besonderheiten und Spielregeln - für Marketingagenturen seit jeher eine große Herausforderung. Covid-19 mit seinen Lockdowns und der Wirtschaftskrise hat den Konkurrenzdruck in der Branche erhöht und die Digitalisierung befeuert. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf das Kanzleimarketing.

Zur Ausgangslage: Vor 2020 war das Thema Marketing in den meisten Kanzleien ein eher beiläufiges. Man überließ es weitgehend sich selbst. Eine Anbindung an die Kanzleistrategie bestand kaum. Die Führungsriege sah sich hier nicht in der Verantwortung: Immerhin setzte man seit Jahrzehnten erfolgreich auf sein berufliches Netzwerk, pflegte seine Mandantenstruktur und hatte das klassische, historisch gewachsene Berufsbild verinnerlicht, dass Marketing eher nichts für das seriöse Anwaltsgeschäft ist.

Ja, man hatte verstanden, dass die Webseite die digitale „Repräsentanz“ der Kanzlei ist und hierfür eine entsprechende Investition erforderlich war. Doch nur selten wurde die tatsächliche „Power“ dieser Hochglanzseiten für gezieltes und strategische Marketing genutzt.

Das Potential der Kanzlei-Website blieb oft ungenutzt 

Das Potenzial der Hochglanzseiten für Kanzleien wurde nur selten ausgereizt und gezielt für strategisches Marketing und Vertrieb eingesetzt. Immerhin war gerade begonnen worden, das Kanzleimarketing im Kampf um die „High Potentials“ zu entdecken. So erhielten Kanzleiwebseiten plötzlich innovative Zusatzmodule für das Employer Branding oder man investierte sogar gleich in separate Einheiten mit enger Anbindung an Sozial Media.

Kanzleimarketing bediente vor der Pandemie vor allem das Employer Branding

Allein für das Employer Branding wurde Kanzleimarketing strategisch und professionell genutzt. Dies schien eine vielversprechende Investition in die Zukunft zu sein und immerhin lernte man daraus auch so einiges über das allgemeine Kanzleimarketing.

Doch ab März 2020 war alles anders: Lockdown und Wirtschaftskrise führten dazu, dass einige Kanzleien reihenweise Mitarbeiter entließen oder zumindest auf ein Minimum reduzierten, um Personalkosten einzusparen. Andere froren sämtliche Budgets für Mitarbeiterentwicklung, Netzwerke und Marketing ein. Die gesamte Branche von der Einzel- bis zur Großkanzlei war mit der Umstellung des Geschäftsbetriebes auf Home Office, auf Büro-Hygienekonzepte sowie den sich rasant veränderten Mandatsthemen oder sogar der Mandatsstruktur beschäftigt.

Employer Branding existierte quasi nicht mehr: Man verabschiedete sich oder versuchte seine Leute mit aller Macht zu halten. Virtuelle Einstellungsgespräche und virtuelles Onboarding waren noch nicht wirklich erfunden worden.

Als auf Kanzleien spezialisierte Beratungsagentur konnten wir dieses Umschalten in der gesamten Branche unmittelbar erfassen:

Bis zum 1. Quartal 2020 umfasste noch gut 1/3 unseres Beratungsgeschäftes sich mit reinen Marketingthemen mit der Tendenz zu Großaufträgen im Sinne umfassender und grundlegender Strategiekonzepte für Positionierung, Marketing und Kommunikation. Ein weiteres Drittel bezog sich auf das Veranstalten und Abhalten von Netzwerktreffen und Eventformaten für Marketing und Vertrieb. Im 2. und 3. Quartal war all dies gestoppt; es drehte sich nur noch um das Überleben im Tagesgeschäft.

Während der Pandemie wurden auch Kanzleischwachstellen offengelegt

Mit dem Alltagsdruck traten „alte Baustellen“ und Schwachpunkte in den Kanzleien deutlich zu Tage. Schlechte Führung wurde nun unerträglich, miese Prozesse waren nicht mehr akzeptabel, Überlastung, Unterbezahlung und schlampige Ausbildung - War am Krisenanfang noch jeder Arbeitnehmer froh einen Job zu haben, waren viele nun bereit zu gehen und höhere Ansprüche zu stellen.

Nur einige wenige dieser Kanzleien nutzten dann die zweite Jahreshälfte, sich grundsätzlich strategischen Fragen nach der Covid-19 Erfahrung zu stellen, interne Prozess- und Führungsthemen aktiv anzugehen, ihren Online-Auftritt entsprechend neu zu positionieren und mutig und bewusst in digitale Marketingaktivitäten wie Podcasts und Live-Diskussionsrunden, mutige Kombinationen aus Personal Branding anwaltlicher „Influencer“ und Kanzleimarketing bis hin zu Versuchen sich als Krisensprecher für Politik und Verwaltung zu positionieren oder mit Formaten wie online-Weinverkostungen zu punkten und diese auszubauen.

Dramatisch veränderter Arbeitsmarkt 

Das Employer Branding war zurück. Recruiting und Einstellung ging plötzlich online. Der Arbeitsmarkt hatte dramatisch an Dynamik und Geschwindigkeit zugenommen. Auch waren plötzlich Qualifikationen und Erfahrungen in online Formaten, persönliche Reichweite in den Sozialen Medien und beruflichen Netzwerken und Podcast-Talent gefragt.

Mutig, flexibel und agil agierten in unserer Wahrnehmung vor allem kleine und mittlere Kanzleien, auch wenn diese Investitionen in erste Versuche mit modernen Formaten in den Partnerrunden heiß diskutiert wurden und ihnen viel Gegenwind entgegenschlug.

Als Gewinner aus der Krise hervorgehen

Als Gewinner sind heute 15 Monate nach dem ersten Lockdown eindeutig diejenigen Kanzleien hervorgegangen, die

  1. Ihre Kanzleistrategie umfassend und grundlegend neu aufgestellt haben,
  2. ein darauf abgestimmtes Marketing- und Akquisekonzept entwickelt haben und
  3. mutig neue und moderne Formate außerhalb ihrer Komfortzone einfach ausprobiert haben

Galt dies nur für Kanzleien? Ja und nein: einerseits hatte Covid-19 mit Lockdown, Wirtschaftskrise und Digitalisierungsschub sicherlich Marketing und Vertrieb jeder Branche grundsätzlich verändert. Bildschirmzeiten erhöhten sich drastisch: es wurde mehr digital konsumiert, kommuniziert und angeboten als jemals zuvor.

Corona brachte teils unumkehrbare Digitalisierung

Nicht ohne Grund erzielten Amazon und Zoom Rekordwerte; legten alle Netzwerke „Traumzahlen“ vor oder wurden komplett neu gestartet, wie Clubhouse. Arbeit und Lehre wurden zwangsdigitalisiert. Und obgleich die Bildschirmmüdigkeit zunahm:

Das Nutzerverhalten änderte sich nachhaltig, also deutlich zum Digitalen und zu wertvollen oder zumindest unterhaltsamen Inhalten.

Keine Ausreden mehr für verschlafenes Kanzleimarketing

Die immer schon bestehenden Besonderheiten für das Marketing der Rechtsbranche konnten nun nicht mehr als „Feigenblatt“ für langweiliges, fast nutzfeindliches Kanzleimarketing herhalten.

Und die Situation der Kanzleien, im Corona-Krisenmodus quasi 200 % leisten zu müssen, hatte deutlich gemacht, dass man sich das zuvor ungenutzte Potenzial im Marketing nicht mehr leisten kann. 

Fazit: Wer als Kanzlei heute immer noch dasselbe Marketing wie vor 2020 fährt und meint, alles wäre wichtiger als ein strategisches Marketingkonzept, wird für immer entscheidende Marktanteile verlieren und schon bald nicht mehr relevant sein.

→ Dr. Geertje Tutschka ist Rechtsanwältin, Beraterin und Coach. In ihrem Fachbuch  „Kanzleigründung und Kanzleimanagement“ beschäftigt sie sich mit Kanzleigründung und -führung.