Fristenkontrolle in der Kanzlei erfordert Ausgangskontrolle

Eine wirksame Fristenkontrolle in der Anwaltskanzlei erfordert nach einer Grundsatzentscheidung des BGH neben exakten Anweisungen zur Ausfertigung und Versendung fristgebundener Schriftsätze an das Kanzleipersonal in der zweiten Stufe eine sorgfältige allabendliche Ausgangskontrolle.

Nach der Abweisung einer für einen Dieselkäufer eingereichten Schadensersatzklage wegen einer Manipulation der Motorensoftware an dem erworbenen Dieselfahrzeug, war der Klägervertreter beauftragt, Berufung gegen das Urteil des LG einzureichen. Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 20.11.2018 ab.

Verspäteter Eingang der Berufungsbegründung bei Gericht

Die Berufungsbegründung ging gleichzeitig mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf der Begründungsfrist am 10.12.2018 bei Gericht ein. Den Wiedereinsetzungsantrag hatte der Prozessbevollmächtigte damit begründet, der Berufungsbegründungsschriftsatz sei rechtzeitig am 19.11.2018, also einen Tag vor Fristablauf, gefertigt worden. Er habe seine Mitarbeiterin, eine Rechtsfachwirtin, angewiesen, den Schriftsatz auszufertigen, ihm zur Unterschrift vorzulegen und dann vorab per Telefax und zusätzlich im Postversand abzusenden.

In einer Unterschriftenmappe sei ihm der Schriftsatz sodann am gleichen Tag mit dem Vermerk „vorab per Telefaxvorgelegt und von ihm unterschrieben worden.

Klassischer Fristenkiller: „Erledigt“-Vermerk trotz fehlender Erledigung

Aus nicht mehr aufklärbaren Gründen hat die Mitarbeiterin es sodann versäumt, den Schriftsatz entsprechend der Anweisung des Rechtsanwalts sofort per Telefax zu versenden. Auf ihrer Fristenliste hat sie aber die betreffende Frist dennoch mit einem „Erledigt“-Vermerk versehen. Der Prozessbevollmächtigte selbst hat diesen „Erledigt“-Vermerk am Nachmittag des gleichen Tages zur Kenntnis genommen und nahm deshalb an, dass der Schriftsatz entsprechend seiner Anweisung per Telefax und per Post abgesandt worden sei. Dies alles hat der Rechtsanwalt in seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand an Eides statt versichert.

Wiedereinsetzungsantrag wurde abgelehnt

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt. Die gegen die Ablehnung gerichtete Rechtsbeschwerde hat der BGH als unzulässig verworfen, da eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts gemäß § 574 Abs. 2 ZPO erforderlich sei.

Der Wiedereinsetzungsantrag war unschlüssig

Trotz der Unzulässigkeit des Antrags, ging der BGH ausführlich auch inhaltlich auf die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ein. Nach Auffassung des BGH hatte der Rechtsanwalt den Wiedereinsetzungsantrag nicht schlüssig begründet. Der BGH bemängelte insbesondere die fehlende Darlegung einer hinreichenden Ausgangskontrolle in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten.

Rechtsanwalt muss rechtzeitigen Eingang bei Gericht sicherstellen

Der Senat stellte klar, dass ein Rechtsanwalt grundsätzlich befugt ist, routinemäßige Büroarbeiten auf seine Mitarbeiter und insbesondere auf ausgebildete, erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte zu übertragen.

Hierzu gehöre auch die Erledigung der ausgehenden Post und auch die Versendung von fristgebundenen Telefax-Schreiben (BGH, Beschluss v. 28.1.2018, IX ZB 4/17). Dies entbinde den Rechtsanwalt aber nicht von der Verpflichtung, durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz nicht nur rechtzeitig gefertigt, sondern innerhalb der laufenden Frist auch beim zuständigen Gericht eingeht. Fehlerquellen beim Umgang mit Rechtsmittelfristen habe er nach Möglichkeit auszuschließen (BGH, Beschluss v. 29.10.2019, VIII ZB 103/18).

Erste Stufe: Fristen erst nach tatsächlicher Erledigung streichen

Aus diesen Grundsätzen folgert der Senat, dass eine Ausgangskontrolle so zu organisieren ist, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumnisse bietet. Hierzu gehöre, dass

  • die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst dann gestrichen oder als erledigt gekennzeichnet werden dürfen, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt wurde.
  • Für fristgebundene Schriftsätze heiße das, der Schriftsatz müsse gefertigt und abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sein. Erst danach dürfe eine Frist gestrichen oder als erledigt gekennzeichnet werden.

Dies habe der Anwalt durch eine klare Allgemeinanweisung gegenüber seinem Büropersonal sicherzustellen (BGH, Beschluss v. 9.12.2014, VI ZB 42/13).

Zweite Stufe: Allabendliche Ausgangskontrolle

In einer weiteren Stufe muss der Anwalt nach der Entscheidung des Senats organisatorisch sicherstellen, dass die Erledigung fristwahrender Schriftsätze am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine zuverlässige Bürokraft nochmals überprüft wird. Hierbei handele es sich um eine selbstständige, abschließende Ausgangskontrolle die dazu diene, zu erkennen, ob eine im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete Frist tatsächlich doch noch nicht erledigt wurde. Diese zusätzliche Ausgangskontrolle sei notwendig, da selbst bei geschultem Personal und sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können und der Rechtsanwalt erst mit dieser zusätzlichen Ausgangskontrolle das ihm Mögliche getan habe, um solche Fehlerquellen bestmöglich zu vermeiden.

Wiedereinsetzungsantrag nicht hinreichend begründet

Der BGH bemängelte, dass der Wiedereinsetzungsantrag des Rechtsanwalts konkret keinerlei Angaben zu den von ihm insoweit getroffenen organisatorischen Maßnahmen und Anweisungen für eine zusätzliche Ausgangskontrolle enthielt. Die Anweisung an die Rechtsfachwirtin zur sofortigen Versendung des Schriftsatzes per Telefax unmittelbar nach Ableistung der Unterschrift durch den Anwalt behebt nach Ansicht des Senats das in der fehlenden zusätzlichen Ausgangskontrolle liegende Organisationsverschulden des Anwalts nicht (BGH Beschluss v. 22.10.2010, VII ZB 117/10).

Organisationsverschulden war ursächlich für Fristversäumnis

Mit diesen Erwägungen kam der BGH zu dem Ergebnis, dass die Fristversäumnis auch unter Berücksichtigung der Darstellung des Rechtsanwalts in dem Wiedereinsetzungsantrag auf einem Organisationsverschulden beruht. Bei einer sachgerechten allabendlichen Ausgangskontrolle wäre nach Auffassung des Senats nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge der Fehler entdeckt worden. Die Vorinstanz habe dem Wiedereinsetzungsantrag daher zu Recht nicht entsprochen.

(BGH, Beschluss v. 17.3.2020, VI ZB 99/19).

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Hintergrund: Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung

Einer Partei ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten.

  • Verschulden des Anwalts ist der Partei wie ihr wie eigenes zuzurechnen.
  • Lediglich Verschulden des Büropersonals,
  • welches nicht auf einem Organisationsverschulden des Anwalts beruht, hat die Partei nicht zu vertreten.

Zu unterscheiden ist also einerseits zwischen Organisationsmängeln, die einem Rechtsanwalt und dem von ihnen Vertretenen als Verschulden zuzurechnen sind, und nicht zurechenbaren Büroversehen andererseits. Wird ein nicht zurechenbares Büroversehen geltend gemacht, gehört zum schlüssigen Vortrag der Wiedereinsetzungsgründe auch die Darlegung, warum ein Organisationsverschulden auszuschließen ist. Es müssen also Organisationsmaßnahmen vorgetragen werden, die den konkreten Fehler als Büroversehen erkennen lassen.

Der Wiedereinsetzungsantrag bedarf einer Begründung dergestalt, dass den mitgeteilten Tatsachen die unverschuldete Verhinderung des Betroffenen und Antragstellers an der Fristversäumung entnommen werden kann. Aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten Garantie des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs dürfen die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung jedoch nicht überspannt werden (BVerfGE 26, 315).

Aus: Deutsches Anwalt Office Premium