Doch keine Zwangshaft für Politiker wegen versäumter Fahrverbote

Einer der Fahrverbote aussitzenden Ministerpräsidenten ist um das Gefängnis herum gekommen. Zwar hat der EuGH auf Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) entschieden, dass Zwangshaft gegen Politiker rechtens ist, wenn sie gerichtliche Entscheidungen zur Luftreinhaltung nicht umzusetzen. Das VG Stuttgart hat es aber zunächst bei Zwangsgeld von 25.000 Euro an die Deutsche Kinderkrebsstiftung bewenden lassen. 

Im Fokus der Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) wegen nicht umgesetzter Dieselfahrverbote standen die Ministerpräsidenten Söder (Bayern) und Kretschmann (Baden-Württemberg ), die trotz rechtskräftiger Urteile Fahrverbote zur Luftreinhaltung nicht umsetzten.

Die Länder sind für die Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte verantwortlich und sollten ihre Luftreinhalteplane nachbessern. Fahrverbote für Dieselfahrzeuge unterhalb der Schadstoffklasse 6 waren nach den Gerichtsurteilen die einzig erfolgversprechende Maßnahme. Dies hielt auch der Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht stand.

EuGH: Zwangshaft gegen Regierungsmitglieder nicht nur möglich ist, sondern geboten

Der EuGH hatte im Sommer 2019  nach weiterer Untätigkeit entschieden, dass Zwangshaft gegen Regierungsmitglieder und hohe Beamten nicht nur möglich ist, sondern auch geboten sei, wenn Behörden sich weigern, gerichtliche Entscheidungen zur Luftreinhaltung umzusetzen, und mildere Mittel wie eine - bereits verhängte - "Geldbuße" nichts nutzen. 

Zwangshaft gegen Amtsträger könne verhängt werden, wenn es dafür im deutschen Recht eine hinreichend zugängliche, präzise und in der Anwendung vorhersehbare Rechtsgrundlage gibt und sie verhältnismäßig ist.

VG Stuttgart versucht es bei den Fahrverboten nochmal im Guten

Statt den störrischen Ministerpräsident mit Zwangshaft zu überziehen, wurden vom Verwal­tungsgericht Stuttgart im Streit um die fehlende Luftqualität und zur Verbesserung nötige Fahrverbote nun am 21.1.2020 zunächst die Strafzahlungen für die Verweigerung der Umsetzung der Urteile erhöht. Begründung: Das Urteil  aus dem Sommer 2017 wurde noch immer nicht vollständig umgesetzt. Die aktuellen Pläne für ein mög­liches Fahrverbot vom 1. Juli 2020 an reichen aus Sicht des Gerichts nicht aus.

Höheres Zwangsgeld geht passenderweise an die Kinderkrebshilfe

Das Zwangsgeld für das Land Baden-Württemberg wurde von bisher 10.000 EUR auf 25.000 EUR angehoben. Es geht diesmal auch nicht an die Justizkasse, sondern muss an eine gemein­nützige Organisation gezahlt werden und geht passenderweise an an die Kinderkrebshilfe.

Das Gericht gab dem Land noch den Hinweis, wenn es die Fahrverbote für überflüssig halte, sei es besser, eine Vollstreckungsabwehrklage einzulegen, statt Gerichtsurteile zu ignorieren.

Deutsche Umwelthilfe hatte Zwangshaft für inaktive Politiker beantragt

Die DUH hatte die Anordnung von Zwangshaft gegen Amtsträger beantragt, weil sich die Landesregierungen weigerten, ein gerichtlich angeordnetes Konzept für Dieselfahrverbote vorzulegen.

Durch Ignorieren verbindlicher verwaltungsgerichtlicher Urteile seitens der jeweiligen Ministerpräsidenten verletzen sowohl Bayern als auch Baden-Württemberg laut VG Stuttgart elementarste rechtsstaatliche Grundsätze:  Müssen der Ministerpräsident Söder und Kretschmann nun in Beugehaft?

So kurios diese Frage auf den ersten Blick erscheinen mag, so ernst wurde es zumindest für den bayerischen Ministerpräsidenten in der Verhandlung am 3.9.2019 vor dem EuGH in Luxemburg. Dort hat der EuGH über die Frage verhandelt, ob verantwortliche Politiker, die sich weigern, trotz rechtskräftiger Urteile Dieselfahrverbote in Städten umzusetzen, wie Markus Söder in München, durch Zwangsmaßnahmen wie Beugehaft zu justizförmigem Verhalten gezwungen werden können.

Zwangsgelder gegen Bayern und Baden-Württemberg

Angefangen hatte alles mit einer Klagen der DUH gegen die Länder Bayern und Baden-Württemberg wegen dauerhafter Überschreitung der zulässigen Emissionswerte für Stickstoffdioxid in den Städten München und Stuttgart. Sowohl das VG München als auch das VG Stuttgart hatten die Länder zur Fortschreibung ihrer Luftreinhaltepläne verpflichtet (VG Stuttgart Urteil v. 26.7.2017, 13 K 5412/15; VG München, Urteil v. 9.10.2012, M 1 K 12.1046). Das BVerwG hatte wenig später eine mögliche Verpflichtung der Städte zur Verhängung von Fahrverboten für bestimmte Dieselfahrzeuge bei dauerhafter Überschreitung der Stickstoffdioxidgrenzwerte bestätigt (BVerwG, Urteil v. 27.2.2018, 7 C 30.17).

Als die Urteile kaum Wirkung bei den verantwortlichen Politikern zeigten, haben die Verwaltungsgerichte Zwangsgelder gegen die jeweiligen Länder festgesetzt, die aber zu keiner Verhaltensänderung geführt haben (VG Stuttgart, Beschluss v. 26.4.2019, 17 K 1582/19 und Beschluss v. 18.7.2019, 17 K 4427/19; VG München, Urteil v. 29.1.2018, 22 C 16.1427 u.a.)

Baden-Württemberg und Bayern verweigern die Umsetzung von Gerichtsurteilen

Die VG´e hatten in ihren Entscheidungen gerügt, die Länder hätten trotz verpflichtender gerichtlicher Entscheidungen nichts getan und den jeweiligen Luftreinhalteplan nicht einmal ansatzweise fortgeschrieben. Damit verweigerten die Länder unter Verletzung elementarster rechtsstaatlicher Grundsätze die Umsetzung gerichtlicher Urteile.

Das sei eine bisher nicht gekannte Dimension der Missachtung geltenden Rechts durch Behörden.

Der durch Zwangsgelder ausgeübte Druck ist begrenzt

Ein Zwangsgeld von 10.000 Euro wird auch bei wiederholter Festsetzung gemäß § 172 Abs. 2 VwGO ein Land nicht in den Ruin treiben, zumal das Geld lediglich von einem Staatssäckel in einen anderen wandert. Beide Länder verweisen darauf, dass die Luftwerte sich durch konsequente Umsetzung des bisherigen Luftreinhaltepläne bereits deutlich verbessert hätten. Die von Fachleuten prognostizierte Entwicklung bestätige, dass die europäischen Grenzwerte für Stickstoffdioxid in absehbarer Zeit auch in München und Stuttgart allein infolge der bisherigen Maßnahmen eingehalten würden. In Stuttgart existieren inzwischen Fahrverbote, allerdings nur für Dieselfahrzeuge der Euro-Norm 4 und älter.

Zwangshaft gegen verantwortliche Politiker?

Die DUH hält diese Einschätzung der Landesregierungen für unrealistisch und hat beantragt, die Durchsetzung der rechtlichen Verpflichtungen zur Luftreinhaltung mit der Verhängung von Zwangshaft gegen die verantwortlichen Politiker zu erzwingen.

Mit ihren Anträgen ging die DUH gleich in die Vollen hat Zwangshaft gegen den Ministerpräsidenten Markus Söder, seinen Umweltminister Thorsten Glauber und den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und dessen Vize Thomas Strobl (CDU) beantragt.

Zwangshaft ist keine Strafhaft

Die Zwangshaft ist ebenso wie das Zwangsgeld keine Strafe sondern ein Mittel der Zwangsvollstreckung, das ausschließlich dem Zweck dient, rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen zur Durchsetzung zu verhelfen. Die Zwangshaft darf sechs Monate nicht überschreiten.

Die Landesregierung bleiben dabei: Möglichst keine Fahrverbote

Trotz der rechtskräftigen Gerichtsurteile in beiden Ländern haben beide Ministerpräsidenten deutlich gemacht, dass weitere Fahrverbote nicht in Betracht kämen. Kretschmann erklärte, die vierte Fortschreibung des Luftreinhalteplans Stuttgart stünde kurz vor der Auslegung und Anhörung. Die Fortschreibung enthalte eine ganze Reihe von neuen Maßnahmen, um die Luftgrenzwerte schnellstmöglich einzuhalten. Die Landesregierung bleibe grundsätzlich bei ihrer bisherigen Haltung, Fahrverbote vermeiden zu können.

Entscheidung des EuGH zu Zwangshaft gegen Markus Söder

Die Frage der Zulässigkeit der Verhängung von Zwangshaft gegen den bayerischen Ministerpräsidenten und seinen Umweltminister wegen strikter Verweigerung der Umsetzung rechtskräftiger gerichtlicher Urteile wurde nun vor dem EuGH zum Zwecke der Klärung der damit zusammenhängenden europarechtlichen Fragen verhandelt.

Der EuGH hat seine Linie beibehalten, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die erforderlichen Vorschriften zur Durchsetzung europäischen Rechts, also auch der Vorschriften zur Luftreinhaltung, zu erlassen. Andererseits sollen die in Betracht kommenden Zwangsmittel zur Durchsetzung des Rechts, im wesentlichen dem jeweils nationalen Gesetzgeber und den zuständigen nationalen Gerichten überlassen bleiben. Bei einer solchen Haltung des EuGH läge der Spielball am Ende wieder bei den nationalen Gerichten (EuGH, 22-C 18.1718).

Kurzfristig kommt wohl kein Minister ins Gefängnis

Vorab hätten die Gerichte nämlich einige schwierige rechtliche Fragen zu klären wie

  • das Problem der Immunität des Ministerpräsidenten als Abgeordneter,
  • daneben die Frage, ob statt des Ministerpräsidenten nicht andere Amtsträger wie Regierungspräsidenten als Verantwortliche für die  Luftreinhaltepläne die richtigen Adressaten für Zwangsmaßnahmen wären..

Außerdem bliebe im Fall einer Anordnung von Haft den Ministerpräsidenten das Rechtsmittel der Beschwerde.

Ein Ministerpräsident im Knast - ein solches Medienspektakel wird es wohl so schnell eher nicht geben, ganz gleichgültig wie die erst in einigen Wochen oder Monaten erwartete Entscheidung des EuGH auch aussehen wird.

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Hintergrund

Pflicht zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne

Die Urteile der Verwaltungsgerichte verweisen in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen auf

  • einen Anspruch der Anwohner auf saubere Luft
  • und leiten diesen unmittelbar aus § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BImSchG ab,
  • wonach die für die Aufstellung von Luftreinhalteplänen zuständigen Planbehörden einen Luftreinhalteplan aufzustellen bzw. fortzuschreiben hätten,
  • wenn die nach europäischen und bundesrechtlichen Vorschriften einzuhaltenden Immissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe nicht eingehalten werden.

Zwangsgeld half nicht

Mit Beschluss vom 6.4.2019 hatte das VG Stuttgart auf Antrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) dem Land Baden-Württemberg ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro für den Fall angedroht,

dass das Land der Verpflichtung zur Fortschreibung des Luftreinhalteplans für den Regierungsbezirk Stuttgart/Teilplan Landeshauptstadt Stuttgart unter Beachtung der Maßgaben des BVerwG nicht innerhalb der gesetzten Frist bis zum 1.7.2019 nachkommt (VG Stuttgart, Beschluss v. 26.4.2019, 17 K 1582/19).

In dem Beschluss wurde das Land gleichzeitig aufgefordert, zonale Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge mit der Abgasnorm Euro 5/V einzuführen, um den gesetzlichen Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 µg/m³ Luft einzuhalten.

Schon gegen die Zwangsgeldandrohung hatte das Land Beschwerde eingelegt. Der VGH Baden-Württemberg hatte die Zwangsgeldandrohung dann aber bestätigt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 21.6.2019, S 1429/19)

Urteil des VG Stuttgart ist zwei Jahre alt

Vorausgegangen war eine Klage der DUH gegen das Land Baden-Württemberg. Per Urteil hatte das VG das Land Baden-Württemberg verpflichtet, durch Fortschreibung des Luftreinhalteplans für die Einhaltung der europarechtlich vorgeschriebenen Emissionswerte für Stickstoffdioxid im Stadtgebiet Stuttgart zu sorgen (VG Stuttgart Urteil v. 26.7.2017, 13 K 5412/15). Das BVerwG hat wenig später entschieden, dass Städte zur Verhängung von Fahrverboten verpflichtet sein können, wenn die Einhaltung der Stickstoffdioxidgrenzwerte auf andere Weise nicht erreicht werden kann (BVerwG, Urteil v. 27.2.2018, 7 C 30.17).

Nach der Entscheidung des BVerwG ist hierbei allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Verkehrsverbote seien in der Regel zeitlich gestaffelt nach Alter und Abgasverhalten der betroffenen Fahrzeuge unter Einschluss von Ausnahmeregelungen einzuführen. Für das Stadtgebiet Stuttgart sind nach dem Urteil ab 1.9.2019 zonale Fahrverbote für Euro 5 Diesel möglich.

Zwangsgeldfestsetzung immer wieder möglich

Ergänzend wies das VG Stuttgart darauf hin, dass gemäß § 172 Satz 2 VwGO Zwangsgeld wiederholt festgesetzt werden könne. Zu diesem Punkt erwägt das Land möglicherweise die Einreichung einer Abwehrklage, mit der unter bestimmten Voraussetzungen die wiederholte Verhängung von Zwangsgeldern verhindert werden kann.