Gehört das Sterben zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietwohnung?

Mieter, die in ihrer Mietwohnung versterben, begehen damit keine schuldhafte Verletzung ihrer vertraglichen Pflichten gegenüber dem Vermieter. Der Tod löst keine Schadensersatzpflichten aus - auch nicht bei den Erben.

Diese etwas kurios anmutenden Rechtsgrundsätze hat das LG Berlin im Rahmen eines von den Erben eines verstorbenen Mieters eingeleiteten Rechtsstreites gegen die Vermieterin auf Rückerstattung der von dem Mieter an die Vermieterin geleisteten Kaution aufgestellt.

Einsamer Tod des Mieters in der Wohnung

Der Tod eines Mieters in einer Wohnung in Berlin-Tempelhof wurde über einen Zeitraum von mehreren Tagen nicht entdeckt. Als Folge traten Verunreinigungen nicht nur der Sterbestelle, sondern in erheblichem Umfang auch unangenehme Gerüche in der gesamten Wohnung auf.

Vermieterin fordert Schadensersatz für Wohnungsreinigung

Als die Erben des Mieters von der Vermieterin die zu Beginn des Mietverhältnisses gezahlte Kaution zurückforderten, verweigerte diese die Auszahlung mit der Begründung, infolge des Todes des Mieters in der Wohnung seien in erheblichem Umfang kostenintensive Reinigungsarbeiten erforderlich geworden. Auch die Beseitigung der nach dem Tod entstandenen Gerüche habe erhebliche Kosten verursacht. Die hieraus erwachsenen Ersatzansprüche rechnete die Vermieterin gegen den Anspruch auf Rückzahlung der Kaution auf.

Amtsgericht bewertet Sterben als vertragsgemäßen Gebrauch der Mietwohnung

Die Erben waren zunächst beim AG mit ihrer Klage auf Auszahlung der Kaution erfolgreich. Das AG stützte sein Urteil im wesentlichen auf die Erwägung, dass die Vermieterin dann Ersatz für die aufgewendeten Reinigungskosten verlangen könne, wenn das Sterben in der Wohnung eine Überschreitung des vertragsgemäßen Gebrauchs durch den Mieter dargestellt habe.

Das Sterben gehöre aber notwendigerweise zum Leben. Ein Mieter habe das Recht, in der Mietwohnung zu leben und damit auch zu sterben. Das Erleiden des Todes in der Mietwohnung könne daher nie über den vertragsgemäßen Gebrauch gemäß §§ 535 Abs. 1 Satz 2, 538 BGB hinausgehen (AG Berlin-Tempelhof/Kreuzberg, Urteil v. 24.11.2020, 15 C 59/20).

AG Bad Schwartau entschied ähnlich

Ähnlich hatte sich das AG Bad Schwartau schon früher in einem Rechtsstreit auf Schadenersatz gegen die Erben positioniert und entschieden, dass das Sterben in einer Mietwohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache gehört. Im dort entschiedenen Fall forderte der Vermieter Schadenersatz und Nutzungsentschädigung von den Erben, weil der Tod der Mieterin über mehrere Wochen nicht entdeckt wurde.

Sterben ist kein vorwerfbarer Fehlgebrauch einer Mietwohnung

Das AG sprach dem Vermieter auch in diesem Fall keinen Anspruch auf Erstattung der Reinigungskosten oder Erstattung derjenigen Kosten zu, die erforderlich waren, um die Wohnung von dem aufgetretenen Leichengeruch zu befreien. Der Mieter hafte nur für Verschlechterungen der Mietsache, die auf einen vorwerfbaren, nicht vertragsgemäßen Gebrauch zurückzuführen sind.

Der Mieterin könne aber nicht vorgeworfen werden, die Grenzen des vertragsgemäßen Gebrauchs dadurch überschritten zu haben, dass sie in ihrer Wohnung verstorben sei (AG Bad Schwartau, Urteil v. 5.1. 2001, 3 C 1214/99).

LG Berlin: Der Tod ist der mietrechtlichen Pflichtenbeurteilung entzogen

Im Berliner Fall kam das LG in der Berufungsinstanz zwar zu ähnlichen Ergebnissen wie zuvor die Amtsgerichte, hielt deren Begründung aber für verfehlt. Der Tod und das Sterben eines Mieters kann nach Ansicht des LG nicht in das rechtliche Pflichtengefüge eines Mietvertrages eingeordnet werden. Der Tod sei vielmehr ein außerhalb des vertraglichen Pflichtengefüges liegendes Ereignis, dessen Auswirkungen zwar mit der Mietsache in Zusammenhang stehen könnten, wenn der Tod innerhalb der Mietsache eintritt, dessen rechtliche Bewertung aber den üblichen mietrechtlichen Kategorien entzogen sei.

Klage der Erben auf Kautionsrückzahlung erfolgreich

Nach Auffassung des LG hat die Vermieterin aus diesen Gründen keinen Anspruch auf Schadenersatz. Ein solcher Anspruch setze voraus, dass der Mieter seine mietvertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt hat. Der Tod eines Menschen sei der Endpunkt in jedem Menschenleben und damit unabwendbar. Deshalb könne der Tod niemals eine schuldhafte Pflichtverletzung nach den Maßstäben des § 280 Abs. 1 BGB darstellen. Das Sterben stehe damit außerhalb mietrechtlicher Haftungsmaßstäbe. Mit diesem Argument verneinte das Gericht auch eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Fortsetzung des Mietverhältnisses mit den Erben gemäß § 564 BGB und gab der Klage der Erben auf Erstattung der Kaution insgesamt statt.

(LG Berlin, Urteil v. 5.10.2021, 66 S 7/21).

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