Ist ein harter Hund ein Arbeitsunfall?

Zu wenigen Themen gibt es seltsamere Entscheidungen als zum Arbeitsunfall: Wenn ein ausgewachsener Schäferhund sein Herrchen sieht, dann sprintet er schon mal vehement drauflos, sei es zur Begrüßung oder zum Spaß. Befindet sich Herrchen gerade auf dem Weg zur Arbeit und stürzt ob der Heftigkeit des Hundeanflugs, kann dann der Sturz als Arbeitsunfall gelten?

Ein Versicherungsvertreter verließ morgens das Haus, um zu seinem Büro zu fahren. Die Ehefrau hatte bereits zuvor den gemeinsamen Schäferhund ausgeführt. Auf dem Weg zu seinem Pkw kamen Ehefrau und Hund gerade von ihrem Morgenspaziergang zurück. Wie häufig in dieser Situation lief der ausgewachsene Schäferhund in vollem Lauf auf sein Herrchen zu und stieß - was bisher noch nie vorgekommen war - versehentlich gegen dessen rechtes Knie, wodurch der Versicherungsvertreter zu Fall kam.

Harter Hund -  direkt ins Knie gelaufen

Die nach der Kollision notwendige ärztliche Diagnose lautete auf freie Gelenkskörper im Kniegelenk, einen Knorpelabriss, eine Kontusion des oberen Sprunggelenks, was zu einer Arbeitsunfähigkeit von vier Wochen führte.

Gegenüber der Krankenkasse erklärte der Kläger, dass er seinem Hund - wie üblich – gepfiffen hatte. Der unbefestigte Weg sei regennass gewesen, so dass der Hund nicht mehr rechtzeitig seinen Lauf bremsen konnte und offensichtlich die Absicht hatte – wie dies häufiger der Fall war – unmittelbar an ihm vorbeizulaufen. Aus einem nicht nachvollziehbaren Grund habe er habe der Hund das nicht geschafft und sei ihm direkt ins Knie gelaufen.

Versicherung hält Hundebegrüßung für Unterbrechung des Arbeitswegs

Die gesetzliche Unfallversicherung lehnte Entschädigungsleistungen ab. Zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit bestand nach ihrer Auffassung kein ursächlicher Zusammenhang.

Das Rufen und Begrüßen bzw. Verabschieden des Hundes stellte nach Auffassung der Unfallversicherung eine eigenwirtschaftliche Handlung dar, die den Weg zur Arbeit – wenn auch nur kurzfristig – unterbrochen habe. Die Verabschiedung von dem Hund sei daher nicht dem versicherten Weg zuzurechnen. Ursache des Sturzes sei letztendlich auch der dem Hund geltende Pfiff gewesen, der den Hund zu der gezeigten heftigen Reaktion animiert habe.

Widerspruch gegen die Versicherungsentscheidung

Gegen die Entscheidung der Versicherung legte der Kläger Widerspruch ein und legte dar, dass er sein Auto grundsätzlich ca. 50 m von seinem Haus entfernt parken müsse. Wenn er von der Arbeit komme oder zur Arbeit gehe, komme seiner Frau häufig zu diesem Zeitpunkt vom Spaziergang mit dem Hund aus dem Wald. Dieser sprinte dann immer auf ihn zu, völlig unabhängig davon, ob er ihn rufe oder ihm pfeife. Mal stoppe der Hund unmittelbar vor ihm, mal sause er übermütig an ihm vorbei. Der Hund sei auf diese Verhaltensweisen dressiert, um so zu vermeiden, dass er durch ein Anspringen seines Herrchens dessen Anzüge verschmutzte. Der Widerspruch des Klägers wurde abschlägig beschieden. Das erstinstanzlich mit der Sache befasste befasste Sozialgericht gab dem Versicherungsträger recht.

Unwesentliche Ablenkungen unterbrechen den Arbeitsweg nicht

Oft spielt bei solchen Entscheidungen mit rein, ob die Richter Tierhalter sind oder nicht. Das LSG hatte jedenfalls ein Einsehen. Der Senat stellte klar, dass der Kläger sich mit Verlassen des Hauses auf dem Weg zur Arbeit befand. Hieran ändere sich nichts, wenn lediglich eine unerhebliche, weil nur geringfügig Unterbrechung des Weges vorliege.

Nur wenn eine klare Zäsur in der Fortbewegung in Richtung auf die Arbeitsaufnahme erfolge, sei die zusätzlich aufgenommene Tätigkeit nicht mehr dem Arbeitsweg zuzurechnen. So hat das BSG beispielsweise beim Kauf einer Zeitung an einem Kiosk auf dem versicherten Weg als nur unwesentliche Unterbrechung gelegentlich des Weges zur Arbeitsaufnahme angesehen (BSGE, Urteil v. 28.2.1964, 2 RU 185/61).

Gesamttendenz des Handelns: Kläger war auf dem Weg zur Arbeit

Im vorliegenden Fall hat nach Auffassung des Senats das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort der Tätigkeit auch bei der Begrüßung des Hundes im Vordergrund gestanden. Es sei nicht einmal sicher, ob der Kläger überhaupt stehen geblieben sei und es dadurch tatsächlich zu einer minimalen Verzögerung des Weges zur Arbeit gekommen ist oder ob der Kläger nicht möglicherweise gleichmäßig weitergegangen war, bis er von dem Hund zu Fall gebracht wurde. Aber auch eine nur unwesentliche Unterbrechung des Weges von wenigen Sekunden ändere nichts daran, dass der Kläger sich von der Gesamttendenz seines Tuns her auf dem Weg zur Arbeit gefunden habe

Mögliche Mitverursachung durch Pfiff nicht erheblich

Diese insgesamt versicherte Verrichtung des Klägers sei durch ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper des Klägers wirkendes Ereignis, nämlich der Lauf des Hundes sein Knie unterbrochen worden. Auch wenn der Hund durch den Pfiff oder das Rufen des Klägers gelockt worden wäre, so bedeutet dies nach Auffassung der Richter zwar eine Mitverursachung des Unfalls durch den Kläger, diese Mitverursachung sei aber versicherungsrechtlich nicht erheblich. Maßgeblich für die Beurteilung dieser Mitverursachung sei wiederum die Handlungstendenz des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalls. Tendenziell habe ganz klar den Weg zur Arbeit im Vordergrund gestanden, während bei wertender Betrachtungsweise die Verabschiedung von dem Hund nur eine nebensächliche Tätigkeit gewesen sei. Der Kläger habe durch den Pfiff keine wesentliche zusätzliche Gefahr selbst geschaffen.

Keine von Kläger eingebrachte Gefahr

Bei dem Hund des Klägers handele sich um einen nicht aggressiven, ungefährlichen Hund, der lediglich durch ein einmaliges Fehlverhalten den Kläger zu Fall gebracht habe. Mit diesem Fehlverhalten habe der Kläger angesichts des bisherigen Verhaltens des Hundes auch nicht rechnen müssen.

Bei dem Verhalten des Klägers handele sich daher auch nicht um eine so genannte eingebrachte Gefahr, die zum Entfall des Versicherungsschutzes führen könne. Da der Kläger auch seine Gehrichtung nicht geändert habe, habe das aktive Zurücklegen des versicherten Weges zum Ort seiner beruflichen Tätigkeit weiterhin insgesamt im Vordergrund gestanden. Das  LSG ordnete das Gesamtgeschehen daher als versichertes Unfallereignis ein. Die Unfallversicherung war somit eintrittspflichtig.

Fazit: Auch tierische Besonderheiten werden von der Justiz mit Verständnis gewürdigt.

 (LSG, Urteil v. 16.5.2013, L6 U 12/12).

Vgl. zum Thema auch:

Zur Abgrenzung Arbeitsunfall/Freizeitaktivität

Gesetzliche Unfallversicherung: Rechtsfragen zum Schutz bei Arbeits- und Wegeunfällen oder guten Taten

Vgl. auch:

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Schlagworte zum Thema:  Rechtsanwalt, Justiz, Juristen, Richter