Fischerverein Memmingen muss Frauen nach Urteil mitfischen lassen

Männliche Vereinsmeierei und Tradition rechtfertigen keine Frauendiskriminierung. Auch der Memminger „Fischertagsverein“ ist an das Diskriminierungsverbot gebunden und darf Frauen nicht vom städtischen Event des Ausfischens des Stadtbaches ausschließen. Das entschied das Amtsgericht Memmingen.

Das Amtsgericht Memmingen hat mit einer alten Memminger Tradition gebrochen. Frauen dürfen nach dem wegweisenden Urteil des AG nicht mehr von dem traditionellen, zentralen städtischen Kulturevent des Ausfischens des Stadtbaches ausgeschlossen werden.

Traditioneller Fischertag in Memmingen ist bisher reine Männersache

Der Fischertagsverein Memmingen e.V. blickt in Memmingen auf eine lange Tradition zurück. Als zentraler regionaler Kulturverein in Memmingen veranstaltet er den jährlichen Fischertag, an dem der Stadtbach ausgefischt und der Fischerkönig gekürt wird. Das Traditionsfest in Memmingen zählt jährlich zwischen 20.000 und 30.000 Besucher. Zu dem Wettbewerb werden ausschließlich männliche Fischer zugelassen.

Künftig in Memmingen auch Fischerköniginnen?

Derjenige, dem es gelingt, die schwergewichtigste Forelle zu fangen, wird zum Fischerkönig gekürt. Eine Fischer-Königin war zumindest für die Traditionalisten bisher nicht vorstellbar. Der Fischertag in Memmingen ist eine regional identitätsprägende Veranstaltung der Stadt mit deutlich über die Stadtgrenzen hinausreichender Bedeutung.

Die jährliche, mehrtägige Festveranstaltung hat hohe Anziehungskraft für die gesamte Region. Der austragende Verein nimmt damit im gesellschaftspolitischen Gefüge eine zentrale Stellung ein. Die Klägerin ist seit 25 Jahren Vereinsmitglied. Frauen durften bisher an dem traditionellen Ausfischen des Stadtbaches nicht teilnehmen. Eine Fischerkönigin gab es daher noch nie.

Jahrhunderte altes Brauchtum auf dem Prüfstand

Mit dieser Tradition hat das AG Memmingen nun gründlich aufgeräumt. Ein weibliches Vereinsmitglied wollte nicht länger hinnehmen, nicht Fischerkönig(in) werden zu können. Nach vielen erfolglosen Diskussionen mit der Vereinsführung erstritt sie nun vor dem AG Memmingen das Recht, zu dem Wettbewerb als erste weibliche Teilnehmerin zugelassen zu werden.

Die Klägerin wehrte sich gegen eine nach ihrer Auffassung überkommene, nicht mehr zeitgemäße Tradition, die den Ausschluss von Frauen an einem innerstädtischen Wettbewerb, der einen Höhepunkt im örtlichen Festkalender markiert, nicht rechtfertigen könne.

Delegiertenversammlung ließ aufmüpfiges Vereinsmitglied mehrfach abblitzen

Der zweimalige Antrag der Klägerin auf eine Änderung der Vereinssatzung war zuvor in den Jahren 2018 und 2019 von der Delegiertenversammlung mit jeweils großer Mehrheit abgewiesen worden (was für eine Stadt!). Darauf wandte sich die Klägerin an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die dem Fischertagsverein im Februar 2019 eine Anpassung der Satzung empfahl. Das war den Vereinsmitgliedern dann doch zu viel an weiblicher Einmischung. Im Verein wurde darauf ein vollständiger Ausschluss der Klägerin aus dem Verein wegen vereinsschädigenden Verhaltens diskutiert. Daraufhin hat die Klägerin im Juni 2019 die Verwirklichung ihrer Rechte bei Gericht beantragt.

Tradiertes Brauchtum rechtfertigt keine Frauendiskriminierung

Die zuständige Amtsrichterin(!) wies in ihrer Urteilsbegründung auf die zentrale soziale Stellung des Fischertagsvereins in Memmingen hin. Eine männliche Tradition sei kein hinreichender Grund für den Ausschluss von Frauen, auch wenn sie bereits seit Jahrhunderten tradiert wird. Bei einem Volksfest mit einer hohen Besucherzahl können nicht an überkommenen Gebräuchen festgehalten werden, die mit heutigen Grundüberzeugungen nicht mehr übereinstimmen und daher nicht mehr in die Zeit passen.

Traditionsverein mit regionalen Gewicht

Das AG stellte klar, dass Traditionsvereine wie der Fischertagsverein eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben der Stadt Memmingen spielen und daher an die Grundrechte gebunden seien. Allein eine männliche Tradition rechtfertige noch keine Ungleichbehandlung. Der Fischertagsverein sei der zentrale örtliche Kulturverein in Memmingen. Mit 4.500 Mitgliedern habe er in Memmingen eine besondere soziale Machtstellung und sei daher an den Grundsatz der Gleichberechtigung nach Art. 3 GG gebunden.

Wahrung des Brauchtums ist auch ohne Frauendiskriminierung möglich

Die jahrhundertealte Tradition ist nach dem Urteil des AG kein Grund für eine Diskriminierung der Frauen. Die grundsätzlich berechtigte Tradierung eines jahrhundertealten Brauchtums dürfe nicht dazu dienen, auch heute noch in grundgesetzwidriger Weise Frauen von dem Höhepunkt dieses Volksfestes mit mehreren 10.000 Besuchern auszuschließen. Die Teilnahme von Frauen am Fischereiwettbewerb werte diesen Brauch in keiner Weise ab, sondern steigere eher dessen Attraktivität.

(AG Memmingen, Urteil v. 31.8.2020, 21 C 952/19

Vereinsvorsitzende sieht Vereinsautonomie verletzt

Der Vereinsvorsitzende sieht durch das Urteil die Vereinsautonomie verletzt. Über das weitere Vorgehen will der Verein nach Eingang der schriftlichen Urteilsbegründung entscheiden. Das Verfahren wurde und wird in der Region um Memmingen sehr emotional diskutiert und hat in der Stadt für viel Aufregung gesorgt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Fischertagsverein hat bereits angekündigt, die Urteilsbegründung sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls Rechtsmittel einlegen zu wollen.

Hintergrund:

Brauchtumspflege ist in Deutschland häufig Männersache. Die Satzungen vieler Traditionsvereine schließen Frauen von der Teilnahme an traditionellen Bräuchen oder komplett von der Mitgliedschaft aus. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) unterstützt die vor einiger Zeit von Bundesfinanzminister Olaf Scholz ergriffene Initiative zum Entzug der Gemeinnützigkeit gegenüber Vereinen, die ohne sachlichen Grund Frauen in dieser Weise ausschließen und dennoch als gemeinnützig anerkannt sind.

Memminger Urteil könnte auch überregional Wellen schlagen

In Fragen der Bewertung traditioneller Bräuche vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gleichberechtigung der Geschlechter gemäß Art. 3 GG hat das Urteil des AG Memmingen einen interessanten Vorläufer. Der BFH hatte 2017 entschieden, dass eine Freimaurerloge, die Frauen von zentralen Ritualen ausschließt, nicht gemeinnützig sein kann (BFH, Urteil v. 17.5.2017, V R 52/15). Da Brauchtum in Deutschland in vielen Regionen immer noch Männersache ist, könnte das Memminger Urteil wegweisend auch für andere Regionen in Deutschland sein. 

Weitere News zum Thema:

BVerfG nimmt Gender-Verfassungsbeschwerde einer Kundin nicht an

Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Arbeitswelt

Hochs und Tiefs der Frauenförderung - ein Überblick    

Schlagworte zum Thema:  Verein, Diskriminierung, Rechtsanwalt, Justiz, Juristen, Richter