EuGH-Klage einer Patientin mit defekten Brustimplantaten von PIP

Die Hoffnung einer deutschen Patientin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen minderwertiger Brustimplantate des französischen Herstellers PIP schwindet - anders als für französische Opfer - zusehends. Der Generalanwalt am EuGH verneinte in seinen Schlussanträgen wegen einer Gebietsklausel die Haftung des französischen Haftpflichtversicherers.

Eine deutsche Patientin führt seit Jahren einen Kampf um Schadenersatz und Schmerzensgeld für fehlerhafte Brustimplantate des inzwischen insolventen französischen Herstellers PIP.

Reißanfällige Brustimplantate

Hunderttausende Brustimplantate des französischen Herstellers „Poly Implant Prothese“ (PIP) waren aus minderwertigem Material und für die betroffenen Frauen lebensgefährlich. Statt medizinisch hochwertigem Silikon war billiges Industriesilikon verwendet worden. Diese Nachricht schockte im Jahr 2010 hunderttausende Patientinnen weltweit, nachdem die Behörde „Afssaps“ Implantate dieses Herstellers wegen der hohen Reißanfälligkeit und der Gefahr von Entzündungen im März 2010 vom Markt nahm.

Klagen gegen den TÜV Rheinland scheiterten

Zunächst geriet der TÜV Rheinland als Zertifizierer der Implantate ins Visier betroffener deutscher Patientinnen. Verschiedene Landgerichte und schließlich auch der BGH hielten den TÜV Rheinland aber für die lebensgefährlichen Implantate nicht für verantwortlich, u.a. weil dieser von der französischen Firma getäuscht worden sei. (OLG Karlsruhe, Urteil v. 27.6. 2018, 7 U96/17; BGH, Urteil v. 20.6.2017, VII ZR 36/14). 

Die Klagen blieben damit erfolglos, obwohl ein französisches Gericht in Toulon den TÜV Rheinland im November 2013 zum Schadensersatz gegenüber 1.600 Frauen verurteilt hatte, weil er seine Kontrollpflichten verletzt habe. Nach der Entscheidung des BGH kommt eine Haftung des Zertifizierers wegen Nichtdurchführung unangekündigter Kontrollen aber nur dann in Betracht, wenn - vorliegend nicht vorhandene - konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Implantate den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechen und dennoch Kontrollen unterbleiben.

Darf der Versicherungsschutz auf französische Patientinnen beschränkt werden?

Eine deutsche Krebspatientin, der im Jahre 2006 Implantate des französischen Herstellers eingesetzt wurden, hat neben dem TÜV auch den französischen Haftpflichtversicherer von PIP, die Allianz IARD, vor einem deutschen Gericht auf Schadenersatz und Schmerzensgeld verklagt.

Das in zweiter Instanz mit dem Fall beschäftigte OLG Frankfurt stand vor der Frage, ob eine in dem zwischen PIP und der Haftpflichtversicherung geschlossenen Versicherungsvertrag verwendete Gebietsklausel, wonach der Haftpflichtschutz nur für in Frankreich operierte Patientinnen gilt (Billig-Silikon: französisches Gericht verurteilt Herstellerversicherer Allianz zu Schadensersatz, wirksam ist oder ob diese Klausel gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV verstößt. Der Senat legte diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vor.

Keine verbotene Diskriminierung deutscher Betroffener 

Der Generalanwalt am EuGH machte zunächst deutlich, dass der vorliegende Fall in den Geltungsbereich des Unionsrecht fällt. Der bei der Patientin eingetretene Schaden sei eine Folge des freien Warenverkehrs innerhalb der EU. Die Brustimplantate seien unionsweit vertrieben worden. Damit seien die EU-Medizinprodukterichtlinien 85/374 und 93/42 anwendbar.

Diese sähen zwar eine strenge Haftungsregelung für die Hersteller von Medizinprodukten vor, enthielten jedoch keine Verpflichtung der Hersteller zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Darüber hinaus sei der spätere Ge- und Verbrauch von Waren nach deren Verbringung in einen Mitgliedstaat nicht durch EU-Vorschriften geregelt. Dies führe zu dem Schluss, dass die in Frankreich obligatorische Haftpflichtversicherung nicht mit der exportierten Ware nach Deutschland „reise“, da der Empfängerstaat die Regeln zum Ge- und Verbrauch importierter Waren eigenständig zu formulieren habe.

Keine Harmonisierung der Versicherungspflichten für Medizinprodukte in der EU

Der Generalanwalt verwies darauf, dass die Versicherungspflichten für Medizinprodukte innerhalb der EU nicht harmonisiert wurden. Art. 18 AEUV enthalte nicht das Gebot einer unbegrenzten Harmonisierung. Würde man aus der Vorschrift die Schlussfolgerung ziehen, dass auf jede Streitigkeit über ein aus einem anderen Mitgliedstaat stammendes Produkt grundsätzlich das Recht der EU anzuwenden sei, würde dies zu einer nicht gewollten Anwendung des Unionsrechts auf eine beliebige Vielzahl rechtlicher nationaler Bestimmungen führen. Eine solche Auslegung würde jede Gebietsbezogenheit der in den Mitgliedstaaten geltenden Gesetze verdrängen. Dies sei aber nicht der Sinn des EU-Rechts, vielmehr sei es Sache der Mitgliedstaaten, Regeln zum Verbraucherschutz u.a. innerhalb der Versicherungsbranche eigenständig zu treffen. Dies entspreche dem Grundprinzip der Wahrung der Regelungsvielfalt in den durch das Unionsrecht nicht ausdrücklich harmonisierten Bereichen.

Gebietsklausel ist wirksam

Im Ergebnis vertrat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen die Auffassung, dass die französische Haftpflichtversicherungsgesellschaft ihre Verpflichtung zum Schadenersatz wirksam auf in Frankreich durchgeführte Operationen beschränken konnte. Frankreich habe sich mit Recht dafür entscheiden können, auf seinem Hoheitsgebiet ein höheres Schutzniveau für Patientinnen und Nutzerinnen von Medizinprodukten einzuführen als in anderen EU-Ländern. Deutschland habe das in eigener Hoheit nicht getan. Die Gebietsklausel sei daher wirksam und beinhalte keinen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit aus Art. 18 AEUV.

Die Hoffnung auf Entschädigung schwindet

Die Schlussanträge des Generalsanwalts binden den EuGH zwar nicht, allerdings folgen die Richter des EuGH in der Praxis häufig dem Votum des Generalanwalts. Die Chancen der Klägerin auf Schadenersatz und Schmerzensgeld stehen also nicht gut.

(EuGH, Schlussanträge v. 6.2.2019, C-581/12).




Hinweise:

Von dem Brustimplantate-Skandal des französischen Herstellers PIP (Poly Implant Prothèse) sind bundesweit rund 5.000 Frauen betroffen.

Im Anschluss an den PIP-Skandal wurde innerhalb der EU die neue Medizinprodukteverordnung EU-2017/745 eingeführt, in der die Haftung der Hersteller fehlerhafter Medizinprodukte deutlich verschärft wurde.

Auch diese Verordnung enthält jedoch keine Regelungen zu den Versicherungspflichten der Hersteller. Die Hersteller sind gemäß Art. 10 Abs. 16 EU-2017/745 lediglich verpflichtet, für eine ausreichende finanzielle Deckung ihrer potentiellen Haftung zu sorgen, was keine Verpflichtung zum Abschluss entsprechender Versicherungen beinhaltet.